Samstag, 1. Oktober 2016

Getröstet wegschicken? Ein Dilemma der Firmvorbereitung.

Es gibt Menschen wie die heilige Therese von Lisieux, deren Fest die Kirche heute feiert. Sie hatte eine feste Beziehung zu Gott und wollte schon im frühesten Alter in ein Karmelitinnenkloster eintreten. Nach mehrfachen Ablehnungen konnte sie mit Dispens des Ortsbischofs am 09. April 1888 das Postulat beginnen – im Alter von 15 Jahren!
Die Problemstellung, dass zu junge Menschen zu enthusiastisch ihre Nähe zur Kirche durch einen Eintritt ins Kloster ausdrücken wollen, haben wir heute in der Regel nicht. Auch sonst stellt sich die Gottesbeziehung heutiger junger Menschen ja selten so intensiv dar, dass man bremsen muss.

Ich jedenfalls hatte dieser Tage ein Gespräch, das mich in Konflikte stürzt. 
Es ging um die Firmvorbereitung unserer Gemeinde, die aus verschiedenen Modulen bestand, darunter Sozialeinsatz, Hauskreisgespräche, Kennenlernen kirchlicher Einrichtungen und Menschen in der Nachfolge Jesu vor Ort, Gottesdienstfeiern und eine gemeinsame Feier der Versöhnung. Kein Programm, das zu hohe geistliche Anforderungen stellt, aber das helfen sollte, in einem guten halben Jahr sich selbst und Gott in der Kirche vor Ort näher zu kommen.
Für die mehr oder weniger kirchlich sozialisierten Jugendlichen zwischen 16 und 18 bedeutet es in erster Linie regelmäßigen Zeiteinsatz und Reflexion über die eigenen Motivation zu diesem "Sakrament der Mündigkeit".

Jesu warnend-segnende Finger. München, 2015.
Mein Gespräch also hatte kein Ausbremsen religiösen Überschwangs zum Ziel, sondern die Vermittlung der Entscheidung unseres Teams, dass die Firmung für diese Person nach extrem wenig Teilnahme an der Vorbereitung nicht möglich erscheint.
Es ergab sich aus offensichtlich geringer Anfangsmotivation nur wenig Zeitinvestition und daraus eine so geringe Teilnahme zum derzeitigen Ende, dass eine verantwortete Entscheidung für die Firmung uns nicht möglich schien.

In solchen Situationen zeigen manche Leute sich einsichtig, dass zum Empfang des Sakraments die entsprechende Vorbereitung gehört.
Mein Konflikt bei diesem Gespräch aber war, dass die Person trotzdem gefirmt zu werden wünschte und eine Reihe von persönlichen Gründen durchaus dafür sprachen.
Das ist eine unheimlich blöde Situation: jemandem etwas versagen zu müssen, von dem man einerseits will, dass es möglichst viele Leute machen und andererseits nur sehr wenige bereit dazu sind.

Dazu kommen die Erfahrungen mit Firmungen hierzulande, die oft genug eine Art "Rausschmeißer" sind und für einige einen der letzten Gottesdienste ihres Lebens darstellen. Wenn das schon bei denjenigen, die gefirmt werden, so ist, um wieviel mehr dann bei denen, die nicht zur Firmung zugelassen werden...
Sollte ich da einem endgültigen Abschied vom christlichen Leben beihelfen?
Schaue ich in den Kopf eines Menschen, ob er würdig ist, das Sakrament zu empfangen?
Noch krasser: Ist das der Triumph der Buchstabenfrömmigkeit über die Barmherzigkeit?

Ich kann nur von außen schauen und feststellen, dass unsere Anforderungen an die Firmvorbereitung nicht erfüllt wurden, so dass ich nicht sicher sein kann, ob eine Person dann angemessen vorbereitet ist. Schießlich ist uns die Firmung etwas so Wichtiges, dass sie nicht Unwilligen vor die Füße geworfen werden soll.
Und es gibt die Wahrnehmung, dass jemand für etwas, das er möchte, nicht die nötigen Schritte tut – oder wenigstens glaubwürdig versucht, die versäumten Schritte auszugleichen bzw. nachzuholen. Die Verantwortung für das eigene Leben als Christ kann man schließlich auch für niemanden stellvertretend übernehmen.
Theologisch: Das Geschenk der Gnade setzt die für das Geschenk bereite Natur voraus.

