Die Vielfalt der biblischen Visionen
ist immer wieder erstaunlich.
Johannes der Täufer zerstört im
Evangelium (Mt 3,1-12) die adventliche Besinnlichkeit durch seine
drastische Sprache, wenn er ankündigt: "jeder Baum, der
keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer
geworfen" (v10).
Kurz davor aber haben wir gerade in der
Lesung (Jes 11,1-10) gehört, wie der Prophet Jesaja eine göttliche
Friedenszeit erhofft: "Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der
Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen"
(v6).
Wie passt die Friedfertigkeit, die
Jesaja verheißt, zu der Aggressivität des Johannes?
Verkündet der alttestamentliche
Prophet einen anderen Gott oder eine andere Version von Gottes
Herrschaft als der Vorläufer Jesu?
Zwei Ebenen. Berlin-Mitte von oben, 2019. |
Die Frage lässt sich eigentlich recht
einfach aufklären, wenn wir genauer in die Texte schauen.
Johannes zog sich von den Menschen
zurück in die Wüste, um die Menschen dort zu einem Neuanfang
aufzurufen. Denn die Wüste ist leer und einsam. Ein Ort, an dem
nichts ist, kann gut als Nullpunkt dienen. So bietet die Wüste die
Möglichkeit eines Neuanfangs, Johannes nennt das (so wie später
auch Jesus) die "Umkehr".
Einige aus den religiösen Eliten der
damaligen Zeit, "Pharisäer und Sadduzäer" (v7),
beschimpft Johannes besonders deftig. Im Kern wirft er ihnen vor,
dass sie gar nicht umkehren und neu anfangen wollen, sondern sich auf
das zurückziehen, was sie schon haben, nämlich "Abraham zum
Vater" (v9). Diese Zugehörigkeit zu Abraham erachten sie
als ausreichend – nicht aber Johannes.
Nicht die Herkunft und nicht die
Vorfahren sind entscheidend, um vor Gott zu bestehen, sondern die
eigenen Früchte der Umkehr (vgl. v8). Jeder und jede muss sich
selbst auf den Weg machen.
Wer das nicht will, der hat nach
Johannes keine Chance, unter der Herrschaft Gottes zu leben. Denen,
die dafür keine eigenen Anstrengungen unternehmen wollen, kündigt
er Axt und Feuer an.
Axt und Feuer aber sind nicht das Ziel,
um das es geht und das Ziel liegt auch nicht in der Wüste, sondern
das Ziel ist die Herrschaft Gottes.
Darauf weist gleich der zweite Satz der
Johannespredigt hin: "Das Himmelreich ist nahe"
(v2). Weil er am Anfang steht, kann man ihn leicht übersehen. Aber
genau darum geht es eigentlich: Die Wüste ist nur der Nullpunkt, von
dem aus es erst in Richtung dieses Himmelreiches losgehen soll.
Und von diesem Himmelreich spricht auch
Jesaja, wenn er seine vielen Beispiele von friedlichem Miteinander
anführt.
Was bei Johannes noch eine Forderung
war, nämlich umzukehren, ist hier schon Wirklichkeit geworden. "Man
tut nichts Böses mehr" (v9) ist das inhaltliche Zentrum der
Vision des Propheten.
So wird klar, dass es sich bei den
Ankündigungen von Johannes und Jesaja um zwei verschiedene Dinge
handelt, die nacheinander liegen.
Auch Johannes verkündet das
Friedensreich Gottes. Ob seine Wut auf die Selbstgerechtigkeit
einiger Weniger und seine Strafandrohungen gegen sie eine passende
Sprache für ein Reich ist, das erfüllt ist "von der
Erkenntnis des Herrn" (Jes 11,9), das kann man durchaus
fragen.
Vielleicht kann man so zusammenfassen:
Johannes der Täufer hat eher die richtige Vorbereitung auf das
Himmelreich vor Augen, während Jesaja sich darauf konzentriert, wie
dieses Reich dann aussieht.
Auch wir können uns im Advent
natürlich fragen, wo wir unsere Akzente setzen: Gehen wir lieber
langsam und Schritt für Schritt durch den Advent oder sind wir
innerlich schon beim großen Fest angekommen und überlegen, wie es
bei uns zu Hause dann aussehen soll?
Oder allgemein: Sind wir eher die
zornigen Typen, die darauf hinweisen, was erst noch alles passieren
muss – oder sind wir diejenigen, die am liebsten jetzt schon ein
friedliches Miteinander pflegen?
Veränderung. Rusinowo, 2019. |
2. Veränderung
Johannes der Täufer macht klar, dass
sich etwas ändern muss.
Manchmal sind diese ganzen Rufe nach
Veränderung ja ziemlich anstrengend.
Denn irgendwie rufen heute alle nach
Veränderung. Und manchmal durchaus zu Recht: Die SPD soll aus der
Großen Koalition aussteigen – Donald Trump soll seines Amtes
enthoben werden – Wir müssen umweltfreundlicher leben – Es
braucht mehr bezahlbaren Wohnraum...
Mal kann man mehr zustimmen, mal
weniger.
Manche können es schon gar nicht mehr
hören und ziehen sich lieber in ihre vier Wände und vor den
Fernseher zurück.
Und die Frage ist ja auch oft, ob es
überhaupt etwas bringt, wenn ich persönlich etwas ändere.
