So könnte die
beschauliche Geschichte der ungarischen Prinzessin beginnen, die als
Elisabeth von Thüringen (1207-1231) bekannt wurde. Doch wie in
vielen Märchen endet die romantisch-beschauliche Phase recht bald.
Denn Elisabeth fühlte sich angezogen vom Armutsideal ihres
Zeitgenossen Franz von Assisi (ca. 1182-1226).
Nichts mehr drauf. Schwante, 2018. |
Im Verzicht auf allen
Besitz ist Gott zu erfahren – das ist der religiöse Grundimpuls
hinter dem Leben dieses großen Heiligen. Zum Besitz aber gehören
nicht nur materielle Dinge, die sowohl Franz als auch Elisabeth von
Kindheit an im Überfluss besaßen. Der Besitz ist auch der eigene
Stand mit seinen Privilegien und Selbstverständlichkeiten, mit guter
Bildung und vielen Absicherungen.
Aus all dem ging
Elisabeth, mehr oder weniger freiwillig, hinaus in die Unsicherheit
und Unbehaustheit – und das war ihr Weg, Gott zu entdecken. Sie
wollte selbst nichts mehr besitzen, sondern den Armen dienen und sie
hat auf diesem Wege auch erfahren, welches Leiden damit verbunden
ist. Auf Betreiben ihres Beichtvaters Konrad von Marburg stiftete sie
nach dem Tod ihres Mannes und der Abkehr von seiner Familie ein
Armenspital, in dem sie selbst bis zur Erschöpfung den Armen diente.
Nichts zu haben, von
niemandem aus der eigenen Schicht mehr anerkannt zu sein, mit den
Armen zu leben: Was sagt eine solche Geschichte mir, einem gut
ausgebildeten, in seiner Seelsorgsarbeit mehr als ausreichend
verdienenden Vater zweier Kinder im Deutschland des 21. Jahrhunderts?
Zunächst: Eine
Orientierung an anderen Werten als meinem Können, meinem Wissen,
meinem Besitz ist möglich. Nicht einfach, aber möglich.
Dann kommt: Seelsorge –
und sei es im Gefängnis – ist nur ein erster Schritt. Wirklich
glaubwürdig ist die Ausrichtung an Jesus erst mit der inneren
Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Güter und Privilegien so
weit als möglich loszulassen und sich auf die Seite der Armen zu
stellen.
Solch eine "Armut
des Herzens", aber fordert "eine radikale,
umfassende Hergabe alles 'Eigenen', ob Eigentum oder Eigenwillen oder
Eigensucht, die restlose Selbstentäußerung in der Gesinnung
Christi, der sich entäußerte bis in den Tod am Kreuze (vgl. Phil
2,6-8)."1
Es wäre der Austritt aus
unserer gesellschaftlichen Logik – und der Eintritt in die Logik
Gottes. Entfremdung dort für Annäherung hier.
Wenn ich das tun würde,
wäre mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich würde keinen Blog
mehr schreiben, und wenn schon einen Blog, dann einen ohne
Fußnoten...
Und das wäre nur der
netz-offensichtlichste Ausdruck. Ich würde viel Zeit auf der Straße
verbringen, würde viel großzügiger werden, würde meine Bücher
verschenken, würde weniger Krimskrams einkaufen und so fort.
Wahrscheinlich würde mir
mein ganzes Familienleben und vieles andere um die Ohren fliegen.
Elisabeth hat genau das
erfahren, dass alles ihr um die Ohren fliegt. Und wahrscheinlich hat
sie genau das gewollt. Denn sie war zuinnerst getrieben vom Wunsch
nach Armut des Herzens und nach der Erfahrung der Nähe Gottes in
völliger Besitzlosigkeit. Für sie war es ihr persönliches Märchen.
Für mich ist es – ein
sehr weiter Weg...
Was übrig bleibt. Neukölln, Berlin, 2018. |
1 L.
Holtz, Geschichte des christlichen Ordenslebens. 2., aktualisierte
und erweiterte Aufl. Zürich 1991, 129.
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