Nun endlich bin ich dazu gekommen, mir
den Film anzuschauen, den ich im letzten Jahr leider nicht mehr im
Kino sehen konnte: "Silence" von Martin Scorsese.
Und ich kann ihn vorbehaltlos empfehlen
– es ist ein faszinierender und mitreißender Film, ein Film, den
man gesehen haben muss, wenn man sich mit dem Christentum, Fragen des
Glaubens oder einfach nur mit dem Menschen, seinem Gewissen und
seinen Überzeugungen beschäftigt.
Er reißt jedoch nicht in erster Linie
mit wegen seiner Bilder (so wunderbar sie sind), sondern wegen der
tiefgehenden religiösen und menschlichen Fragen, die er aufwirft:
Was macht religiöses Leben aus? Wie weit gehen Menschen für ihre
(religiösen) Überzeugungen? Wie reagiert eine (christliche)
Gemeinschaft auf Glaubensabfall? Was bringt das Christentum
indigenen Gesellschaften? Wie viel Barmherzigkeit ist möglich?
Christen vor verschlossenen Türen? Neukölln, Berlin, 2017. |
Besonders spannend ist die breite und lange Vorgeschichte
des Films: Martin Scorsese wurde während der
Kontroversen um seinen Film "Die letzte Versuchung Christi"
von einem Bischof auf das Buch von Shusaku Endo "Schweigen"
(Leseprobe hier)
aufmerksam gemacht, in dem die an historische Ereignisse angelehnte
Geschichte erzählt wird. Im Interview spricht er davon, dass er
seitdem darüber nachdachte, wie er es verfilmen könnte. Nach dieser
langen Vorlaufzeit wurde das Filmprojekt seit ca. 2012 energischer
betrieben, so dass der Film nach seiner Premiere im Vatikan 2016
schließlich in die Kinos gelangen konnte.
Der Film spielt zur Zeit der
gnadenlosen Christenverfolgungen in Japan ab Anfang des 17.
Jahrhunderts. Zwei junge Jesuiten brechen 1638 aus Portugal auf, um
ihren theologischen und geistlichen Mentor Ferreira (Liam Neeson) zu
suchen, der verschollen ist und von dem das Gerücht umgeht, er sei
unter dem Druck der Verfolgung vom Missionar zum Glaubensflüchtigen
geworden. Auf geheimen Wegen kommen sie nach Japan und treffen kleine
christliche Geeinschaften, die heimlich ihren Glauben praktizieren
und in ständiger Angst vor der Verfolgung durch die staatlichen
Behörden leben müssen. Der Film erzählt vornehmlich die Geschichte
des einen der beiden Ordensmänner, P. Sebastião Rodrigues (Andrew
Garfield), seine Gewissenszweifel, seine Ängste und Ideale, seinen
äußeren und inneren Weg in Konflikt und Dialog sowohl mit dem
japanischen Inquisitor als auch mit Gott und seinem Glauben.
Das Ende des Filmes kann man hier nicht
vorwegnehmen ohne den Film um seine Spannung zu bringen.
Aber einige grundlegende Fragen, die
sich aus dem Film ergeben, finde ich äußerst spannend.
1. Die Zeichen des Glaubens
Es ist eine Welt ohne Bibeln, ohne
christliche Symbole, ohne Priester, ja fast ohne Glaubenswissen, in
welche die beiden Europäer da eintreten. Trotzdem halten die
japanischen Christen mit immenser Frömmigkeit und gegen den
staatlichen Druck an der Botschaft fest, die ihnen die ersten
Missionare gebracht haben. Was die beiden Jesuiten nun an
christlichen Symbolen mitbringen, ist verboten und wird von den
Einheimischen mit dementsprechend großer Ehrfurcht behandelt –
Rosenkränze und Kreuze werden so sehr verehrt, dass sich einer der
beiden schon sorgt, ob es wirklich der Glaube an Gott oder das
Zeichen ist, das da im Mittelpunkt steht.
Die Bewunderung des unbeirrten
Feststehens im christlichen Glauben bei gleichzeitiger Feststellung
riesigen Unwissens auch über basale Glaubensinhalte verwirren die
beiden und bringen sie zu unterschiedlichen Einschätzungen über
ihre Aufgabe.
Mit dem Fortgang der Ereignisse
entspinnt sich daran anschließend die urchristliche Frage nach dem
Umgang mit diesen Zeichen. Denn als der Inquisitor mit Soldaten ins
Dorf kommt, sollen einige der Bewohner zum Zeichen, dass sie keine
Christen sind, auf eine Ikone treten. Während der Bedenkzeit spalten
sich die Geister: Was ist einerseits schon so schlimm daran, auf ein
Bild zu treten? Wie kann man andererseits auf der Darstellung des
Retters herumtrampeln?
Kreuzzeichen am Boden. Herrsching am Ammersee, 2015. |
Es geht um den symbolischen Akt, dessen
Ziel den einfachen Dorfbewohnern intuitiv klar ist. Während einer
der beiden Jesuiten ganz aufgeklärt und modern argumentiert, dass es
nur Bilder sind und der Wert des Lebens über diesen Zeichen steht,
wollen sich einige weigern, auch wenn sie das das Leben kosten würde.
Die Ernsthaftigkeit mit der diese
Gewissensfragen vom Film bebildert werden, ziehen mich als
europäischen Zuschauer des 21. Jahrhunderts mitten hinein in die
eigene Auseinandersetzung mit dem Wert, den ich meinem Glauben
zumesse. Hinein in das Nachdenken über meine Glaubensfestigkeit,
wenn es hart auf hart kommt. Hinein in die Frage, welchen Wert ich
den Symbolen des Glaubens zuweise. Hinein in die Zumutung der Frage,
was Christsein wirklich bedeutet.
2. Vergebung
"Wie oft muss ich meinem Bruder
vergeben?" fragt Petrus Jesus (Mt 18,21). Schon die Alte
Kirche musste sich mit der Frage herumschlagen, ob man diejenigen,
die aus Angst vor dem Tod und unter dem Druck der römischen
Machthaber den Göttern geopfert oder christliche Kultgegenstände
ausgeliefert haben, denn später wieder in die Gemeinschaft der
Kirche aufnehmen kann. Nach langem Streit wurde hier ein
umfangreicher Bußweg vorgeschrieben, an dessen Ende die
Wiedereingliederung stand – der Preis war allerdings eine
Kirchenspaltung, da nicht alle diese Möglichkeit für opportun
hielten.1
Das zeigte: Versöhnung ist nicht ein bloß formeller Akt, sondern
bedarf eines langen Prozesses der Annäherung.
Im Film geschieht dasselbe: Ein
japanischer Führer der beiden Jesuiten wird wieder und wieder
schwach, verfehlt sich und verleugnet seinen Glauben, doch sein
Wunsch nach Rückkehr zu Gott ist so groß, dass er immer wieder
Vergebung erbittet. Der junge P. Rodrigues kämpft in diesen Momenten
hart mit sich und seiner persönlichen Einschätzung des Gefallenen,
erhofft aber weiter Gottes Erbarmen für ihn. Das ganze Dilemma wird
deutlich, als dieser sich bitterlich über die Härte seines Lebens
beschwert, da er doch ein so guter Christ gewesen sei, wenn er nur
etwas früher gelebt hätte.
(Dieses Reflektieren auf die Gnade der
Geburt zu einer besseren Zeit ist ja auch ein sehr deutsches Thema im
Blick auf die eigene dunkle Geschichte.)
Ich selbst bin jedenfalls auch sehr froh, meinen Glauben nicht unter Verfolgung bekennen zu müssen. Die großen seelischen Nöte angesichts
des Glaubensabfalls einzelner "Schwacher" bei
gleichzeitiger Hinrichtung der Treuen können auch eine ungeheure
Anfrage an die Vergebungsbereitschaft der Zuschauer darstellen.
Steht er oder fällt er? Tannenbaum in Neukölln, Berlin, 2016. |
Besteht das Christentum vielleicht nur
darin, im Namen Gottes immer wieder und wieder zu vergeben?
