Samstag, 23. November 2019

Herrschaftskritik. Eine Predigt am Christkönigssonntag

Gute Herrschaft lebt davon, dass sie anerkannt wird. Sonst wird sie zum Zwang.

Am Christkönigsfest geht es darum, was für eine Art von Herrschaft Gott in dieser Welt aufbauen will. Die Lesungen, die zu diesem Fest ausgewählt werden, weisen meistens darauf hin, dass Jesus im Unterschied zu den gängigen Herrschaftsmethoden ein Königtum von Gewaltfreiheit verkörpert.
Aber auch dies ist eine Herrschaft, und auch sie muss anerkannt werden, um eine gute Herrschaft zu sein. Aus Unzufriedenheit kann nichts wachsen.

Darum soll es in dieser Predigt gehen.

Sieht Macht so aus?
Bundesverwaltungsgericht, Leipzig, 2018.
1. Blick in die deutsche Geschichte
Wenn wir zunächst einen Blick in die deutsche Geschichte werfen, können wir verschiedene Dinge feststellen:
In der Weimarer Republik gab es sehr vielfältige Gruppen und Organisationen: von Gewerkschaften oder kommunistischen Zirkeln über Pazifisten und Arbeitergesangsvereine bis zu katholischen Studentenverbindungen und der Wandervogelbewegung.
All diese unterschiedlichen Vorstellungen von Gesellschaft und Leben konnte der Nationalsozialismus nicht neben sich dulden und versuchte, möglichst viele Organisationen unter seinem völkischen Dach zu vereinen. Darum wurden diese eher kleinen Strukturen ab 1933 zugunsten großer, staatlich gelenkter Vereinigungen zerschlagen.
Organisierte Massendemonstrationen waren durch diese Gleichschaltung nahezu unmöglich geworden. Viele Menschen schwammen fortan mit dem Strom und arrangierten sich mit dem neuen Herrschaftssystem. Solange jemand nicht mit anderen als den akzeptierten Denk- und Lebensweisen in Erscheinung trat, war dies auch einigermaßen möglich.
Doch nicht alle wollten diese totale staatliche Durchdringung aller Dinge. Manche wanderten aus oder gingen in den Untergrund und planten ihren Widerstand.

Keine 250 m Luftlinie von hier wurden viele Widerständler aus dem Kreisauer Kreis, der Roten Kapelle, aber auch viele der Attentäter vom 20. Juli 1944 hingerichtet. Dazu kamen hunderte Zeugen Jehovas, die keinen Wehrdienst leisten wollten, viele inhaftierte Frauen aus der Frauenhaftanstalt sowie besonders viele tschechische, polnische und französische Verurteilte. Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 2891 Menschen in Plötzensee hingerichtet.

Gerade hier in diesem Gefängnis also hat sich die Gewaltherrschaft der Nazis besonders ausgetobt. Auch wenn es im Nationalsozialismus also fast keine großen Demos gegen den Staat gab und obwohl der Großteil der Deutschen mehr oder weniger begeistert mitmachte, war diese Herrschaft doch nicht von allen Menschen anerkannt.
Nur: Wer dagegen war, musste in den Lagern oder in Plötzensee dafür bezahlen.

Einige Jahre später formierte sich auch in der DDR Widerstand gegen die neu eingeführten Herrschaftsmethoden. Hier ging es vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich desolaten Lage zunächst um die Erhöhung der Arbeitsnormen, gegen die im Juni 1953 gestreikt wurde. Aus dem Streik entstand eine Massenbewegung, die viele Menschen ermutigte, sich zu positionieren.
Doch Streik und Aufstand wurden durch die Sowjetarmee blutig niedergeschlagen.
Das erstickte den Widerstand zunächst – und auch das, was in anderen kommunistischen Ländern wie in Ungarn und in der CSSR geschah, ermutigte nicht zum Widerstand.
Doch immerhin zeigte sich durch diese Ereignisse, dass die Herrschaft in der DDR nur mit Gewalt aufrecht erhalten werden konnte.
In der Folge zogen sich die Einen zurück und lachten nur noch hinter vorgehaltener Hand über die Greise an der Spitze der DDR, die Anderen versuchten bis zum Mauerbau 1961 die DDR zu verlassen. Nach dem Mauerbau 1961 gelang das nur noch über Nachbarländer.
Im Herbst 1989 wiederum wurden aus den Leipziger Friedensgebeten die Montagsdemonstrationen und aus diesen die berühmten Großdemonstrationen, die schließlich zu dem großen Ereignis führten, dessen Jubiläum wir in diesem Jahr gefeiert haben: den Fall der Berliner Mauer.

