Gute Herrschaft lebt
davon, dass sie anerkannt wird. Sonst wird sie zum Zwang.
Am Christkönigsfest geht
es darum, was für eine Art von Herrschaft Gott in dieser Welt
aufbauen will. Die Lesungen, die zu diesem Fest ausgewählt werden,
weisen meistens darauf hin, dass Jesus im Unterschied zu den gängigen
Herrschaftsmethoden ein Königtum von Gewaltfreiheit verkörpert.
Aber auch dies ist eine
Herrschaft, und auch sie muss anerkannt werden, um eine gute
Herrschaft zu sein. Aus Unzufriedenheit kann nichts wachsen.
Darum soll es in dieser
Predigt gehen.
Sieht Macht so aus? Bundesverwaltungsgericht, Leipzig, 2018. |
1. Blick in die
deutsche Geschichte
Wenn wir zunächst einen
Blick in die deutsche Geschichte werfen, können wir verschiedene
Dinge feststellen:
In der Weimarer Republik
gab es sehr vielfältige Gruppen und Organisationen: von
Gewerkschaften oder kommunistischen Zirkeln über Pazifisten und
Arbeitergesangsvereine bis zu katholischen Studentenverbindungen und
der Wandervogelbewegung.
All diese
unterschiedlichen Vorstellungen von Gesellschaft und Leben konnte der
Nationalsozialismus nicht neben sich dulden und versuchte, möglichst
viele Organisationen unter seinem völkischen Dach zu vereinen. Darum
wurden diese eher kleinen Strukturen ab 1933 zugunsten großer,
staatlich gelenkter Vereinigungen zerschlagen.
Organisierte
Massendemonstrationen waren durch diese Gleichschaltung nahezu
unmöglich geworden. Viele Menschen schwammen fortan mit dem Strom und
arrangierten sich mit dem neuen Herrschaftssystem. Solange jemand
nicht mit anderen als den akzeptierten Denk- und Lebensweisen in
Erscheinung trat, war dies auch einigermaßen möglich.
Doch nicht alle wollten
diese totale staatliche Durchdringung aller Dinge. Manche wanderten
aus oder gingen in den Untergrund und planten ihren
Widerstand.
Keine 250 m
Luftlinie von hier wurden viele Widerständler aus dem Kreisauer
Kreis, der Roten Kapelle, aber auch viele der Attentäter vom 20.
Juli 1944 hingerichtet. Dazu kamen hunderte Zeugen Jehovas, die
keinen Wehrdienst leisten wollten, viele inhaftierte Frauen aus der
Frauenhaftanstalt sowie besonders viele tschechische, polnische und
französische Verurteilte. Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945
2891
Menschen in Plötzensee hingerichtet.
Gerade hier in diesem
Gefängnis also hat sich die Gewaltherrschaft der Nazis besonders
ausgetobt. Auch wenn es im Nationalsozialismus also fast keine großen
Demos gegen den Staat gab und obwohl der Großteil der Deutschen mehr
oder weniger begeistert mitmachte, war diese Herrschaft doch nicht
von allen Menschen anerkannt.
Nur: Wer dagegen war,
musste in den Lagern oder in Plötzensee dafür bezahlen.
Einige Jahre später
formierte sich auch in der DDR Widerstand gegen die neu eingeführten
Herrschaftsmethoden. Hier ging es vor dem Hintergrund einer
wirtschaftlich desolaten Lage zunächst um die Erhöhung der
Arbeitsnormen, gegen die im Juni 1953 gestreikt wurde. Aus dem Streik
entstand eine Massenbewegung, die viele Menschen ermutigte, sich zu
positionieren.
Doch Streik und Aufstand
wurden durch die Sowjetarmee blutig niedergeschlagen.
Das erstickte den
Widerstand zunächst – und auch das, was in anderen kommunistischen
Ländern wie in Ungarn und in der CSSR geschah, ermutigte nicht zum
Widerstand.
Doch immerhin zeigte sich
durch diese Ereignisse, dass die Herrschaft in der DDR nur mit Gewalt
aufrecht erhalten werden konnte.
