In dieser Woche fand in Berlin eine
Tagung statt, die eine "zeitgemäße Feier unseres Glaubens"
in den Blick nehmen wollte. Dafür waren zwei wissenschaftliche
Referenten und eine Reihe ExpertInnen aus der Praxis geladen, die
einen Aufriss dessen gaben, was es an liturgischen Möglichkeiten und
Wägbarkeiten gibt, wenn wir unseren Glauben feiern.
Drei Gedankengänge sind mir besonders
hängen geblieben.
1
Neue Ausblicke. Feld bei Kleinbrembach, 2015. |
Zunächst sprach Michael N. Ebertz,
Soziologe und Theologe zu "Diesseitsritualen",
worunter er vor symbolisch durchformte Routinen im mitmenschlichen
Interagieren verstand, das als normiertes Handeln eine Art Vorfeld
des Religiösen darstellt. Ein wichtiger Bestandteil dieser
alltäglichen Rituale ist die Image-Sorge, also wer wie mit wem
umgeht, was sich in definierten Haltungen, Begrüßungen, Blicken
etc. ausdrückt. Mithilfe von Ritualen wird ein bestimmter Bereich,
eine Sache oder eine Person herausgehoben oder abgegrenzt oder
einbezogen – und durch das Eingehen auf rituelle Vollzüge, wie
beispielsweise auf das Ergreifen der zum Handschlag angebotenen Hand,
wird ausgedrückt, wie man zu jemandem steht.
Spannend fand ich daran, dass die zur
Zeit von mancher Seite angefragte Liturgiefähigkeit heutiger
Menschen damit grundsätzlich bejaht wird. Denn wenn Rituale sowieso
zum Sozialverhalten von Menschen gehören und darin zugleich immer
auch etwas (in gewisser Weise) heilig gehalten wird, dann ist nicht
die Frage entscheidend, ob unsere kirchenfernen Zeitgenossen
"liturgiefähig" sind, sondern ob christliche Liturgie
ihnen etwas zu sagen hätte.
Das hängt sicher zum einen an den
geglaubten und ausgedrückten Inhalten, aber auch an den Formen. Für
wie sinnvoll erachten wir hergebrachte liturgische Formen und was
sagen sie uns aus sich heraus? In der späteren Diskussion betonte
Ebertz darum, dass wir als Kirche unsere überlieferten Zeichen in
guter Weise auch zur Entfaltung bringen müssen, anstatt ganz auf sie
zu verzichten oder uns neue, vermeintlich eingängigere auszudenken.
Beispielhaft stand für ihn das verloren gegangene
"An-die-Brust-Schlagen" zum Bußakt, das durchaus eine
Chance der Wiederbelebung verdient hätte.
2
Der zweite Referent war Alexander
Saberschinsky, Liturgiewissenschaftler in Wuppertal, der diese ersten
eher soziologischen Ausführungen innertheologisch auf die Frage
zuspitzte, ob in der liturgischen Feier die Liturgie selbst als
Ausdruck des Glaubens oder aber die Bedürfnishaltungen der Menschen
das Maß für liturgisches Feiern darstellen. Das bekannte Zitat von
Carlo Maria Martini: "Die Kirche befriedigt nicht
Erwartungen, sondern sie feiert Geheimnisse." scheint
eindeutig den Maßgaben der Liturgie den Vorrang zu geben.
Allerdings, betonte Saberschinsky, feiert sie diese Geheimnisse eben
für die Menschen und mit den Menschen. Denn niemandem ist geholfen,
wenn die Geheimnisse zwar gefeiert werden, aber niemand mehr hingeht,
weil in der Feier keine Lebensrelevanz erkennbar wird.
Es gilt deshalb, die Spannung der
verschiedenen Aspekte auszuhalten.
Warum aber, so stellte Saberschinsky
weiterführend die Frage, muss denn immer nur die Hochform des
allerhöchsten Geheimnisses gefeiert werden? Sollte Kirche nicht auch
eine unterschiedlich große Nähe zu sich zulassen, so dass sie dem
Bedarf heutiger Menschen gerecht werden und leichtere Zugangswege zum
Glauben eröffnen kann, ohne dabei stets sofort ihre besten Perlen
auszustreuen (zu müssen)? Wörtlich meinte Saberschinsky sehr
treffend: "Ich kann die Menschen nicht zu ihrem
eucharistischen Glück zwingen!" Und ich würde hinzufügen:
wahrscheinlich ist das auch ganz gut so.
