Samstag, 7. September 2019

Das Wort nach dem letzten Wort. Über gelingendere Kommunikation

Aus gegebenem Anlass denke ich derzeit viel über gelingende (und nicht gelingende) Kommunikation nach. In meinem Fall ist es der Kontakt mit einem Bildungsträger, der mich in diesen Tagen sehr angestrengt und schließlich dazu geführt hat, einige grundsätzliche Gedanken für mich neu zu formulieren.


1. „Ich kann das machen. Du willst das nicht, aber ich kann das machen.“
Diesen Satz hörte ich neulich von meiner Tochter – geäußert zu ihrer kleinen Schwester. Und tatsächlich kann sie sich gewisse Freiheiten ja durchaus nehmen; in dem Fall ging es darum, ein Lied immer wieder zu singen, von dem die Kleine genervt war.
Schwarze Steine nicht einfach zerbrochen liegen lassen!
Ostseestrand, Pomorskie Zachodnie, 2019.
Bei Paulus lesen wir bezüglich des Genusses von heidnischem Götzenopferfleisch, das auf dem Markt von Korinth gekauft werden konnte, dass dessen Verzehr keinen Schaden anrichtet. Aber es gab trotzdem einige Gemeindemitglieder, die sich daran stießen. Darum schreibt der Apostel sinngemäß: Gib Acht, dass deine innere Freiheit keinen Ärger bei anderen verursacht. (Vgl. 1Kor 8)
Oder kurz davor: "Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir." (1Kor 6,12)
Auf die Kommunikationssituation angewendet: Sicher habe ich gewisse Rechte, die ich gewahrt wissen will. Sicher sehe ich Probleme oder Fehler und sicher kann ich auf sie hinweisen.
Aber nützt es mir wirklich?
Bin ich wirklich besser dran, wenn ich alles tue, was grundsätzlich möglich ist, alle Konflikte aufmache und alle Rechte einfordere?
Diese Fragen kann man strategisch beantworten: Um des lieben Friedens willen muss ich eben weniger forsch auftreten. Denn ich mache mir klar, dass das Hinweisen auf jeden kleinen Fehler einer Kommunikation auf Dauer eher schadet als nützt. (das ist auch der einzige innere Link zum aktuellen Sonntagsevangelium (Lk 14,25-33).)
Oder aber man formuliert beziehungstechnisch: Hilft es mir auf lange Sicht auf der Beziehungsebene? Ist es mir wichtiger, jedes Recht durchzusetzen oder in entspannteren Beziehungen zu bleiben?
Ich kann unterschiedlich reagieren. Aus christlicher (bzw. paulinischer) Perspektive kann vielleicht gesagt werden, dass ich nicht jedes Recht einfordern und nicht jeden Konfliktraum bis zum Ende durchschreiten muss, sondern vorher schon sagen kann: "Du willst das nicht – ich nehme Rücksicht auf dich."



2. "Ich sage das jetzt zum letzten Mal!"
Wie oft höre ich mich diesen Satz zu meinen Kindern sagen – und schiebe eventuell noch ein "Sonst geht das oder das nicht..." hinterher. Furchtbar eigentlich. Ausdruck meiner erzieherischen Überforderung.
Einfach noch einmal anbauen.
Wildau, 2019.
Auch in anderen Konflikten gibt es Eskalationsstufen – und wie froh wäre ich, mancher Schritt würde erst ein bisschen später gegangen.
Jesus empfiehlt nach Matthäus ein ebenso dosiertes Vorgehen: Geh erst allein und unter vier Augen, wenn das nicht geht, unter Zeugen und dann erst hole dir eine Autorität dazu! (vgl. Mt 18,15-17)
Leider endet die Sentenz mit dem möglichen Ausschluss aus der Gemeinschaft – und setzt sogar noch hinterher: "Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein." (v18) Also sind alle von der irdischen Kirche nicht gelösten Konflikte auf ewig ungelöst? Das wäre ja furchtbar (aber eine andere, weitläufige theologische Frage).
Spannend ist, dass Jesus direkt im Anschluss daran seine Jünger dazu auffordert, den Mut nicht verlieren und auf die kleinliche Frage des Petrus, ob er "bis zu siebenmal" (v21) vergeben müsse, antwortet: "Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal." (v22)
Nach weitverbreiteter Auslegung heißt das: Vergib immer wieder! (Sehr anschaulich sind dazu die wieder und wieder geäußerten Vergebungsbitten des Verräters in "Silence" von Martin Scorsese)
Kein letztes Wort also!
Oder: Nach dem letzten Wort gibt es immer noch ein weiteres Wort.
Ich lese daraus den Anspruch, dass wir immer wieder aufeinander zugehen müssen. Auch wenn es emotional noch so schwer fällt und auch wenn viele hocheskalierende Situationen sich mit letzten Worten abwechseln: Immer noch einmal losgehen und die Hand ausstrecken!


3. "In den Schuhen meines Gegenübers"
Passend zu dieser Prämisse sehe ich aktuelle Parallelen in der großen Politik: In Italien haben es die lange zerstrittenen politischen Parteien der Fünf-Sterne-Bewegung und der Sozialdemokraten geschafft, eine neue Regierung zu bilden. Und in Großbritannien stimmten in der nächsten heißen Phase der innenpolitischen Konflikt um den Brexit einzelne konservative Politiker mit Labour für das Gesetz, das einen No-Deal-Brexit verhindern soll.
Auch in solchen völlig verfeindeten Lagern ist es also möglich, die lang gepflegten Gegensätze zu überwinden. Es mögen vielleicht Einzelfälle sein – aber diese leuchten dafür umso sichtbarer.
Das macht mir Mut.
Für meine konkreten Erlebnisse hoffe ich, dass nicht nur ein gemeinsamer Gegner (wie Boris Johnson oder Matteo Salvini) dazu führt, dass man strategisch aufeinander zugeht.
Sondern dass wir versuchen können, "in den Schuhen des Gegenübers zu gehen" – also versuchen, seine Perspektive einzunehmen und ihm zuzugestehen, dass er mit seinen Möglichkeiten ebenso das Gute erreichen will. Aber auch umgekehrt.


P.S. 
Als ich das Thema Kommunikation und Konflikt anhand von Mt 18 einmal in meiner polnischsprachigen Gruppe im Gefängnis angesprochen habe, kam unter anderem der Vorschlag, in solchen Situationen miteinander zu beten. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das nur gesagt wurde, weil man das dem Seelsorger nun mal sagen muss, sondern dass das ein Vorschlag war, der von Herzen kam...


P.P.S.
Ein Text zu einer weiteren Kommunikationssituation zum Thema: Jemanden getröstet wegschicken findet sich hier.

Perspektivwechsel - Einfach mal runterkommen!
Bodemuseum, Berlin-Mitte, 2018.

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