Graffito, Berlin, 2012. |
"'Ab jetzt dürfen Sie faul
sein', sage ich, damit Frau Guse wohlig seufzen kann, was sie
planmäßig tut, um wiederum selig lächelnd von ihrer Brustprothese
zu sprechen, die sie zwar hat, aber nie benutzt, womit wir wieder die
Krankheiten schrammen, was ich durch ein Lob für ihre luftige Bluse
galant auffange, welche so leger falle, dass man nichts von der
fehlenden Brust merke. Jawohl, gesteht Frau Guse mit kokettem
Augenniederschlag, sie kleide sich gern locker, leicht und
farbenfroh. Das ist der Moment, in dem ich die Kundin endgültig zur
Königin mache: Ich trete mit dem Fuß auf die Pedalerie, und leise
surrend fährt Frau Guse samt Fußpflegestuhl – der pinkfarbene
Thron in weißem Ambiente – in eine Höhe, die uns immer wieder zu
dem Scherz animiert, dass Frau Guse demnächst durch die Decke stößt
[...] und jetzt, nachdem Frau Guse ihre königliche Höhe erreicht
hat, kriege auch ich als ihre Dienerin meinen Sitzplatz, indem ich
mir den weißen Rollhocker unter den Hintern ziehe. Brille uff und
ran anne Buletten."1
Gedanke zum Text:
Eine kranke Rentnerin aus der
ehemaligen DDR für eine halbe Stunde zur Königin machen, das finde
ich eine solch tolle Dienstleistung, dass davon durchaus noch mehr
angeboten werden könnten. Vielleicht würde hier nicht jeder von
einem Liebesbeweis sprechen, aber der Autor ist es augenscheinlich
genau darum zu tun.
Impuls:
Wenn ich an die Menschen in meiner
Umgebung denke – was würde ihnen helfen, sich königlicher zu
fühlen. Und wie kann ich heute mit einer kleinen Handlung dazu
beitragen?
1 K.
Oskamp, Marzahn Mon Amour. Geschichten eine Fußpflegerin. 5. Aufl.
Berlin 2019, 15f.
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