In dieser Lage zwischen größtmöglicher Ermöglichungsbereitschaft und gleichzeitigem Ernstnehmen der (nicht) gezeigten Verantwortungsübernahme war mir wichtig, Folgendes zu vermitteln:

a) Ein weiterer Weg mit Gott ist auch ohne bzw. späterem Sakramentenempfang möglich. Gottes Liebe sieht mehr als ich und kann Menschen auch bewegen, sich ihm zu nähern, wenn kein Sakrament gespendet wird. Das ist die Basis.

Aussaat des Wortes durch Abgeschlossensein?
Moabit, Berlin, 2016.
b) Aber auch Jesus hat immer wieder Menschen gerufen, sich auf den Weg mit ihm zu machen – und immer gab es welche, die dazu aus den verschiedensten Gründen nicht bereit waren. Die göttliche Heilszusage jedoch hängt nicht daran – ein Sakrament ist (nur) die erleichternde Stufe zur größeren Gemeinschaft mit Gott.

c) Das Beispiel der Heiligen zeigt: Therese von Lisieux ist drangeblieben und hat trotz Zurückweisung in ihrem Kloster immer wieder nachgefragt. Wem es wirklich wichtig ist, der wird sich auch noch einmal ernsthaft auf den Weg machen, wenn es so weit ist. 

d) Was hilft einem Menschen zu einer reiferen Gottesbeziehung? Das Mitgezogenwerden mit anderen im Vertrauen auf die verwandelnde Macht der Gnade? Oder die eigene Entscheidung, auch gegen Widerstände mit Hilfe der Sakramente an Gottes Seite zu gehen?

e) Schließlich: Wie geht die andere Person aus diesem Gespräch heraus?
Meine Intention war, dass nicht Groll und Unverständnis bleiben, sondern ein Verstehen und eine Art wohlwollendes Signal.
Dabei orientierte ich mich an dem, was Ignatius von Loyola in seinen Konstitutionen davon geschrieben hat, wie jemand aus dem Orden entlassen werden soll:
Derjenige, der die Entlassung innerhalb des Ordens zu verantworten hat, "bemühe sich, ihn [den zu Entlassenden] in so großer Güte und Liebe gegenüber dem Haus und so getröstet in unserem Herrn wie möglich fortzuschicken."1

Es geht also darum, dass kein schales oder aggressives Gefühl übrigbleibt (auch nicht bei denen, die bleiben!2), sondern dass ein positiver Weg eröffnet wird.
Darum soll das Gespräch nicht von Schuldzuweisung und Abwertung geprägt sein, sondern von Ermunterung zur Verantwortung und Zusage der göttlichen Gegenwart.

Aber ist die klare Absage zusammen mit dem Wunsch nach motiviertem Weitergehen überhaupt realistisch? Kann man jemanden getröstet wegschicken?

Ich weiß es nicht, darum schreibe ich meine Gedanken auf.
Vielleicht sind es eher innere Rechtfertigungsversuche.
Die Zweifel bleiben jedenfalls.

I tak tu wrocisz - Du kommst eh wieder zurück! Warschau, 2015.

1   So in der letzten zu Lebzeiten des heiligen Ignatius überarbeiteten Version der Satzung, dem so genannten Text B: Satzungen der Gesellschaft Jesu, No. 225. In: Ignatius von Loyola, Deutsche Werkausgabe II. Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Würzburg 1998, 580-827.

2   Ebd., 229: "Ferner sollen sie, soweit es möglich ist, nicht ablehnend und mit einer schlechten Meinung von ihm verbleiben, sondern sie mögen Mitgefühl mit ihm haben und ihn in Christus lieben".