In der Folge zogen sich
die Einen zurück und lachten nur noch hinter vorgehaltener Hand über
die Greise an der Spitze der DDR, die Anderen versuchten bis zum
Mauerbau 1961 die DDR zu verlassen. Nach dem Mauerbau 1961 gelang das
nur noch über Nachbarländer.
Im Herbst 1989 wiederum
wurden aus den Leipziger Friedensgebeten die Montagsdemonstrationen
und aus diesen die berühmten Großdemonstrationen, die schließlich
zu dem großen Ereignis führten, dessen Jubiläum wir in diesem Jahr
gefeiert haben: den Fall der Berliner Mauer.
2. Unzufriedenheit mit
Jesus
Warum erzähle ich so lang
und breit davon?
Ich wollte zeigen, dass
sich bei Unzufriedenheit mit einer Herrschaft sehr unterschiedliche
Strategien beobachten lassen.
Es scheint vier
hauptsächliche Strategien zu geben, die sich natürlich in der
Realität überschneiden und durchdringen. Das sind: Kämpfen –
Verstecken – Weglaufen – Spotten.
Neuer Blick nötig? Saalachtal, 2019. |
Eigentlich sind alle eben
schon bei den mehr oder minder ungeliebten Herrschaftsformen auf
deutschem Boden aufgetaucht.
Wenn wir das Leben und die
Verkündigung Jesu anschauen, lässt sich gut beobachten, wie die
Menschen auf seinen Anspruch, dass Gott in ihrem Leben etwas zu sagen
haben soll, reagiert haben. Die Herrschaft Gottes, so wie Jesus sie
ausgebreitet hat, war als Gegenentwurf zu anderen Herrschaftsformen
jedenfalls nicht nur beliebt – und das von Beginn an.
Viele haben sich
weggeduckt, so wie der reiche Jüngling, der traurig weggeht als
Jesus ihn auffordert, sein Leben nicht an den Reichtum zu hängen,
sondern alles zu verschenken (Mk
10,21f). Andere hatten Besseres zu tun als sich mit Gott zu
beschäftigen, sie wollen erst noch konsumieren oder sich auf ihr
eigenes kleines Glück konzentrieren (Lk
14,18ff; vgl. auch Lk 9,57ff).
Aber recht bald gab
es auch jene, die gegen Jesus und seine Botschaft kämpften – sie
konnten nicht ertragen, dass sich da jemand über die etablierten
Regeln stellte (vgl. Mk
3,6).
Nicht zuletzt gilt
das für jene, von denen wir im heutigen Evangelium (Lk
23,35b-43) hören.
Die "führenden
Männer des Volkes" (v35b) verspotteten Jesus ebenso wie die
Soldaten, die ihn eben gekreuzigt hatten und riefen ihm zu: "Rette
dich selbst!" (v37)
Ihnen erscheint eine Art
von Herrschaft, die völlig wehrlos sein will, nur lächerlich.
Auch die Jünger sind bei
der Verhaftung Jesu übrigens weggelaufen, weil sie die Konsequenzen
eines solchen Herrschaftskonzepts nicht aushielten.
Schon beim Einzug in
Jerusalem am Palmsonntag,
als Jesus auf einem Esel in die Stadt reitet, wunderten sich sicher
manche, was daran eine Machtdemonstration sein sollte und wie Jesus
auf diese Weise wirklich Menschen von sich überzeugen wollte.
Allerdings jubelten ihm auch viele zu.
Denn das Herrschaftskonzept Jesu besteht in einem irritierenden Verzicht auf äußere Macht. Das Loslassen von
Eigenmächtigkeit und das vollkommene Vertrauen auf Gott hat zur
Folge, dass jemand die Kontrolle über das eigene Leben aufgibt. So
hat es Jesus am Kreuz vorgemacht. Zugleich ist es die Konzentration
auf Wohlwollen und Bereitschaft, immer noch einmal einen Schritt auf
den Anderen zuzugehen.
Daraus ergibt sich eine
Machtlosigkeit, die nur schwer auszuhalten ist.
