Donnerstag, 27. Oktober 2016

Unter dem offenen Himmel - Gottesbegegnung im Gefängnis.

Ich arbeite unter sehr privilegierten Bedingungen. Denn ich habe jeden Tag die Chance, den Himmel offen zu sehen und Christus zu begegnen.
Vor einigen Tagen fotografierte ich auf dem Weg zum Gefängnis untenstehendes Motiv, das den Westhafenkanal zeigt und das nördlich liegende Ufer. Das Wolkenloch befindet sich also direkt über dem Gefängnis. Unter der Stelle, an der wir den blauen Himmel erkennen können, leben die Inhaftierten.


Das finde ich ein schönes Bild (im doppelten Sinne) für die Wirklichkeit der Werke der Barmherzigkeit, zu denen traditionell auch das Besuchen von Kranken und Gefangenen gehört: nach dem Matthäusevangelium identifiziert sich Jesus mit beiden: "ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen" (Mt 25,36). Praktischerweise kann ich im Berliner Gefängniskrankenhaus kranke Gefangene bzw. inhaftierte Kranke besuchen und zum Gespräch empfangen.

Dafür bin ich sehr dankbar.
Denn selten habe ich meine Tätigkeit als so sinnvoll erfahren wie hier. Und selten habe ich den geöffneten Himmel so sehr gespürt. Denn diese "Geringsten, die Menschen am Rande (auch am Rande der Kirchen), die Bedürftigen und (nicht nur soziale) Not Leidenden, die (nicht nur körperlich) Verwundeten weisen den verlässlichen und einmaligen, nicht relativierbaren Weg zum Vater, den man nicht umgehen kann. Mit ihnen und in ihnen ist hier Jesus selbst als der Weg, die Wahrheit und das Leben gegenwärtig."1

Dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn Papst Franziskus nicht gerade in diesem Jahr ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hätte, das am kommenden Wochenende auch ein so genanntes "Jubiläum der Gefangenen" vorsieht, auf das man sicher gespannt sein kann. In seinem Eröffnungsschreiben drückt der Papst also dasselbe noch einmal etwas anders so aus: in "einem jeden dieser 'Geringsten' ist Christus gegenwärtig. Sein Fleisch wird erneut sichtbar in jedem gemarterten, verwundeten, gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib ..., damit wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen."2

Da bin ich also – erkenne manchmal, berühre vorsichtig, stehe nach Kräften bei. Das kostet mich viel Kraft (die ich unter anderem hier nicht mehr so intensiv investieren kann), aber es ist ein großes Glück für mich, das tun zu können.
Unter dem offenen Himmel.
Wie begegnet Gott?
Zementwerk Rüdersdorf, 2015.


1   T. Halík, Berühre die Wunden. Über Leid, Vertrauen und die Kunst der Verwandlung. 2. Aufl. Freiburg i.Br. 2014, 43.
2   Papst Franziskus, Misericordiae vultus. Verkündigungsbulle zum Außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit. Bonn 2015, No.15. Zu finden auch unter: http://www.dbk-shop.de/media/files_public/cuvjgbwlwgx/DBK_2200.pdf