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In den letzten Jahren hat sich in der
literarischen Landschaft eine faszinierende Fraktion
deutschsprachiger Autoren mit osteuropäischem Migrationshintergrund
etabliert.
Saša Stanišić beispielsweise ist dem großen Publikum seit "Wie der Soldat
das Grammophon repariert" ziemlich gut bekannt, aber auch
die Bücher von Katja Petrowskaja ("Vielleicht Esther"), Alina Bronsky ("Baba Dunjas letzte Liebe") und
Matthias Nawrat ("Die vielen Tode unseres Opa Jurek")
haben ihre Wege zu den Lesern gefunden.
Hang am Sowjetischen Ehrenmal. Treptower Park, Berlin, 2017. |
In nicht wenigen der unter der
Rubrik Roman verlegten Werke geht es um die literarisch verarbeitete
Auseinandersetzung mit der eigenen Familie und ihrer Geschichte –
und letztlich um die Frage nach Identität. Oft über den Umweg der
Lebensgeschichten der älteren Generation(en) versuchen die
AutorInnen, auch ihr eigenes Leben und Herkommen deutend zu greifen.
(In gewisser Weise zählen auch Sabine
Rennefanz mit "Eisenkinder" und die unvermeidliche
"Zonenkinder"Autorin Jana Hensel als aus dem Osten
Deutschlands eingegliederte Autorinnen in diese Reihe.)
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So nun auch in Dimitrij Kapitelmans Buch „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ von 2016.1 Der Weg vom ukrainischen Kiew über das sächsische Meerane und Leipzig nach Berlin wird für den heranwachsenden Dimitrij und seinen Vater Leonid (und natürlich auch für die restlichen, noch unsichtbareren weiblichen Familienmitglieder) zum Hineinreifen in ihr neues Leben im kapitalistischen Westen. Kapitelman schildert diesen Prozess von Verlust und Neubeginn am Beginn des Romans mit diversen humorvoll-ernst beobachteten Details wie die unverzichtbaren Kaufland-Sonderangebote, Autohäuser und örtlichen Neonazis. Insofern gleitet Kapitelman problemlos zwischen die ironisch bis grotesk anmutenden Erzählweisen von Stanisic und Nawrat.
So nun auch in Dimitrij Kapitelmans Buch „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ von 2016.1 Der Weg vom ukrainischen Kiew über das sächsische Meerane und Leipzig nach Berlin wird für den heranwachsenden Dimitrij und seinen Vater Leonid (und natürlich auch für die restlichen, noch unsichtbareren weiblichen Familienmitglieder) zum Hineinreifen in ihr neues Leben im kapitalistischen Westen. Kapitelman schildert diesen Prozess von Verlust und Neubeginn am Beginn des Romans mit diversen humorvoll-ernst beobachteten Details wie die unverzichtbaren Kaufland-Sonderangebote, Autohäuser und örtlichen Neonazis. Insofern gleitet Kapitelman problemlos zwischen die ironisch bis grotesk anmutenden Erzählweisen von Stanisic und Nawrat.
Doch die jüdische Herkunft des Vaters
führt hier noch weiter, denn sie wird für den nichtreligiösen Sohn
zum Anlass, seinen ebenso nichtreligiösen Vater zu einer Reise nach
Israel zu überreden.
Denn er hofft, dass sein unsichtbarer
Vater "sich in Israel offenbart".2
Dieses intuitiv religiöse Sprachspiel wird natürlich eine Rolle
spielen im biblischen Heiligen Land.
Doch dazu vielleicht an anderer Stelle
später einmal mehr.
3
Das Unsichtbarsein aus dem Titel
umschreibt den Versuch des Vaters, sich als Jude und ex-sowjetischer
Kontingentflüchtling aus allen Vereinnahmungen und Vorurteilen zu
lösen und aufzulösen in die Unerkennbarkeit. "Sich aus
allem raushalten"3
ist sein erklärtes Lebensmotto, das er auch seinem Sohn empfiehlt.
Für die Heimatsuche
der nächsten Generation ist eine solche Prämisse natürlich
untauglich, muss sich der junge Kapitelman doch integrieren, um sich
einen Platz im deutschen Alltag zu erobern.
Das am Horizont immer wieder
aufschimmernde Problem heißt: "Nicht wissend, wer ich
bin,und nirgendwo zu Hause."4
Aus einer solchen, sehr europäisch
anmutenden Perspektive finde ich die Frage nach der Integration der
Flüchtlinge aus dem Nahen Osten noch einmal besonders spannend. Denn
untertauchen und unsichtbar werden wäre für sie schon phänotypisch
viel schwieriger.
4
Während der einführenden Passagen
erlaubt sich der Autor einen gelungenen Blick auf die
zwischenzeitlich zu seinem Wohnsitz gewordene deutsche Hauptstadt
Berlin.
Sehr treffend und zugleich ein
exemplarisches Beispiel für die Sprachkraft des 1994 als
Achtjähriger nach Deutschland Eingewanderten heißt es da, Berlin
sei eine Stadt, in "der so viele Selbstdarsteller und
Narzissten umherstolzieren, dass der Senat vielleicht bald
beschließen muss, Spiegel statt Häuser in den Straßen zu bauen, um
einer Revolte zuvorzukommen. In der ein Mann mit blutüberströmter
Hand am Hermannplatz ignoriert wird und niemand seine Bitte um ein
Blutung stillendes Taschentuch erhört. In der derlei
Kaltherzigkeiten als hauptstädtische Abgebrühtheit verbucht werden
...
Dennoch ist diese Drecksstadt nach
wie vor unwiderstehlich. Periodisch zumindest. ...
Heute kannst du ein Zebrakostüm in
Friedrichshain anziehen, morgen als Anlageberater durch Mitte
hochstapeln und am Sonntag gegen das transatlantische
Wirtschaftsabkommen vor dem Kanzleramt protestieren. Was ich alles
unterlassen habe, aber die theoretische Möglichkeit bestand. Sie
besteht eigentlich immer und für alles in Berlin. Bergida war eine
Totgeburt. NPD-Wähler wohnen höchstens in Ostköpenick, Lichtenberg
und Hellersdorf. Okay, im Umland sprießen die braunen Wälder. Aber
im trügerisch weltoffenen Kernberlin lässt sich das herrlich leicht
ausblenden. Eine urbane Fata Morgana der fortschrittlichen
Gesellschaft".5
Ich empfehle die Lektüre – des
Buches, nur begrenzt die der Stadt.
Friedrichshainer Baudenkmal. Friedrichshain, Berlin, 2016. |
1 D.
Kapitelman, Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters. München 2016.
2 Ebd.,
7.
3 Ebd.,
28.
4 Ebd.,
13.
5 Ebd.,
31.