2. Unzufriedenheit mit Jesus
Warum erzähle ich so lang und breit davon?
Ich wollte zeigen, dass sich bei Unzufriedenheit mit einer Herrschaft sehr unterschiedliche Strategien beobachten lassen.
Es scheint vier hauptsächliche Strategien zu geben, die sich natürlich in der Realität überschneiden und durchdringen. Das sind: Kämpfen – Verstecken – Weglaufen – Spotten.

Neuer Blick nötig?
Saalachtal, 2019.
Eigentlich sind alle eben schon bei den mehr oder minder ungeliebten Herrschaftsformen auf deutschem Boden aufgetaucht.

Wenn wir das Leben und die Verkündigung Jesu anschauen, lässt sich gut beobachten, wie die Menschen auf seinen Anspruch, dass Gott in ihrem Leben etwas zu sagen haben soll, reagiert haben. Die Herrschaft Gottes, so wie Jesus sie ausgebreitet hat, war als Gegenentwurf zu anderen Herrschaftsformen jedenfalls nicht nur beliebt – und das von Beginn an.

Viele haben sich weggeduckt, so wie der reiche Jüngling, der traurig weggeht als Jesus ihn auffordert, sein Leben nicht an den Reichtum zu hängen, sondern alles zu verschenken (Mk 10,21f). Andere hatten Besseres zu tun als sich mit Gott zu beschäftigen, sie wollen erst noch konsumieren oder sich auf ihr eigenes kleines Glück konzentrieren (Lk 14,18ff; vgl. auch Lk 9,57ff).
Aber recht bald gab es auch jene, die gegen Jesus und seine Botschaft kämpften – sie konnten nicht ertragen, dass sich da jemand über die etablierten Regeln stellte (vgl. Mk 3,6).

Nicht zuletzt gilt das für jene, von denen wir im heutigen Evangelium (Lk 23,35b-43) hören.
Die "führenden Männer des Volkes" (v35b) verspotteten Jesus ebenso wie die Soldaten, die ihn eben gekreuzigt hatten und riefen ihm zu: "Rette dich selbst!" (v37)
Ihnen erscheint eine Art von Herrschaft, die völlig wehrlos sein will, nur lächerlich.

Auch die Jünger sind bei der Verhaftung Jesu übrigens weggelaufen, weil sie die Konsequenzen eines solchen Herrschaftskonzepts nicht aushielten.
Schon beim Einzug in Jerusalem am Palmsonntag, als Jesus auf einem Esel in die Stadt reitet, wunderten sich sicher manche, was daran eine Machtdemonstration sein sollte und wie Jesus auf diese Weise wirklich Menschen von sich überzeugen wollte. Allerdings jubelten ihm auch viele zu.

Denn das Herrschaftskonzept Jesu besteht in einem irritierenden Verzicht auf äußere Macht. Das Loslassen von Eigenmächtigkeit und das vollkommene Vertrauen auf Gott hat zur Folge, dass jemand die Kontrolle über das eigene Leben aufgibt. So hat es Jesus am Kreuz vorgemacht. Zugleich ist es die Konzentration auf Wohlwollen und Bereitschaft, immer noch einmal einen Schritt auf den Anderen zuzugehen.
Daraus ergibt sich eine Machtlosigkeit, die nur schwer auszuhalten ist.