Jedenfalls haben sich die
christlichen Kirchen immer lieber auf weltliche Mächte verlassen, um
ihre Botschaft eines liebenden Gottes auszubreiten – und das
geschah nicht immer wirklich liebevoll.
So breitet sich, aber das
nur am Rande, natürlich auch in der Kirche Unzufriedenheit mit der
Herrschaft aus.
Hier lässt sich vor allem
die Ausreisewelle wiederentdecken. Menschen verlassen die Kirche in
Scharen, weil sie ihre Glaubwürdigkeit für viele Lebensfragen
verloren hat. Sie wird sinnlos, wenn sie nichts mehr zu bieten hat
für die eigene Lebensgestaltung. Oder aber sie sind enttäuscht über
das kirchliche Machtgebaren selbst.
Im Gefängnis wiederum ist
Weglaufen (für die meisten...) keine Option. Hier ist eher Spott
angesagt.
3. Und jetzt du und ich
Und jetzt zu uns.
Wenn wir uns Gott
zuwenden, erwarten wir oft Hilfe oder Trost.
Es geht also ganz
existenziell um die Frage, die Jesus in unserem Evangelium spöttisch
gestellt wurden:
Was kannst du denn?
Auch wir könnten Jesus
diese Frage ernsthaft stellen. Und wenn wir mit Verwunderung auf
einen Jesus schauen, der freiwillig am Kreuz stirbt, kommt uns
vielleicht auch der eigentlich richtige Gedanke: Rette dich doch!
Doch Jesus konnte sich
nicht retten. Man könnte sagen: Das gehörte nicht zu seiner
Herrschaftsform.
Und auch das macht viele
Menschen unzufrieden: Was soll das für ein Gott sein, der schwach
ist? Was soll mir ein Gott, der nur redet und dann qualvoll stirbt,
anstatt mir effektiv zu helfen?
Aber genauso ist Gott.
Herrschaftsarchitektur? Lageso, Wilmersdorf, 2018. |
Und ein schwacher Gott ist
kein unsinniger Gott.
Er ist anspruchsvoll, er
will dich. Er will dein Herz (übrigens ganz unabhängig davon, ob du
zur Kirche gehst oder nicht).
Aber das bedeutet eine
Kehrtwende für jeden von uns. Wir müssten uns dann verabschieden
von einer Herrschaft, die auf Gewalt und Macht baut. Wir müssten
selbst so leben, dass unser Verhalten nicht von Gier und Egoismus
bestimmt ist, sondern von Ehrfurcht und Respekt, von Liebe und
Zuneigung.
Auf einer bestimmten Ebene
ist das eine Haltung der Schwachheit. Aber wenn das Grundgefühl
darunter Liebe ist (so wie bei Jesus selbst!), dann wohnt in dieser
Schwachheit eine ungeheure Kraft.
Die Stärke einer
Herrschaft der Liebe besteht darin, dass wir für einander einstehen
und das Gute im Anderen suchen, auch wenn nichts davon zu entdecken
ist.
Mit anderen Worten: Die
Herrschaft der Liebe ist schwach und stark zugleich.
Auch mit Gottes Herrschaft
kannst du unzufrieden sein. Sie nicht als eine hilfreiche Herrschaft
über mein Leben anerkennen zu wollen, ist an bestimmten Punkten
sogar naheliegend. Es ist anstrengend, es ist fordernd, und viele,
die sich Christen nennen, ducken sich unter den meisten Forderungen
Jesu gut weg – ich auch.
Aber ich bin fest davon
überzeugt, dass es sich lohnt, diesen Weg zu probieren. Nicht
fortzulaufen. Nicht zu spotten. Auch wenn die Versuchung ganz nah
ist.
Denn wenn ich mich
freiwillig unter diese Herrschaft stelle, wenn ich sie für mein
Leben anerkenne und immer wieder versuche, dieser Herrschaft gemäß
zu leben, dann kann ich sicher sein, dass Gott an meiner Seite durch
die Höhen und Tiefen des Lebens geht.
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