Montag, 23. Dezember 2019

Geliebt 23 – Pferdeschwänze in "Monster" von Yishai Sarid

Yishai Sarids beeindruckendes Buch über die Erinnerung an den Holocaust ist als Brief eines Tourguides an seine Auftraggeber gehalten. Schonungslos erzählt er von seinen Eindrücken der israelischen Gruppen, die in Polen die Lager und Erinnerungsstätten besuchen. Hier spricht er über einen Besuch an den Orten des Aufstands im Warschauer Ghetto:

Graffito, Berlin, 2012.
"...ihnen ist kalt und sie möchten bloß ins Hotel und einen Hauch Ausland spüren.Vom Friedhof fahren wir sie im Bus dahin, wo einst das jüdische Viertel war, zum Umschlagplatz, und dann zum Kommandobunker der Aufständischen in der Mila-Straße 18. Die waren nur wenig älter als ihr, erkläre ich ihnen, hatten kaum Waffen, nur Molotowcocktails und ein paar Granaten und Pistolen, und damit haben sie beinah einen Monat lang die deutsche Besatzungsmacht aufgehalten. Ich stand vor ihnen und bemühte mich, Leid und Heldentum bildhaft darzustellen, hielt mich an all eure Vorgaben, ohne nach rechts oder links abzuweichen, war ein braves Kind, versuchte mit aller Kraft, die Jeans und die Leggins und die Locken und die Pferdeschwänze und die dicken Jacken und das schnelle, seichte Schwatzen und den apathischen Blick und die Telefone zu überwinden und in ihre Köpfe und Herzen einzudringen. Nie würde es mir ganz gelingen, denn dafür liebte ich sie nicht genug, wie ich erst heute erkenne."1

Bemerkung zum Text:
Da scheint ein Idealist zu sprechen, der hart mit der Realität einer mäßig interessierten Jugend kofrontiert wird. Er will Brücken schlagen zwischen den Verbrechern und den Jugendlichen, zwischen den Kämpfern und denen, die zu erreichen er sich vorgenommen hat.
Doch wie erreicht man einen Menschen wirklich? Eine Frage, die sich auch die Kirche heute immer wieder stellt, wenn sie ihre Botschaft neu zu den heutigen Menschen bringen will.

Impuls:
Am Ende dieses Advents schaue ich darauf, wie ich mein Leben bewältige. Wenn ich etwas nicht oder nicht gut schaffe, kann es dann auch mit meinem Mangel an Liebe zu tun haben? Ich bitte Gott um die Liebe, die ich brauche, damit mein Leben gelingt.



1   Y. Sarid, Monster. Zürich, Berlin 2019, 17f.

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