Im morgigen Evangelium (Lk 18,1-8)
wirbt Jesus dafür, immerfort zu beten und spricht in einem Gleichnis
von einem als ungerecht und rücksichtslos bekannten Richter, der
sich auf das Betteln einer Witwe hin entscheidet, ihr zu ihrem Recht
zu verhelfen.
So oder so ähnlich werde ich morgen in
einem Sonntagswortgottesdienst in der JVA predigen:
Ich lade dazu ein, in diesen beschriebenen Richter mal genauer hineinzuschauen. Er ist ein boshafter Mensch - er weiß, wie man von
ihm denkt und ist sich außerdem auch im Klaren darüber, dass er tatsächlich
kein freundlicher Mensch ist. Eine Selbsteinsicht, die man Betroffenen nur wünschen kann. Dieser Richter jedenfalls sagt angesicht seiner Selbsteinsicht: "Trotzdem
will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich
nicht in Ruhe." (v5)
Ich kann auch ganz anders. Küchenstillleben. Rixdorf, Berlin, 2016. |
Das finde ich toll! Denn dieser Mensch
ist in der Lage, sein Lebenskonzept zu ändern.
Mag auch das Drängeln und Meckern der Frau nicht die ehrenwerteste Motivation dafür sein, aber er hilft ihr immerhin.
Mag auch das Drängeln und Meckern der Frau nicht die ehrenwerteste Motivation dafür sein, aber er hilft ihr immerhin.
Und ich glaube, auch wir haben diese
Chance: wir können, wenigstens in einzelnen Augenblicken, ganz
anders sein als wir uns selbst kennen und anders, als die anderen es
von uns erwarten. Wir können es, auch wenn wir es uns manchmal selbst
gar nicht zutrauen, oder glauben, wir würden uns lächerlich
machen, wenn wir uns nicht unserem "normalen" Verhalten
gemäß verhalten. Vielleicht müssten wir es nur einmal
ausprobieren!
Der Richter kennt seine eigenen Schwächen und Fehler - und entscheidet sich an einer Stelle, etwas dagegen zu tun. Das können wir auch!
Der Richter kennt seine eigenen Schwächen und Fehler - und entscheidet sich an einer Stelle, etwas dagegen zu tun. Das können wir auch!
Also: Wenn ich selbst weiß, dass ich schnell ungeduldig werde und bei manchen Leuten, die immer besonders lahm sind, schnell an die Decke gehe, dann kann ich mich gerade diesen Leuten ja einmal "trotzdem " freundlich zuwenden.
Wenn ich bestimte Leute besser
ignoriere, um keinen Streit mit ihnen anzufangen, dann kann ich
vielleicht "trotzdem" einmal grüßen.
Lassen wir die, die ständig um uns
sind, doch nicht betteln wie die Witwe es tun musste.
Spannend finde ich daran außerdem,
dass dieser Mensch explizit von sich sagt, dass Gott ihm nicht
wichtig ist – Jesus scheint also sagen zu wollen, dass auch
Nichtchristen, auch Menschen, die keine oder eine andere Religion
haben, zu verantwortungsbewusstem Handeln, zu positiver Zuwendung, zu
mitmenschlicher Hilfe und zur Umkehr fähig sind. Und eigentlich
wissen wir das ja auch und können es immer wieder mal erfahren - stellen also auch wir uns (wie Jesus) nicht auf einen
Standpunkt, der Nichtreligiöse abwertet.
2
Jesus fügt an: "Bedenkt, was
der ungerechte Richter sagt." (v6)
Nun drehen wir die Perspektive einmal um:
Dieser ungerechte, böse, nur auf Druck reagierende und Gott nicht
fürchtende Typ wird nun als Beispiel hingestellt, von dem man lernen
soll! Unsympathisch, lässt sich bitten und betteln, rücksichtslos,
aber ängstlich, sobald Gewalt droht – sicher kennt jeder solche
Leute.
Und ein solcher kann laut Jesus so wichtig sein,
dass man über seine Worte nachdenken sollte. Das heißt: Ob ein Mensch
unsympathisch ist oder nicht, ob er andere übers Ohr haut oder
nicht, Jesus findet einen Grund, etwas Gutes über ihn zu sagen und
sein Reden anregend zu finden.
Gutes sehen. Fürstenberg/Havel, 2014. |
Etwas weiter gedacht entspricht das
einer Regel, die der heilige Ignatius, Gründer der Jesuiten, für
die Kommunikation aufgestellt hat.
Er sagt, dass "jeder gute
Christ bereitwilliger sein muß, die Aussage des Nächsten zu retten
als sie zu verurteilen".1
Zuerst sollen wir also das Gute vermuten und etwas Gutes
herauszuholen versuchen. Sicher ist das im Gefängnis nicht immer
leicht und oft auch naiv, aber mit ziemlicher Sicherheit vergibt man
sich durch eine Haltung des Misstrauens oder durch Vorwürfe, also durch
den Verzicht auf offenen Dialog, auch viele Chancen.
Möglicherweise ist das ja einen
Gedanken wert: Die Bereitschaft, auf jemand anderen zu hören, selbst
wenn er unsympathisch ist. Wenn er ungerecht ist. Wenn er
rücksichtslos ist.
Vielleicht lässt sich auch bei einem
solchen Menschen etwas Gutes finden.
3
"Verschaff mir Recht gegen
meinen Feind!" fordert die Witwe wieder und wieder (Lk
18,3).
