Ich arbeite unter sehr privilegierten
Bedingungen. Denn ich habe jeden Tag die Chance, den Himmel offen zu
sehen und Christus zu begegnen.
Vor einigen Tagen fotografierte ich auf
dem Weg zum Gefängnis untenstehendes Motiv, das den Westhafenkanal
zeigt und das nördlich liegende Ufer. Das Wolkenloch befindet sich
also direkt über dem Gefängnis. Unter der Stelle, an der wir den
blauen Himmel erkennen können, leben die Inhaftierten.
Das finde ich ein schönes Bild (im
doppelten Sinne) für die Wirklichkeit der Werke der Barmherzigkeit,
zu denen traditionell auch das Besuchen von Kranken und Gefangenen
gehört: nach dem Matthäusevangelium identifiziert sich Jesus mit
beiden: "ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im
Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen" (Mt 25,36).
Praktischerweise kann ich im Berliner Gefängniskrankenhaus kranke
Gefangene bzw. inhaftierte Kranke besuchen und zum Gespräch
empfangen.
Dafür bin ich sehr dankbar.
Denn selten habe ich meine Tätigkeit
als so sinnvoll erfahren wie hier. Und selten habe ich den geöffneten
Himmel so sehr gespürt. Denn diese "Geringsten, die Menschen
am Rande (auch am Rande der Kirchen), die Bedürftigen und (nicht nur
soziale) Not Leidenden, die (nicht nur körperlich) Verwundeten
weisen den verlässlichen und
einmaligen, nicht relativierbaren Weg zum Vater, den man
nicht umgehen kann. Mit ihnen und in ihnen ist hier Jesus selbst als
der Weg, die Wahrheit und das Leben gegenwärtig."1
Dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn
Papst Franziskus nicht gerade in diesem Jahr ein Jahr der
Barmherzigkeit ausgerufen hätte, das am kommenden Wochenende auch
ein so genanntes "Jubiläum der Gefangenen" vorsieht, auf
das man sicher gespannt sein kann. In seinem Eröffnungsschreiben
drückt der Papst also dasselbe noch einmal etwas anders so aus: in
"einem jeden dieser 'Geringsten' ist Christus gegenwärtig.
Sein Fleisch wird erneut sichtbar in jedem gemarterten, verwundeten,
gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib ..., damit
wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen."2
Da bin ich also – erkenne manchmal,
berühre vorsichtig, stehe nach Kräften bei. Das kostet mich viel
Kraft (die ich unter anderem hier nicht mehr so intensiv investieren
kann), aber es ist ein großes Glück für mich, das tun zu können.
Unter dem offenen Himmel.
1 T.
Halík, Berühre die Wunden. Über Leid, Vertrauen und die Kunst der
Verwandlung. 2. Aufl. Freiburg i.Br. 2014, 43.
2 Papst
Franziskus, Misericordiae vultus. Verkündigungsbulle zum
Außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit. Bonn 2015, No.15.
Zu finden auch unter:
http://www.dbk-shop.de/media/files_public/cuvjgbwlwgx/DBK_2200.pdf