Samstag, 7. Dezember 2019

Geliebt 7 – Blumen in "Die Nickel Boys" von Colson Whitehead

In seinem Roman "Die Nickel Boys" seziert Colson Whitehead die Wunden, die staatliche Besserungsanstalten in den 1960er Jahren jungen Männer in den USA gerissen haben. Seine Darstellung einer rigorosen und von willkürlicher Gängelung geprägten Gefängniswelt ist emotional sehr aufrüttelnd.
Einer der Protagonisten wird viele Jahre später beschrieben, wie er immer noch dabei ist, normale menschliche Verhaltensweisen auszuloten.
Elwood wartet auf der Straße auf seine Frau, um mit ihr Essen zu gehen.

Graffito, Berlin, 2013.
"Da regte sich ein Wunsch – er würde ihr gern Blumen kaufen, wie vor acht Jahren, zu Beginn ihrer Beziehung. Damals hatte er sie beim Fundraising im Hale House Center zum ersten Mal erblickt, sie hatte ihre Lose in ihrer akkuraten Handschrift ausgefüllt. Tun das normale Männer – kaufen sie Blumen ohne konkreten Anlass? Er hatte die Anstalt vor zig Jahren verlassen, verbrachte aber bis heute täglich Zeit damit, die Sitten normaler Menschen zu dechiffrieren. Jener Leute, die eine glückliche Kindheit gehabt, drei Mahlzeiten pro Tag und einen Gutenachtkuss bekommen hatten [...].
Sie verspätete sich. Wenn er sich sputete, konnte er es noch bis zum Broadway schaffen und in einem koreanischen Deli ein billiges Bukett kaufen, bevor sie erschiene.
'Was gibt es zu feiern?', würde sie fragen.
Dass wir in der freien Welt sind.
Er hätte rechtzeitig an die Blumen denken müssen, bei dem Deli draußen vor seinem Büro oder beim Verlassen der Subway, denn just in diesem Moment sagte sie: 'Da ist ja mein gutaussehender Gatte'".1

Gedanke zum Text:
Wie sieht Liebe "in der freien Welt" aus? Kauft ein Mann seiner Mann einfach so Blumen?
Mich erschüttern diese Fragen, die Elwood sich augenscheinlich stellt, denn in ihnen zeigt sich die Orientierungslosigkeit eines Traumatisierten. Liebe und Zuneigung sind für ihn nicht normal. Und doch möchte er seine Liebe irgendwie zum Ausdruck bringen.

Impuls:
Heute kann ich mich fragen, wie Liebe für mich aussieht. Ob ich sie eher in aufmunternden Worten oder eher in Zärtlichkeit, leichter in Hilfsbereitschaft oder in Geschenken ausdrücke und finde. Welche Sprache der Liebe bevorzuge ich?
Und kann ich Gottes Menschwerdung an Weihnachten, seine adventliche Annäherung an uns als seinen Ausdruck der Liebe erkennen?


1   C. Whitehead, Die Nickel Boys. München 2019, 198.

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