Zum Auftakt des Gedenkens an 500 Jahre
Reformation habe ich mir den Liturgieentwurf für den zentralen
ökumenischen Gottesdienst, der am 11. März 2017 in Hildesheim
stattfinden soll, etwas näher angeschaut.
Das gemeinsame Wort, in dem der
Liturgieentwurf enthalten ist, trägt den Namen "Erinnerung
heilen – Jesus Christus bezeugen".1
Das Thema des Gottesdienstes ist dementsprechend Buße, Versöhnung
und gemeinsames Zeugnis.
Gewichte ziehen runter? Stralsund, 2016. |
Nach dem gesellschaftlich schon erprobten Modell des
"healing of memories" sollen die Wunden und das
Trennende der Konfessionen angeschaut und erzählt werden, damit die
Beteiligten die Erinnerungen einerseits aus der "Perspektive
der Opfer"2
und andererseits "mit den Augen und Ohren der jeweils
anderen"3
sehen und hören können.
Während der Liturgie wird Gott darum
von den verschiedenen Seiten um Vergebung gebeten für "Eifer
und Unduldsamkeit", für "Verletzungen",
Kriege, Vertreibung, Folter, Mord, Hochmut, Stolz usw.4
Es folgen Schriftlesungen, Auslegungen,
Gebete und ein Glaubensbekenntnis.
Dann folgt der Teil, den ich am
schönsten finde, weil er sich in dieser Ausführlichkeit und
Ausdrücklichkeit sonst nur selten in einer Liturgie findet: Eine
Danksagung füreinander. Nach dem Gang durch eine Geschichte des
Schmerzes, nach der Bitte um Vergebung, die zu Reinigung und zum
gemeinsamen Gehen nebeneinander führt, ist dies ein emotionaler
Höhepunkt, den ich gern ausführlich zitieren möchte.
Der katholische Liturg beginnt:
"Wir danken Gott für die
geistlichen, die theologischen und die ethischen Impulse der
Reformation, die wir in der katholischen Kirche teilen können. Ich
nenne die Wertschätzung des Wortes Gottes und der Heiligen Schrift.
Ich nenne die Rechtfertigungslehre: Es ist auch für die katholische
Kirche wichtig zu erkennen, dass ein Mensch nicht aus Werken des
Gesetzes, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt
wird. Wir sehen das Engagement so vieler Männer und Frauen in den
evangelischen Gemeinden als lebendiges Zeugnis des Glaubens. Wir
schätzen die intensiven Diskussionen und die verantwortungsvollen
Entscheidungsprozesse in den Synoden. Wir sind beeindruckt von dem
starken Einsatz der evangelischen Kirche in der Diakonie, in unserem
Land und auf der ganzen Welt.
Vieles wäre noch zu nennen. Liebe
evangelische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt
und dass Sie den Namen Jesu Christi tragen."5
Es folgt der evangelische Liturg:
"Wir danken Gott für das
Glaubenszeugnis der katholischen Kirche. Wir sehen, dass sie im
wahren Sinn des Wortes eine Weltkirche ist, die Nationen, Sprachen
und Kulturen verbindet. Wir schauen voll Achtung auf die Liebe zur
Liturgie, die in der katholischen Kirche gepflegt wird. Wir schätzen
die besondere Aufmerksamkeit für die Überlieferungen des Glaubens,
Bekennens und Denkens, die die Geschichte der Christenheit und so
auch unsere Geschichte geprägt haben. Wir wissen uns
herausgefordert, unser eigenes Verständnis von Kirche und
Kircheneinheit, von Ordination und Amt im Dialog mit der katholischen
Theologie zu vertiefen. Wir sind beeindruckt vom caritativen Dienst
der katholischen Kirche in unserem Land und auf der ganzen Welt.
Einander im goldenen Rahmen sehen? Binz, 2016. |
Vieles wäre noch zu nennen. Liebe
katholische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt
und dass Sie den Namen Jesu Christi tragen."6
Anhand der Beispiele wird deutlich, was
den Anderen wichtig ist und was eine Seite bei der anderen positiv
anerkennen kann, ohne es selbst gleich zu einer Herzenssache machen
zu müssen. Das belegt die Rede von den Herausforderungen, die als
Spannungen wahrgenommen und angenommen werden müssen.
Der Wermutstropfen an diesem Text
besteht für mich darin, dass es von der Anredeform her nicht
wirklich ein Gebet ist, und darum nicht in erster Linie Gott, sondern
dem Gegenüber gesagt wird.
Aber den Grundimpuls mache ich mir gern
zu eigen: Nach vielerlei Schuld und mannigfachen Verwundungen, im
Bewusstsein der bleibenden Trennung mit ihrem Schmerz trotzdem
füreinander danken können, das ist etwas Großes.
Vielleicht kann das eine wiederkehrende
Erinnerung für das kommende Jahr sein.
1 Erinnerung
heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr
2017. Hannover, Bonn 2016 [Gemeinsame Texte 24].
https://www.ekd.de/download/erinnerung_heilen_gt24.pdf
2 Ebd.,
11.
3 Ebd.,
12.
4 Ebd.,
73f.
5 Ebd.,
80.
6 Ebd.