Denn es bietet sich gerade angesichts
der abnehmenden Zahl von Priestern und den strukturellen Reformen der
Kirche vor Ort die Chance, gottesdienstliche Vielfalt in kleineren
Gruppen zu fördern. So könnten auch Menschen angesprochen werden,
die nicht in der volkskirchlichen Tradition stehen und eher unter dem
Primat der positiven persönlichen Beziehung Anschluss an Kirche
suchen. Doch das würde ein nicht geringes Umdenken vornehmlich bei
den Kirchenleitungen bedeuten.
3
Eine Form, in der so etwas tatsächlich
schon geschieht, sind die Lebenswendefeiern. Sie werden für nicht
kirchlich gebundene Jugendliche von der Kirche angeboten, um eine
Alternative sowohl zur kirchlichen Hochform Firmung als auch zur
Jugendweihe als säkularem Angebot zu schaffen.
Säkularer Tabernakel. Off-Church-Installation beim Katholikentag in Leipzig, 2016. |
In Berlin heißen diese Feiern "Wunsch-
und Segensfeiern", die auf der Tagung von Bettina Birkner
vorgestellt wurden. Ich hatte diesen Workshop gewählt, weil ich
beides, Jugendweihe und Firmung, in diesem Jahr hautnah miterlebt
habe und mich nun auch der kirchlichen "Kleinform" in der
Theorie nähern konnte.
In der Hedwigskathedrale wird diese
Feier für Jugendliche in der achten Klasse, und damit während einer
Zeit noch relativ großer Bindung an das Elternhaus, angeboten.
Dementsprechend sind es oft auch die Eltern, die die Initiative zur
Anmeldung ergreifen. Zur Vorbereitung auf die Feier gehört für die
Jugendlichen vornehmlich ein gemeinsam verbrachtes Wochenende, das
zur Reflexion des eigenen bisherigen Lebens, aber auch zum Blick auf
das vielleicht Kommende im eigenen Leben dient. Und die Mitgestaltung
der Feier selbst wird in den Blick genommen.
Was mich besonders ansprach, und hier
schließt sich mein Fokus an die beiden vorgenannten Punkte an, war
die im Rahmen der Feier relativ breit aufgelegte Möglichkeit für
die Jugendlichen und ihre Eltern, einander Dank und Wünsche zu
sagen. Zeitlich ist rund ein Drittel der Feier für dieses
öffentliche Zuwenden von Eltern und Kindern vorgesehen. Darin zeigt
sich auch die Motivation, warum Kirche denn so etwas für
Nichtchristen anbietet, was den versammelten Gästen vor der Feier
noch kurz erläutert wird: weil wir glauben, dass jeder Mensch
wichtig ist, von Gott geliebt und bejaht. Darum wird in dieser Feier
jedem Platz und Raum gegeben.
Und die Eltern scheinen dies regelmäßig
zu nutzen, diese ihre Liebe, die für Christen ein Abglanz der Liebe
Gottes ist, ihren heranwachsenden Kindern gegenüber auszudrücken.
Und andersrum ist die Haltung der Dankbarkeit, mit der die
Jugendlichen ihren Eltern in der Feier begegnen, genauso eine
quasi-religiöse Haltung, die im "Diesseitsritual" des
Danken und Wünschens ihren Ausdruck findet. Hier schafft es Kirche
also tatsächlich, Menschen ein liturgisches Angebot zu machen, das
dem Bedarf vieler Menschen entspricht und in dem nicht Mission oder
Mitgliedergenerierung im Vordergrund stehen, sondern in dem Beziehung
aufleuchten darf.
(Sicher deckt die symbolische
Verdichtung solch emotionaler Momente sich nicht immer zur Gänze mit
der tatsächlichen Beziehungsqualität – aber wann ist das in
kirchlich gefeierten Ritualen schon so?)
Wer diese im Danken und Wünschen
strahlende Beziehung dann theologisch deuten kann und die Linien
weiter auszieht zur Beziehung Gottes zu den Menschen, mag zwar zu
Recht nicht das heilsbedeutsame Kreuzesgeschehen als wichtigsten
expliziten Fokus der Feier entdecken, wohl aber eine Art Vorraum, in
dem schon Gottes Liebe zu den Menschen liturgisch zu ahnen ist – in
einer Feier, die das Volk Gottes, die Kirche, für Menschen
organisiert, die sonst wohl keinen Kontakt zu ihm hätten.
Wohin führen die Treppen, die die Kirche anbietet? Alt-Treptow, Berlin, 2016. |