Montag, 31. Oktober 2016

Reformationstag – Füreinander danken können

Zum Auftakt des Gedenkens an 500 Jahre Reformation habe ich mir den Liturgieentwurf für den zentralen ökumenischen Gottesdienst, der am 11. März 2017 in Hildesheim stattfinden soll, etwas näher angeschaut.
Das gemeinsame Wort, in dem der Liturgieentwurf enthalten ist, trägt den Namen "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen".1 Das Thema des Gottesdienstes ist dementsprechend Buße, Versöhnung und gemeinsames Zeugnis.

Gewichte ziehen runter? Stralsund, 2016.
Nach dem gesellschaftlich schon erprobten Modell des "healing of memories" sollen die Wunden und das Trennende der Konfessionen angeschaut und erzählt werden, damit die Beteiligten die Erinnerungen einerseits aus der "Perspektive der Opfer"2 und andererseits "mit den Augen und Ohren der jeweils anderen"3 sehen und hören können.
Während der Liturgie wird Gott darum von den verschiedenen Seiten um Vergebung gebeten für "Eifer und Unduldsamkeit", für "Verletzungen", Kriege, Vertreibung, Folter, Mord, Hochmut, Stolz usw.4
Es folgen Schriftlesungen, Auslegungen, Gebete und ein Glaubensbekenntnis.

Dann folgt der Teil, den ich am schönsten finde, weil er sich in dieser Ausführlichkeit und Ausdrücklichkeit sonst nur selten in einer Liturgie findet: Eine Danksagung füreinander. Nach dem Gang durch eine Geschichte des Schmerzes, nach der Bitte um Vergebung, die zu Reinigung und zum gemeinsamen Gehen nebeneinander führt, ist dies ein emotionaler Höhepunkt, den ich gern ausführlich zitieren möchte.

Der katholische Liturg beginnt:
"Wir danken Gott für die geistlichen, die theologischen und die ethischen Impulse der Reformation, die wir in der katholischen Kirche teilen können. Ich nenne die Wertschätzung des Wortes Gottes und der Heiligen Schrift. Ich nenne die Rechtfertigungslehre: Es ist auch für die katholische Kirche wichtig zu erkennen, dass ein Mensch nicht aus Werken des Gesetzes, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt wird. Wir sehen das Engagement so vieler Männer und Frauen in den evangelischen Gemeinden als lebendiges Zeugnis des Glaubens. Wir schätzen die intensiven Diskussionen und die verantwortungsvollen Entscheidungsprozesse in den Synoden. Wir sind beeindruckt von dem starken Einsatz der evangelischen Kirche in der Diakonie, in unserem Land und auf der ganzen Welt.
Vieles wäre noch zu nennen. Liebe evangelische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt und dass Sie den Namen Jesu Christi tragen."5

Es folgt der evangelische Liturg:
"Wir danken Gott für das Glaubenszeugnis der katholischen Kirche. Wir sehen, dass sie im wahren Sinn des Wortes eine Weltkirche ist, die Nationen, Sprachen und Kulturen verbindet. Wir schauen voll Achtung auf die Liebe zur Liturgie, die in der katholischen Kirche gepflegt wird. Wir schätzen die besondere Aufmerksamkeit für die Überlieferungen des Glaubens, Bekennens und Denkens, die die Geschichte der Christenheit und so auch unsere Geschichte geprägt haben. Wir wissen uns herausgefordert, unser eigenes Verständnis von Kirche und Kircheneinheit, von Ordination und Amt im Dialog mit der katholischen Theologie zu vertiefen. Wir sind beeindruckt vom caritativen Dienst der katholischen Kirche in unserem Land und auf der ganzen Welt.
Einander im goldenen Rahmen sehen? Binz, 2016.
Vieles wäre noch zu nennen. Liebe katholische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt und dass Sie den Namen Jesu Christi tragen."6

Anhand der Beispiele wird deutlich, was den Anderen wichtig ist und was eine Seite bei der anderen positiv anerkennen kann, ohne es selbst gleich zu einer Herzenssache machen zu müssen. Das belegt die Rede von den Herausforderungen, die als Spannungen wahrgenommen und angenommen werden müssen.
Der Wermutstropfen an diesem Text besteht für mich darin, dass es von der Anredeform her nicht wirklich ein Gebet ist, und darum nicht in erster Linie Gott, sondern dem Gegenüber gesagt wird.

Aber den Grundimpuls mache ich mir gern zu eigen: Nach vielerlei Schuld und mannigfachen Verwundungen, im Bewusstsein der bleibenden Trennung mit ihrem Schmerz trotzdem füreinander danken können, das ist etwas Großes.

Vielleicht kann das eine wiederkehrende Erinnerung für das kommende Jahr sein.


1   Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017. Hannover, Bonn 2016 [Gemeinsame Texte 24]. https://www.ekd.de/download/erinnerung_heilen_gt24.pdf
2   Ebd., 11.
3   Ebd., 12.
4   Ebd., 73f.
5   Ebd., 80.
6   Ebd.