Jedenfalls haben sich die christlichen Kirchen immer lieber auf weltliche Mächte verlassen, um ihre Botschaft eines liebenden Gottes auszubreiten – und das geschah nicht immer wirklich liebevoll.
So breitet sich, aber das nur am Rande, natürlich auch in der Kirche Unzufriedenheit mit der Herrschaft aus.
Hier lässt sich vor allem die Ausreisewelle wiederentdecken. Menschen verlassen die Kirche in Scharen, weil sie ihre Glaubwürdigkeit für viele Lebensfragen verloren hat. Sie wird sinnlos, wenn sie nichts mehr zu bieten hat für die eigene Lebensgestaltung. Oder aber sie sind enttäuscht über das kirchliche Machtgebaren selbst.
Im Gefängnis wiederum ist Weglaufen (für die meisten...) keine Option. Hier ist eher Spott angesagt.

3. Und jetzt du und ich
Und jetzt zu uns.
Wenn wir uns Gott zuwenden, erwarten wir oft Hilfe oder Trost.
Es geht also ganz existenziell um die Frage, die Jesus in unserem Evangelium spöttisch gestellt wurden:
Was kannst du denn?

Auch wir könnten Jesus diese Frage ernsthaft stellen. Und wenn wir mit Verwunderung auf einen Jesus schauen, der freiwillig am Kreuz stirbt, kommt uns vielleicht auch der eigentlich richtige Gedanke: Rette dich doch!
Doch Jesus konnte sich nicht retten. Man könnte sagen: Das gehörte nicht zu seiner Herrschaftsform.

Und auch das macht viele Menschen unzufrieden: Was soll das für ein Gott sein, der schwach ist? Was soll mir ein Gott, der nur redet und dann qualvoll stirbt, anstatt mir effektiv zu helfen?

Aber genauso ist Gott.
Herrschaftsarchitektur?
Lageso, Wilmersdorf, 2018.
Und ein schwacher Gott ist kein unsinniger Gott.
Er ist anspruchsvoll, er will dich. Er will dein Herz (übrigens ganz unabhängig davon, ob du zur Kirche gehst oder nicht).
Aber das bedeutet eine Kehrtwende für jeden von uns. Wir müssten uns dann verabschieden von einer Herrschaft, die auf Gewalt und Macht baut. Wir müssten selbst so leben, dass unser Verhalten nicht von Gier und Egoismus bestimmt ist, sondern von Ehrfurcht und Respekt, von Liebe und Zuneigung.

Auf einer bestimmten Ebene ist das eine Haltung der Schwachheit. Aber wenn das Grundgefühl darunter Liebe ist (so wie bei Jesus selbst!), dann wohnt in dieser Schwachheit eine ungeheure Kraft.
Die Stärke einer Herrschaft der Liebe besteht darin, dass wir für einander einstehen und das Gute im Anderen suchen, auch wenn nichts davon zu entdecken ist.
Mit anderen Worten: Die Herrschaft der Liebe ist schwach und stark zugleich.

Auch mit Gottes Herrschaft kannst du unzufrieden sein. Sie nicht als eine hilfreiche Herrschaft über mein Leben anerkennen zu wollen, ist an bestimmten Punkten sogar naheliegend. Es ist anstrengend, es ist fordernd, und viele, die sich Christen nennen, ducken sich unter den meisten Forderungen Jesu gut weg – ich auch.

Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, diesen Weg zu probieren. Nicht fortzulaufen. Nicht zu spotten. Auch wenn die Versuchung ganz nah ist.

Denn wenn ich mich freiwillig unter diese Herrschaft stelle, wenn ich sie für mein Leben anerkenne und immer wieder versuche, dieser Herrschaft gemäß zu leben, dann kann ich sicher sein, dass Gott an meiner Seite durch die Höhen und Tiefen des Lebens geht.

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