In
seinem Roman "Die
Nickel Boys"
seziert Colson Whitehead die Wunden, die staatliche
Besserungsanstalten in den 1960er Jahren jungen Männer in den USA
gerissen haben. Seine Darstellung einer rigorosen und von
willkürlicher Gängelung geprägten Gefängniswelt ist emotional
sehr aufrüttelnd.
Einer
der Protagonisten wird viele Jahre später beschrieben, wie er immer
noch dabei ist, normale menschliche Verhaltensweisen auszuloten.
Elwood
wartet auf der Straße auf seine Frau, um mit ihr Essen zu gehen.
Graffito, Berlin, 2013. |
"Da regte sich ein Wunsch –
er würde ihr gern Blumen kaufen, wie vor acht Jahren, zu Beginn
ihrer Beziehung. Damals hatte er sie beim Fundraising im Hale House
Center zum ersten Mal erblickt, sie hatte ihre Lose in ihrer
akkuraten Handschrift ausgefüllt. Tun das normale Männer – kaufen
sie Blumen ohne konkreten Anlass? Er hatte die Anstalt vor zig Jahren
verlassen, verbrachte aber bis heute täglich Zeit damit, die Sitten
normaler Menschen zu dechiffrieren. Jener Leute, die eine glückliche
Kindheit gehabt, drei Mahlzeiten pro Tag und einen Gutenachtkuss
bekommen hatten [...].
Sie verspätete sich. Wenn er sich
sputete, konnte er es noch bis zum Broadway schaffen und in einem
koreanischen Deli ein billiges Bukett kaufen, bevor sie erschiene.
'Was gibt es zu feiern?', würde sie
fragen.
Dass wir in der freien Welt sind.
Er hätte rechtzeitig an die Blumen
denken müssen, bei dem Deli draußen vor seinem Büro oder beim
Verlassen der Subway, denn just in diesem Moment sagte sie: 'Da ist
ja mein gutaussehender Gatte'".1
Gedanke zum Text:
Wie sieht Liebe "in der freien
Welt" aus? Kauft ein Mann seiner Mann einfach so Blumen?
Mich erschüttern diese Fragen, die
Elwood sich augenscheinlich stellt, denn in ihnen zeigt sich die
Orientierungslosigkeit eines Traumatisierten. Liebe und Zuneigung
sind für ihn nicht normal. Und doch möchte er seine Liebe irgendwie
zum Ausdruck bringen.
Impuls:
Heute kann ich mich fragen, wie Liebe
für mich aussieht. Ob ich sie eher in aufmunternden Worten oder eher
in Zärtlichkeit, leichter in Hilfsbereitschaft oder in Geschenken
ausdrücke und finde. Welche Sprache
der Liebe bevorzuge ich?
Und kann ich Gottes Menschwerdung an
Weihnachten, seine adventliche Annäherung an uns als seinen Ausdruck
der Liebe erkennen?
1 C.
Whitehead, Die Nickel Boys. München 2019, 198.
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