Yishai Sarids beeindruckendes Buch über
die Erinnerung an den Holocaust ist als Brief eines Tourguides an
seine Auftraggeber gehalten. Schonungslos erzählt er von seinen
Eindrücken der israelischen Gruppen, die in Polen die Lager und
Erinnerungsstätten besuchen. Hier spricht er über einen Besuch an
den Orten des Aufstands im Warschauer Ghetto:
Graffito, Berlin, 2012. |
"...ihnen ist kalt und sie
möchten bloß ins Hotel und einen Hauch Ausland spüren.Vom Friedhof
fahren wir sie im Bus dahin, wo einst das jüdische Viertel war, zum
Umschlagplatz, und dann zum Kommandobunker der Aufständischen in der
Mila-Straße 18. Die waren nur wenig älter als ihr, erkläre ich
ihnen, hatten kaum Waffen, nur Molotowcocktails und ein paar Granaten
und Pistolen, und damit haben sie beinah einen Monat lang die
deutsche Besatzungsmacht aufgehalten. Ich stand vor ihnen und bemühte
mich, Leid und Heldentum bildhaft darzustellen, hielt mich an all
eure Vorgaben, ohne nach rechts oder links abzuweichen, war ein
braves Kind, versuchte mit aller Kraft, die Jeans und die Leggins und
die Locken und die Pferdeschwänze und die dicken Jacken und das
schnelle, seichte Schwatzen und den apathischen Blick und die
Telefone zu überwinden und in ihre Köpfe und Herzen einzudringen.
Nie würde es mir ganz gelingen, denn dafür liebte ich sie nicht
genug, wie ich erst heute erkenne."1
Bemerkung zum Text:
Da scheint ein Idealist zu sprechen,
der hart mit der Realität einer mäßig interessierten Jugend
kofrontiert wird. Er will Brücken schlagen zwischen den Verbrechern
und den Jugendlichen, zwischen den Kämpfern und denen, die zu
erreichen er sich vorgenommen hat.
Doch wie erreicht man einen Menschen
wirklich? Eine Frage, die sich auch die Kirche heute immer wieder
stellt, wenn sie ihre Botschaft neu zu den heutigen Menschen bringen
will.
Impuls:
Am Ende dieses Advents schaue ich
darauf, wie ich mein Leben bewältige. Wenn ich etwas nicht oder
nicht gut schaffe, kann es dann auch mit meinem Mangel an Liebe zu
tun haben? Ich bitte Gott um die Liebe, die ich brauche, damit mein
Leben gelingt.
1 Y.
Sarid, Monster. Zürich, Berlin 2019, 17f.
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