Mittwoch, 4. Dezember 2019

Geliebt 4 – Knie in "Das Elend und die Welt" von Wolfgang Herrndorf

Die aus dem Nachlass herausgegebenem Schriften von Wolfgang Herrndorf sind sehr verschieden. Es eint sie ihre Kürze und der autortypische Ton, der von lakonisch bis zynisch, von traurig bis herzerwärmend reicht, in nahezu jedem Fall einmal (auch) zum Lächeln herausfordert.
So wie in diesem Liebesgedicht:

Das Elend und die Welt
Graffito, Berlin, 2012.

Seit mir dein Mund gefällt,
Weiß ich und geh zugrund,
Das Elend und die Welt
Sind unzertrennlich, und

Von Gram und Wodka pur
Bis unter Haut und Hemd
Und wider die Natur
Zerfressen und getrennt,

Auf Knien bitt ich dich,
Erbarm dich endlich mein -
Du bist die Welt für mich,
Lass mich dein Elend sein.1

Eindruck des Textes:
Möchte ich so geliebt werden? Ich weiß nicht...
Die um Erbarmen flehende unglückliche Liebe kann einen großen Schmerz bedeuten – und zwar nicht nur für den Liebenden, sondern auch für die solchermaßen umworbene Person. Geliebt zu werden ist dann wirklich anstrengend.

Impuls:
Heute schaue ich auf Gottes Liebe zu mir, die er besonders durch seine Menschwerdung zeigt. Finde ich das (zu) anstrengend? Erhöre ich ihn? Zeige ich ihm die kalte Schulter? Oder lasse ich mich lieben?


1   W. Herrndorf, Stimmen. Texte, die bleiben sollten. Berlin 2018, 162.

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