Dienstag, 19. November 2019

Fremd durch Armut. Gedanken zu Elisabeth von Thüringen

Es war einmal eine Königstochter aus einem fernen Land, die schon früh einem Grafen versprochen worden war. Sie verließ in jungen Jahren ihre Heimat, um bei ihm zu leben. In seinem Lande wohnte sie in feinen Gemächern auf den verschiedenen Burgen des Grafen und kleidete sich in Samt und Seide...

So könnte die beschauliche Geschichte der ungarischen Prinzessin beginnen, die als Elisabeth von Thüringen (1207-1231) bekannt wurde. Doch wie in vielen Märchen endet die romantisch-beschauliche Phase recht bald. Denn Elisabeth fühlte sich angezogen vom Armutsideal ihres Zeitgenossen Franz von Assisi (ca. 1182-1226).

Nichts mehr drauf.
Schwante, 2018.
Im Verzicht auf allen Besitz ist Gott zu erfahren – das ist der religiöse Grundimpuls hinter dem Leben dieses großen Heiligen. Zum Besitz aber gehören nicht nur materielle Dinge, die sowohl Franz als auch Elisabeth von Kindheit an im Überfluss besaßen. Der Besitz ist auch der eigene Stand mit seinen Privilegien und Selbstverständlichkeiten, mit guter Bildung und vielen Absicherungen.

Aus all dem ging Elisabeth, mehr oder weniger freiwillig, hinaus in die Unsicherheit und Unbehaustheit – und das war ihr Weg, Gott zu entdecken. Sie wollte selbst nichts mehr besitzen, sondern den Armen dienen und sie hat auf diesem Wege auch erfahren, welches Leiden damit verbunden ist. Auf Betreiben ihres Beichtvaters Konrad von Marburg stiftete sie nach dem Tod ihres Mannes und der Abkehr von seiner Familie ein Armenspital, in dem sie selbst bis zur Erschöpfung den Armen diente.

Nichts zu haben, von niemandem aus der eigenen Schicht mehr anerkannt zu sein, mit den Armen zu leben: Was sagt eine solche Geschichte mir, einem gut ausgebildeten, in seiner Seelsorgsarbeit mehr als ausreichend verdienenden Vater zweier Kinder im Deutschland des 21. Jahrhunderts?

Zunächst: Eine Orientierung an anderen Werten als meinem Können, meinem Wissen, meinem Besitz ist möglich. Nicht einfach, aber möglich.
Dann kommt: Seelsorge – und sei es im Gefängnis – ist nur ein erster Schritt. Wirklich glaubwürdig ist die Ausrichtung an Jesus erst mit der inneren Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Güter und Privilegien so weit als möglich loszulassen und sich auf die Seite der Armen zu stellen.
Solch eine "Armut des Herzens", aber fordert "eine radikale, umfassende Hergabe alles 'Eigenen', ob Eigentum oder Eigenwillen oder Eigensucht, die restlose Selbstentäußerung in der Gesinnung Christi, der sich entäußerte bis in den Tod am Kreuze (vgl. Phil 2,6-8)."1

Es wäre der Austritt aus unserer gesellschaftlichen Logik – und der Eintritt in die Logik Gottes. Entfremdung dort für Annäherung hier.

Wenn ich das tun würde, wäre mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich würde keinen Blog mehr schreiben, und wenn schon einen Blog, dann einen ohne Fußnoten...
Und das wäre nur der netz-offensichtlichste Ausdruck. Ich würde viel Zeit auf der Straße verbringen, würde viel großzügiger werden, würde meine Bücher verschenken, würde weniger Krimskrams einkaufen und so fort.
Wahrscheinlich würde mir mein ganzes Familienleben und vieles andere um die Ohren fliegen.

Elisabeth hat genau das erfahren, dass alles ihr um die Ohren fliegt. Und wahrscheinlich hat sie genau das gewollt. Denn sie war zuinnerst getrieben vom Wunsch nach Armut des Herzens und nach der Erfahrung der Nähe Gottes in völliger Besitzlosigkeit. Für sie war es ihr persönliches Märchen.

Für mich ist es – ein sehr weiter Weg...

Was übrig bleibt.
Neukölln, Berlin, 2018.


1   L. Holtz, Geschichte des christlichen Ordenslebens. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Zürich 1991, 129.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen