Beim Aufräumen und Sortieren hat
Günter Kunert diesen Roman nach eigener Aussage wiedergefunden,
entstanden in den frühen 1970ern, wurde er in diesem Jahr erstmals
veröffentlicht und spiegelt eine Beziehung, ein Lebensgefühl aus
der DDR und eine Liebe.
Nach vielen Seiten Stress und Ärger
liegt das Paar nun im Anschluss an eine alkoholschwere
Geburtstagsfeier nebeneinander im Bett. Sie erzählt aus ihrer
Kindheit:
Graffito, Berlin, 2012. |
"'Ich habe mir immer gewünscht,
Königin zu sein. In einem wunderbaren Schloss. Alle würden mich
beneiden, die andern Kinder, deren Eltern und die Leute in meiner
Straße. Jeder müsste meinem Befehl gehorchen...' Und während beide
mit den Nasen zueinander liegen, erblüht im Gespräch über jene
ferne Vergangenheit ein Gemeinschaftsgefühl zwischen ihnen; wie im
Zeitraffer wächst es auf, entfaltet breite Blätter, verästelt
sich, überwölbt sie, dass sie fast dahinter verschwinden:
vorbehaltloses gegenseitiges Verständnis, Concordia
der Name solcher Pflanze, nahrhaft, ohne das Alkali des Argwohns. In
der Erinnerung an die Kindheit begegnen sich zwei Menschen im Zustand
vor der Deformation. Sie treffen sich im verlorenen
Paradies, wo man einander ohne Arg gegenübertritt ..."1
Bemerkung zum Text:
Miteinander eine gemeinsame Geschichte
und Gegenwart zu teilen, kann durch viele Ärgernisse hindurch zu
einem tiefen Vertrauen führen. Auch wenn die vorherigen Teile des
Buches nahezu ausschließlich vom Gegenteil reden, liegen die beiden
nun beieinander, zurückgekehrt in die Heimat, das verlorene
Paradies. Kein Argwohn, kein Misstrauen, kein Ärger zwischen ihnen.
Impuls:
Wie geht es mir mit dem Misstrauen?
Schaffe ich es bisweilen, meine negative Brille abzusetzen und den
Zorn hinter mir zu lassen. Heute nehme ich mir für die nächsten
Tage eine konkret anstehende Begegnung vor, in der ich mehr von
diesem Paradies des Verständnisses erspüren möchte.
1 G.
Kunert, Die zweite Frau. Göttingen 2019, 190.
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