Im Gefängnis erlebe ich oft, dass die
Inhaftierten resigniert sind, wenn sie brav ihre Tataufarbeitung
gemacht haben, am Anti-Aggressions-Training teilnehmen, die
Soziale-Kompetenz-Gruppe absolviert haben und dann sehen: Ah, ich
habe immer noch drei Jahre vor mir und mein Gruppenleiter wird mir
keine frühzeitigen Lockerungen oder eine Verlegung in den Offenen
Vollzug spendieren. Ich tue mein Bestes – und es ändert sich doch
nichts.
Selbst wenn jemand nachweisbar ein
Engel geworden sein sollte, hat er doch vor dem Gesetz nichts davon.
Denn im Rechtssystem sind meist lange Zeiten des Wartens vorgesehen,
bevor äußere Änderungen eintreten.
So geht es uns ja auch oft genug.
Unsere Geduld wird manchmal schon ziemlich strapaziert.
Und immer muss an vielen Rädchen
gedreht werden, damit Änderungen eintreten.
Der Advent könnte ja so eine Zeit
sein, in der ich versuche, die Änderungen nicht übers Knie zu
brechen, sondern im Bewusstsein dessen, dass sich in meinem Leben
vieles ändern muss, Geduld zu üben. Kleine Schritte zu tun und
nicht aufzugeben, wenn sich dann nicht gleich viel bewegt.
Und eine zweite Anregung, wenn wir
Veränderungsaufrufe manchmal zu anstrengend finden:
Johannes spricht, so wie Jesus später,
von der "guten Frucht" (vgl. v10), die wir bringen sollen.
Die Früchte sind das, was ganz von
selbst aus uns herauskommt. Und die guten Früchte kommen, wenn wir
unsere guten Talente, die Gott uns gegeben hat, auch nutzen.
Ich muss mich doch nicht immer dort
verausgaben, wo ich keine Talente habe. Ich bringe einfach die guten
Früchte, die kommen, wenn ich meine Talente einsetze.
3. Rettergestalten
Und eine letzte Frage stellt sich mir:
Was für einen Retter erwarten denn diese beiden?
Johannes der Täufer ist auch hier
wieder deftig:
"Der aber, der nach mir kommt,
ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe
auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer
taufen." (v11)
Großer Friede. Kirchmöser, 2017. |
Der angekündigte Messias überbietet
alles. Er ist stärker, er ist wertvoller, er tauft nicht mit Wasser,
sondern mit Feuer und Heiligem Geist.
Wenn wir das ernst nehmen, dann kann
das für uns ja eine Möglichkeit sein, kritisch auf die
Rettergestalten zu schauen, die sich heute so anbieten. Das mögen
Politiker sein, die sich wie ein Messias aufführen, das kann Papst
Franziskus sein, in den manche ihre ganzen Träume einer neuen Kirche
projizieren, das kann eine Greta Thunberg aus Schweden sein, an der
sich Liebe und Hass entzünden, als ob in dieser einen Person Rettung
oder Untergang gebündelt wären.
Wenn wir es mir Johannes dem Täufer
halten, schauen wir kritisch auf die Rettungsangebote und halten im
Kopf immer einen Platz frei für den, der erst noch kommt und die
Welt gerade rückt, für Jesus.
Jesaja wiederum erzählt sehr
ausführlich von den Retterqualitäten des angekündigten Messias:
Er wird vielfach mit dem göttlichen
Geist ausgestattet sein, er wird gerecht sein und treu, er wird den
Frieden bringen und so weiter und so fort.
Zwei Dinge finde ich bemerkenswert:
Einmal: "Er richtet nicht nach
dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er"
(v3) – es muss dann also einer sein, der sich selbst ein Bild von
der Situation macht und dementsprechend gut richten kann. Um sich ein
Bild zu machen, muss man sich dorthin begeben, wo es brennt.
Und genau darum geht es ja an
Weihnachten: Gott kommt in eine Welt, in der es anstrengend und
mühsam ist – und er kriegt es gleich am Anfang mit, wie die Armen
des Landes leben, wird selbst in einem Stall geboren, von den armen
Hirten besucht.
Gott schaut also genau hin und er geht
dorthin, wo die Not ist.
Dazu lädt er auch uns ein. Schauen wir
in diesem Advent genau hin, lassen wir nicht den ersten "Augenschein"
und das "Hörensagen" herrschen. Dann wird
Gerechtigkeit aufblühen.
Und dann: Dieser angekündigte Retter
wird einen Frieden bringen, der nicht auf dich und mich und nicht nur
auf den Frieden zwischen den Nationen angelegt ist.
Es ist ein Friede, der alles umfasst –
die ganze Schöpfung, Große und Kleine, Tiere und Menschen sind
dabei gemeint
Und ich glaube, dass Jesaja hier eine
tiefe Sehnsucht trifft, die auch in der heutigen Umweltbewegung
steckt. Wir haben keinen Frieden mit dieser Welt. Wir produzieren
Müll, wir machen Dreck, wir werfen in einem fort Plastik weg, wir
kaufen, um sofort wieder etwas Neues zu haben, wir leben auf Kosten
unserer Erde. Das ist kein Frieden!
Dort, wo Umweltpolitik sich christlich
legitimieren oder auf die Bibel beziehen will, dort muss sie
Ausbeutung und Raubbau und Tierquälerei beenden.
Wir werden das wohl nicht erleben,
genausowenig wie den großen Schöpfungsfrieden.
Aber es ist gut zu wissen, dass die
Bibel das im Blick hat – und dass dieser von Jesaja verheißene
Retter auch für unser ökologisches Handeln ein kritisches Korrektiv
sein kann.
Kreuz und Fenster. Kirchmöser, 2017. |
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