Jeder kennt das: den Kampf um das eigene
Recht, um das, was mir zusteht, um den eigenen Vorteil.
Besonders im Gefängnis soll Recht
herrschen – da wird um des Rechts willen eingesperrt, da achtet man
darauf, dass unter den sowieso schon schwierigen Umständen alles mit
rechten Dingen zugeht und niemand übervorteilt wird. Immer soll und
muss Recht verschafft werden.
Doch: geht es, wie der Text suggeriert,
auch beim Gebet darum, dass wir von Gott unser Recht bekommen? Das ist
eine Denkart, die beispielsweise im Mittelalter zu dem vulgären
Denken führte, dass Gottes Zuwendung käuflich sei und wenn eine
bestimmte Sache (wie ein Gebet, eine Wallfahrt oder eine Spende)
getan sei, dann müsste Gott doch handeln.
Dabei geht es ja gar nicht um die getane Sache, sondern um die Beziehung; nicht um das äußere Abarbeiten, das von anderen nachprüfbar wäre, sondern um die innere Einstellung, die Gott sieht.
Dabei geht es ja gar nicht um die getane Sache, sondern um die Beziehung; nicht um das äußere Abarbeiten, das von anderen nachprüfbar wäre, sondern um die innere Einstellung, die Gott sieht.
Eigentlich geht es also nicht um ein Recht
gegenüber Gott, schließlich wird uns von seiner Seite sowieso alles
geschenkt. Vielmehr will der Text darauf hinaus, dass Gott "auf
der Erde noch Glauben vorfinden" (v8) möchte.
Und Glaube meint eben nicht in erster
Linie, dies für wahr zu halten, und jenes zu vermuten anstatt zu
wissen, sondern Glauben meint: sich in eine vertrauensvolle Beziehung
mit Gott zu begeben.
Das ist nicht immer einfach, zumal wenn
man, wie die Witwe ja zunächst, keine Reaktion feststellen kann.
Aber wir sind für Gott ja nicht irgendwer – wir sind seine Kinder.
Und wir können und sollen "Tag
und Nacht zu ihm schreien" (v7) – das heißt, wir sollen
beten und immer wieder beten und uns ihm zuwenden, ihm vertrauen.
Selbst wenn wir nichts als Antwort
spüren können und wenn alles uns wegreißen will vom Gebet, ja
gerade dann sollen wir dranbleiben. Der orthodoxe Theologe Alexander
Schmemann hat gesagt: „Ein
kontinuierliches Sich-an-Gott-Erinnern.
Ja, darin liegt wirklich Inhalt und Ziel
aller Dinge. Darin liegt das Leben.“2
Darum geht es das ganze Leben lang. Immer wieder und wieder.
Bei der Arbeit und
auf der Zelle, beim Essenholen und in der Gruppe, während der
Freistunde und beim Sport – sich an Gott erinnern.
Das ist das Geheimnis des Glaubens:
dranbleiben, trotz aller Widrigkeiten. Dranbleiben, so wie die Witwe
sich immer wieder an den Richter gewendet hat.
Dranbleiben wie an den verschiedenen
Drogen, die viele glauben, für ihren Alltag zu brauchen –
Zigaretten, Fernsehen, alle möglichen anderen Dinge. Geht mir selbst
nicht anders.
Da bleiben wir dran, weil es uns so
wichtig ist. Und an Gott?
Doch ein Problem bleibt selbst dann, wenn wir regelmäßige Beter sind: Oft scheint es, dass Gott nichts tut, uns nicht hilft, obwohl wir doch beten,
obwohl wir uns doch an ihn erinnern, obwohl wir doch versuchen,
dranzubleiben.
Da hilft dann möglicherweise ein Blick in
das Tagesgebet von heute.
Es hieß da:
"Mach unseren Willen bereit,
deinen Weisungen zu folgen,
und gib uns ein Herz, das dir
aufrichtig dient."
Es soll also nicht um unseren Willen gehen,
nicht um unsere vielen und berechtigten Wünsche angesichts des
vielen Unrechts, das uns zustößt.
Nein, es geht um Gottes "Weisungen" und um unser Herz, das sich ihm zuwendet, um ein Herz, das bereit ist, bei ihm zu sein. Dann ändern sich wahrscheinlich auch viele unserer Wünsche, dann leben wir davon, dass wir Gott in unserem Alltag auch mit im Blick haben, dann wollen wir an ihm dranbleiben - und dann kann Gott auch das scheinbar Unmögliche möglich machen.
Nein, es geht um Gottes "Weisungen" und um unser Herz, das sich ihm zuwendet, um ein Herz, das bereit ist, bei ihm zu sein. Dann ändern sich wahrscheinlich auch viele unserer Wünsche, dann leben wir davon, dass wir Gott in unserem Alltag auch mit im Blick haben, dann wollen wir an ihm dranbleiben - und dann kann Gott auch das scheinbar Unmögliche möglich machen.
Drei Punkte also zum Mitnehmen:
"Trotzdem!" – Ich kann ganz
anders sein als andere (und ich selbst) mich sehen.
"Bedenkt!" – Auch
unsympathische Leute können Gutes und Wichtiges zu sagen haben.
"Tag und Nacht schreien" –
Gott anzurufen dauert manchmal lange – aber es lohnt sich.
Tag und Nacht bereit. Abflussrohre, Neukölln, Berlin, 2016. |