Aus gegebenem Anlass denke ich
derzeit viel über gelingende (und nicht gelingende) Kommunikation
nach. In meinem Fall ist es der Kontakt mit einem Bildungsträger,
der mich in diesen Tagen sehr angestrengt und schließlich dazu
geführt hat, einige grundsätzliche Gedanken für mich neu zu
formulieren.
1. „Ich kann das machen. Du willst
das nicht, aber ich kann das machen.“
Diesen Satz hörte ich neulich von
meiner Tochter – geäußert zu ihrer kleinen Schwester. Und
tatsächlich kann sie sich gewisse Freiheiten ja durchaus nehmen; in
dem Fall ging es darum, ein Lied immer wieder zu singen, von dem die
Kleine genervt war.
Schwarze Steine nicht einfach zerbrochen liegen lassen! Ostseestrand, Pomorskie Zachodnie, 2019. |
Bei Paulus lesen wir bezüglich des
Genusses von heidnischem Götzenopferfleisch, das auf dem Markt von
Korinth gekauft werden konnte, dass dessen Verzehr keinen Schaden
anrichtet. Aber es gab trotzdem einige Gemeindemitglieder, die sich
daran stießen. Darum schreibt der Apostel sinngemäß: Gib Acht,
dass deine innere Freiheit keinen Ärger bei anderen verursacht.
(Vgl. 1Kor 8)
Oder kurz davor: "Alles ist mir
erlaubt – aber nicht alles nützt mir." (1Kor 6,12)
Auf die Kommunikationssituation
angewendet: Sicher habe ich gewisse Rechte, die ich gewahrt wissen
will. Sicher sehe ich Probleme oder Fehler und sicher kann ich auf
sie hinweisen.
Aber nützt es mir wirklich?
Bin ich wirklich besser dran, wenn ich
alles tue, was grundsätzlich möglich ist, alle Konflikte aufmache
und alle Rechte einfordere?
Diese Fragen kann man strategisch
beantworten: Um des lieben Friedens willen muss ich eben weniger
forsch auftreten. Denn ich mache mir klar, dass das Hinweisen auf
jeden kleinen Fehler einer Kommunikation auf Dauer eher schadet als
nützt. (das ist auch der einzige innere Link zum aktuellen
Sonntagsevangelium
(Lk 14,25-33).)
Oder aber man formuliert
beziehungstechnisch: Hilft es mir auf lange Sicht auf der
Beziehungsebene? Ist es mir wichtiger, jedes Recht durchzusetzen oder
in entspannteren Beziehungen zu bleiben?
Ich kann unterschiedlich reagieren. Aus
christlicher (bzw. paulinischer) Perspektive kann vielleicht gesagt
werden, dass ich nicht jedes Recht einfordern und nicht jeden
Konfliktraum bis zum Ende durchschreiten muss, sondern vorher schon
sagen kann: "Du willst das nicht – ich nehme Rücksicht auf
dich."
2. "Ich sage das jetzt zum
letzten Mal!"
Wie oft höre ich mich diesen Satz zu
meinen Kindern sagen – und schiebe eventuell noch ein "Sonst
geht das oder das nicht..." hinterher. Furchtbar eigentlich.
Ausdruck meiner erzieherischen Überforderung.
Einfach noch einmal anbauen. Wildau, 2019. |
Auch in anderen Konflikten gibt es
Eskalationsstufen – und wie froh wäre ich, mancher Schritt würde
erst ein bisschen später gegangen.
Jesus empfiehlt nach Matthäus ein
ebenso dosiertes Vorgehen: Geh erst allein und unter vier Augen, wenn
das nicht geht, unter Zeugen und dann erst hole dir eine Autorität
dazu! (vgl. Mt 18,15-17)
Leider endet die Sentenz mit dem
möglichen Ausschluss aus der Gemeinschaft – und setzt sogar noch
hinterher: "Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden
binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was
ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein."
(v18) Also sind alle von der irdischen Kirche nicht gelösten
Konflikte auf ewig ungelöst? Das wäre ja furchtbar (aber eine
andere, weitläufige theologische Frage).
Spannend ist, dass Jesus direkt im
Anschluss daran seine Jünger dazu auffordert, den Mut nicht
verlieren und auf die kleinliche Frage des Petrus, ob er "bis
zu siebenmal" (v21) vergeben müsse, antwortet: "Ich
sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal
siebenmal." (v22)
Nach weitverbreiteter Auslegung heißt
das: Vergib immer wieder! (Sehr anschaulich sind dazu die wieder und
wieder geäußerten Vergebungsbitten des Verräters in "Silence"
von Martin Scorsese)
Kein letztes Wort also!
Oder: Nach dem letzten Wort gibt es
immer noch ein weiteres Wort.
Ich lese daraus den Anspruch, dass wir
immer wieder aufeinander zugehen müssen. Auch wenn es emotional noch
so schwer fällt und auch wenn viele hocheskalierende Situationen
sich mit letzten Worten abwechseln: Immer noch einmal losgehen und
die Hand ausstrecken!
3. "In den Schuhen meines
Gegenübers"
Passend zu dieser Prämisse sehe ich
aktuelle Parallelen in der großen Politik: In Italien haben es die
lange zerstrittenen politischen Parteien der Fünf-Sterne-Bewegung
und der Sozialdemokraten geschafft, eine neue Regierung zu bilden.
Und in Großbritannien stimmten in der nächsten heißen Phase der
innenpolitischen Konflikt um den Brexit einzelne konservative
Politiker mit Labour für das Gesetz, das einen No-Deal-Brexit
verhindern soll.
Auch in solchen völlig verfeindeten
Lagern ist es also möglich, die lang gepflegten Gegensätze zu
überwinden. Es mögen vielleicht Einzelfälle sein – aber diese
leuchten dafür umso sichtbarer.
Das macht mir Mut.
Für meine konkreten Erlebnisse hoffe
ich, dass nicht nur ein gemeinsamer Gegner (wie Boris Johnson oder
Matteo Salvini) dazu führt, dass man strategisch aufeinander zugeht.
Sondern dass wir versuchen können, "in
den Schuhen des Gegenübers zu gehen" – also versuchen, seine
Perspektive einzunehmen und ihm zuzugestehen, dass er mit seinen Möglichkeiten ebenso das Gute erreichen will. Aber auch umgekehrt.
P.S.
Als ich das Thema
Kommunikation und Konflikt anhand von Mt 18 einmal in meiner
polnischsprachigen Gruppe im Gefängnis angesprochen habe, kam unter
anderem der Vorschlag, in solchen Situationen miteinander zu beten.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass das nur gesagt wurde, weil man das
dem Seelsorger nun mal sagen muss, sondern dass das ein Vorschlag
war, der von Herzen kam...
P.P.S.
Ein Text zu einer weiteren Kommunikationssituation zum Thema: Jemanden getröstet wegschicken findet sich hier.
Perspektivwechsel - Einfach mal runterkommen! Bodemuseum, Berlin-Mitte, 2018. |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen