Als ich dieser Tage in der Ausstellung
"Der Luthereffekt" im Berliner Martin-Gropius-Bau war und
mich an den Spuren von "500 Jahre[n] Protestantismus in der
Welt" erfreuen wollte, musste ich mich gleich zu Beginn sehr
aufregen.
Im Lichthof des Museums befindet sich
eine Raum-Klang-Installation des Künstlers Hans Peter Kuhn in Form
einer sich windenden Doppelhelix, die für den Übergang vom
Katholizismus zum Protestantismus stehen soll und eine ärgerlich
simplifizierte Gegenüberstellung der Konfessionen betreibt. Im
Begleittext heißt es nämlich, es sei eine "simple Metapher"
gewählt worden:
"Die katholische Kirche ist die
Mittlerin zwischen Mensch und Gott. Dadurch ergibt sich eine
räumliche Einschränkung in der Vertikalen, eine Deckelung von oben.
Dafür ist in der Breite Raum für lässliche Sünden. Der
Protestantismus gewährt die direkte Beziehung zu Gott. Diese Öffnung
in der Vertikalen geht jedoch einher mit einer Einengung in der
Horizontalen, denn kleine Sünden sind nicht mehr erlaubt."1
Diese Art von intellektueller
Schieflage im öffentlichen Raum eines Museums finde ich nun wirklich
frech.
Schiefe Installationsansicht. Martin-Gropius-Bau, Berlin, 2017. |
Inhaltlich regt mich besonders auf,
dass behauptet wird, die Katholische Kirche verstelle grundsätzlich
(im Einzelnen mag darüber zu reden sein!) den Zugang zu Gott und
jeder Mensch werde gehindert, abseits ihrer Heilsvermittlung zu Gott
zu gelangen. Schon das eine Beispiel eines Zeitgenossen Luthers, des
heiligen Ignatius von Loyola, zeigt ja, dass die je persönliche
Gottesbeziehung, bei Ignatius vornehmlich in der Form persönlicher
Gebetsübung in den Exerzitien zu finden, ein Wesenselement
christlicher Frömmigkeit ausmacht.
Luther selbst ist als Kind seiner Zeit
ja gerade kein spiritueller Solitair gewesen, sondern knüpfte an
innerlich-individuelle Frömmigkeitsströmungen des Hochmittelalters
an. "Das
Geheimnis Luther liegt", wie Volker Leppin schreibt, "nicht
im eruptiven Neuen, sondern in der Mischung aus Bestätigung von
Vertrautem und eigenwilligen Akzentsetzungen".2
Abgesehen von diesen inhaltlichen
Überlegungen stelle ich fest, dass die Aufnahme solch plumper
Gegenüberstellungen in eine so zentrale Ausstellung es eben nicht
ermöglicht, einander ökumenisch näher zu kommen, sondern die
Gräben vertieft und betont.
Am Tag der deutschen Einheit wird mir
dies besonders klar. Denn ehe 1989 die Mauer fallen und 1990
rechtlich die Einheit besiegelt werden konnte, waren Jahre und
Jahrzehnte des Aufeinanderzugehens nötig gewesen. Willy Brandts
Ostpolitik ist ein schönes Zeichen dafür, wie die Dämonisierung
des Anderen langsam aufhören und an seine Stelle ein Austausch
treten konnte, der die langsame Annäherung erlaubte.
Wenn wir heute nach 27 Jahren
zurückschauen und sehen, dass aus der damals unmöglich
erscheinenden Vorstellung, dass die Einheit Deutschlands bald
erreicht sei, ein (bei allen Enttäuschungen und Fehlern) doch ein
erfolgreiches Zusammenwachsen möglich war, dann brennt es mir doch
unter den Nägeln, zu schauen, was das für die Ökumene bedeuten
könnte.
Um den Titel dieses Posts recht zu
verstehen: Es geht hier also nicht darum, dass die Einheit der
Christen am deutschen Wesen genesen und nach dem Vorbild der
Deutschen Einheit entstehen könnte. Stattdessen möchte ich aus
beiden Richtungen Anregungen aufnehmen.
Zunächst: wie die beiden deutschen
Staaten so erhoben auch die Kirchen "jeweils für sich in
unterschiedlicher Weise den Anspruch [...], die eine christliche
Wahrheit in der einzig angemessenen Weise zu verkünden",3
woraus eine erbitterte Konkurrenz entstand. Der
Alleinvertretungsanspruch, je selbst für das deutsche Volk zu
sprechen, verunmöglichte lange Zeit den politischen Dialog zwischen
den beiden deutschen Staaten.
Auch in den Kirchen sind wir
glücklicherweise inzwischen darüber hinweg und erkennen einander
an.
Außerdem wäre darauf hinzuweisen,
dass vor 27 Jahren Ausdauer und Dialog, Gebete und Mahnwachen,
politischer Wille und lange Verhandlungen, dazu ein ungeheurer
Leidensdruck und nicht zuletzt die Abstimmung der DDR-Bürger mit den
Füßen am Ende dazu führten, dass wir heute wieder einen einzigen
deutschen Staat bewohnen können.
Würde die Ökumene mit so viel
Leidenschaft betrieben, wie damals das Zusammenwachsen Deutschlands,
würde das die Menschen ebenso umtreiben, würde der Massenexodus aus
den Kirchen die Kirchenoberen stärker motivieren und würde der
tiefe Wille da sein, dann, ja dann wäre die Einheit der Kirche nicht
mehr weit.
Inspiration. Pinakothek der Moderne, München, 2015. |
Nun sind die Kirchen immerhin so weit,
dass sie sich nicht mehr dämonisieren. Sie sind, und das mag ein
Vorteil gegenüber den politisch Verantwortlichen aus den beiden
deutschen Staaten damals sein, im beständigen Dialog miteinander.
Und, noch viel wichtiger: "In
der Ökumene verbindet sich die Besinnung auf die eigene
konfessionelle Identität mit der Bereitschaft, sich wechselseitig
anfragen und inspirieren zu lassen. Es ist dabei eine
Herausforderung, die Stärken der verschiedenen anderen christlichen
Traditionen wahrzunehmen und zu würdigen, aber auch in der Kritik
konstruktiv zu bleiben."4
Möglicherweise würden sich viele
"alte" Ostdeutsche wohler in diesem Staate fühlen, wenn
diese Einsicht auch politisch gegolten hätte. Derzeit wird ja
allenthalben gedeutelt, warum so viele Ostdeutsche die AfD gewählt
haben und damit in größtmögliche Konfrontation zum bestehenden
System gehen.
Dazu hätte allerdings nicht die
Rechtsform der alten Bundesrepublik beibehalten werden können,
sondern, wie ja auch überlegt worden war, ein neuer Staat hätte
entstehen müssen.
Individuell wären im Nachhinein vor
allem Wertschätzung und menschliche Gleichwertigkeit die echten
Herausforderungen gewesen.
Für die Kirche wird beim
"Voneinanderlernen"
und "Sich-Anfragenlassen" die klare Konsequenz sein müssen,
dass ein Eingliedern der Einen in die Anderen nicht reichen kann.
Denn politisch änderte sich für die
Westdeutschen nicht viel – es war ja ihr Staat, der bestehen blieb.
Die Folgen der vollständigen Entwertung und Delegitimierung der DDR
gingen nur zulasten des Ostens, wobei dem Osten zugegebenermaßen
auch große ökonomische Vorteile und Unterstützungen zuteil wurden.
Doch um welchen langfristigen psychologischen Preis?
Die Kirchen sind also gut beraten,
möglichst wenige Verlierer überzulassen, wenn sie sich weiter
aneinander annähern. Auch wenn sich einige extreme Strömungen unter
Umständen nicht einbinden lassen und nur eine unveränderte eigene
Stellung zum Preis der Anpassung der anderen Seite gelten lassen
wollen. Diese (bisweilen lauten) Minderheiten können nicht den
gesamten Kurs bestimmen.
Und sie können noch viel an
Leidenschaft und Gebet zulegen. Auch wenn Einheit sich noch nicht am
Horizont abzeichnet, die Hoffnung steht aufrecht – und auf einen
Zusammenbruch der Anderen kann in keiner Kirche jemand hoffen. Aber
der persönliche Einsatz und das Zugehen aufeinander lohnt sich
allemal, auch für uns "normale" Gläubige.
Denn auf dem Spiel steht das Erbe des Christlichen, die umfassende Versöhnung.
Denn auf dem Spiel steht das Erbe des Christlichen, die umfassende Versöhnung.
Kurs halten in Richtung Einheit! Westhafenkanal, Berlin, 2016. |
1 H.P.
Kuhn, Übergang. Beiblatt zur Installation von 2017 im
Martin-Gropius-Bau, Berlin.
2 V.
Leppin, Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln. München
2016, 131.
3 V.
Leppin / D. Sattler (Hg.), Reformation 1517-2017. Ökumenische
Perspektiven. Freiburg i.Br. 2014, 51.