3. Liebe oder Glauben
Auch später im Film bricht die Frage
nach dem Wesen des Christseins in ihrer ganzen Tiefe wieder auf: Was
macht den christlichen Glauben aus – das Beharren auf den
Glaubensinhalten oder die Tat der selbstlosen Liebe, die sich an
Jesus orientiert?
In der Konfrontation mit der ganzen
Härte der staatlichen Ordnungsmacht wird diese Frage auf die Spitze
getrieben: Nicht er selbst soll sterben, sondern einige Japaner
leiden für den europäischen Ordensmann, und sollen so lange
gefoltert werden, bis er selbst auf das Bild Jesu tritt und damit
seinen Glauben verleugnet. Die einheimischen Gläubigen selbst haben
zwar ihrem Glauben schon abgeschworen, aber den Machthabern ist das
öffentliche Lossagen der Priester am wichtigsten. Denn hier läge
die wahre Überzeugungskraft, dass es mit dem Christentum nicht weit
her ist.
Die ganze Perfidie dieser Aufgabe fasst
der Film in der Frage zusammen, was den leidenden Menschen in dieser
Situation wirklich hilft – die Bekenntnisstärke dieses Einzelnen
oder ein barmherziger Schritt zur Erlösung der Gequälten.
Die eigentliche Herausforderung scheint
es dann zu sein, dass ein Gläubiger sich der Frage stellt, was sein
Christsein im Letzten wirklich ausmacht, wenn kein anderer Ausweg
mehr da ist als eine Wahl – Glaube oder Liebe.
Angesichts der Brutalität dieser
Fragen, die einem bis in die Eingeweide dringen, muss doch, sage ich
mir als Zuschauer irgendwann, ein göttlicher Trost zu finden sein.
Doch Gott schweigt nun einmal meistens.
Eindeutigkeit und konkrete Wegweisung finden sich in diesem Film wie
auch im Leben nur äußerst selten.
Und so kann Scorseses Film zum
Hineintauchen in die tiefe Stille Gottes einladen und zur
Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensentscheidungen führen. Es
ist ein Film voller Spannung und Intensität, zudem ein geistlicher
Film durch und durch. Er spricht die innersten Schichten des Menschen
an und lässt keine einfachen Antworten zu.
Viele Themen, die der Film anreißt,
ließen sich noch erörtern, sei es die Kolonialgeschichte, die Frage
der interreligiösen Begegnung oder den Kampf von Idealen und
Enttäuschung.
Ich belasse es bei dem oben Gesagten
und empfehle ihn eindringlich allen im Glauben unsicher Tastenden und
allen Sicheren, aber auch all jenen, die nicht glauben.
Was alles zu Bruch gehen kann. Schöneweide, Berlin, 2017. |
1 Vgl.
z.B. N. Brox, Kirchengeschichte des Altertums. 6. Aufl. Düsseldorf
1998, 57f: "Es war kurzfristig darüber zu entscheiden, ob die
vielen, in der decischen Verfolgung schwach gewordenen Christen auf
ihren dringenden Wunsch hin wieder in die Kirche aufgenommen werden
konnten, also eine Bußmöglichkeit bekamen. Es ging dabei um ihre
Heilschance. Die Meinungen darüber bei den Kirchenführern reichten
von der Großzügigkeit der 'Bekenner', die kraft eigener
Vollkommenheit die Abgefallenen (lapsi) ohne weiteres wieder
aufnahmen, bis zur rigorosen Position, wonach es für die
Unglücklichen keine Möglichkeit mehr gab als die, daß die Kirche
sie dem Gericht Gottes überließ. ... Bischof Cyprian (gest. 258)
in Karthago ... setzte sich ... mit dem Modus durch, daß in einem
geregelten Bußverfahren, das allein in der Hand des von Gott mit
entsprechender Vollmacht ausgestatteten Bischofs lag, die Rückkehr
zur Kirche für die Abgefallenen möglich ist." Vgl. auch
ebd., 127ff.