Das Evangelium des heutigen Sonntags
(Mt 22,15-21)
behandelt ein Thema, das ich für sehr bedeutsam halte und das
deshalb auch immer wieder im Blog auftaucht. Es geht um das
Verhältnis von Religion und Politik.
Jesus wird hier von den Pharisäern auf
die Probe gestellt und nach seiner Haltung zur kaiserlichen Steuer
befragt – und damit befindet er sich in einer Zwickmühle: als Akt
des Widerstands gegen die nicht nur politisch, sondern auch religiös
übergriffige Besatzungsmacht hätte Jesus die Steuer ablehnen
müssen. Dies aber wäre ein politischer Affront gewesen, der harte
Strafen der Römer nach sich gezogen hätte.
Anstatt nun also die eine oder die
andere Seite zu brüskieren, reagiert Jesus zunächst mit der
Gegenfrage, was denn auf der in Frage stehenden Münze abgebildet
sei.
Da es das Bildnis des Kaisers ist,
antwortet er:
"So gebt dem Kaiser, was dem
Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" (v21)
Trennung der Dinge. Messer mit Speck, Neukölln, Berlin, 2016. |
1
Aus dieser Antwort ergibt sich
zweierlei:
Zunächst: Die grundsätzliche Frage
nach dem Gottes- und Menschenverständnisses Jesu spielt sich auf
einer anderen Ebene ab, als durch die Zahlung einer Steuer deutlich
werden könnte. Ob jemand staatlich verpflichtet wird, eine Steuer zu
zahlen oder nicht, hat mit seiner Gottesbeziehung zunächst nichts zu
tun.
Daraus folgt aber ein weiterreichendes
Zweites: es handelt sich bei Jesu Antwort um eine Absage an
gegenseitige Durchgriffsrechte – weder soll sich die Religion zur
theokratischen Logik einer Gesellschaft aufspielen, noch darf sich
ein Herrscher an Stelle Gottes stellen.
Mit anderen Worten handelt es sich um
die Forderung nach zurückhaltender Selbstbeschränkung beider
Seiten.
Auch in unserer Zeit einer
"wohlwollenden Neutralität" des deutschen Staates
gegenüber der (christlichen) Religion hat das eine Relevanz: sobald
es um die gerade debattierte Frage nach muslimischen Feiertagen, und
damit um das Einräumen von Privilegien für eine weitere Religion
geht, schlagen die Wellen hoch. Und im Hintergrund steht die Frage,
wie das Christentum und der deutsche Rechtsstaat miteinander
verbunden (oder eben nicht verbunden) sind.
2
Allerdings ist die Situation zur Zeit
Jesu noch viel verworrener, als dass der erste der genannten Punkte
so stehen bleiben könnte. Denn der Kaiser war zur Zeit Jesu nicht
nur ein politischer Führer, sondern auch Gegenstand religiösen
Kultes.
Seit dem zur Zeit der Geburt Jesu (und
bis ins Jahr 14 n.C.) herrschenden Augustus nämlich wurde "ein
ins Maßlose gesteigerter Personenkult, der in der Verehrung des
Herrschers als Gott kulminierte",1
betrieben. Augustus ließ sich u.a. als "Heiland des
allgemeinen Menschengeschlechts"2
anbeten. Unter Tiberius, der zur Zeit des öffentlichen Wirkens und
Sterbens Jesu herrschte, wurde diese Praxis, in der nicht nur die
verstorbenen und divinisierten, sondern schon die lebenden Kaiser
verehrt wurden, verfestigt und in verstärktem Maße auch auf die
kaiserliche Familie ausgedehnt.3
In den neutestamentlichen Schriften hat
der Kaiserkult außer in der Offenbarung des Johannes (wohl in
13,4.8; 14,9) keinen Niederschlag gefunden. Dafür wüteten die
diesbezüglichen Konflikte in der nachbiblischen Zeit der Verfolgung
(besonders unter Decius) umso heftiger.
Trotzdem muss davon ausgegangen werden,
dass die seit 30/29 v.Chr bezeugte reichsweite göttliche Verehrung
für den Kaiser auch am Israel der Zeit Jesu nicht gänzlich
vorbeigegangen ist, aber eben noch keine so herausragende Rolle
spielte wie später.
Einsamer Turm. Bahnhof Dallgow-Düberitz, 2016. |
Wie dem auch sei, scheint Matthäus als
Autor des Evangeliums hier jedenfalls kein Problem ausgemacht zu
haben, sonst hätte sich die Fragestellung ja viel unerträglicher
gestellt: einem Kaiser, der sich als Gott verehren lässt, wäre die
Steuerschuld natürlich viel berechtigter vorzuenthalten und die
Gottesbeziehung wäre viel weitreichender involviert.
3
Aus der umgedrehten Perspektive auf den
Menschen Augustus ist der große, vor einem Jahr neu auf Deutsch
erschienene Augustus-Roman von John Williams geschrieben.
Der Autor reißt ein durch viele Briefe
aufgefächertes Bild des Herrschers und der Gesellschaft auf und
beschreibt nebenbei sowohl die alte Religion mit der überlebten
Verehrung des römischen Götterhimmels als auch östliche Kulte.
Den Kaiser zeichnet er vornehmlich als
auf Macht bedachten und der Macht zugleich ausgelieferten Herrscher
und erteilt seinem Protagonisten ganz am Ende selbst das
reflektierende Wort. Dort äußert sich der fiktive Augustus im
Greisenalter selbst zu seinem Stand als gottgleich Verehrter und zu
seinem Weg dorthin.
Auf diese Weise bietet der Roman einen
reizvollen Einblick in das Leben des Gottes als normaler Mensch.
Augustus schildert sich als vom
Schicksal Ergriffenen und von der Politik Gebundenen. Die
Staatsraison macht ihn einsam und geheimniskrämerisch, sie verlangt
ihm viele Opfer ab, entreißt ihm die Freunde und nötigt ihn, seine
eigene Tochter zu verstoßen.
Der römische Gott lebt als ein
Getriebener.
Bei der zufälligen Begegnung mit
seiner alt gewordenen Amme preist er sie als Mutter dreier Söhne
glücklich, woraufhin sie ungläubig stammelt: "Aber Ihr ...
Ihr seid nicht wie andere Menschen. Auf dem Land beschützt Euer Bild
die Feuerstellen. Auch die Wegkreuzungen und Tempel. Macht es Euch
denn nicht froh, von dieser Welt verehrt zu werden?"4
Natürlich ist Williams Augustus zu
sehr Mensch (und dabei so aufgeklärt-neuzeitlich), als dass er dies
bejahen könnte.
So ist auch seine Begründung für die
Einführung der Verehrung Gaius Julius Cäsars eine sehr abgeklärte:
"Ich entschied ... sehr früh, dass es der öffentlichen
Ordnung abträglich ist, wenn man jene Götter ehrt, die dunklen
Instinkten entspringen."5
Die Angst und die latente Gewalt der
breiten Volksmassen sind es, die er laut Roman einhegen wollte und so
auch selbst zum Objekt der Verehrung werden musste. Dementsprechend
schreibt er an seinen Briefpartner:
Was für Kaiser dabei? Berufsbekleidungsfachgeschäft, Neukölln, Berlin, 2017. |
"Wie Du weißt, hält man mich
in vielen Städten und Provinzen Italiens bereits jetzt für einen
Gott; allerdings gab ich nie die Erlaubnis, diesen Kult auch in Rom
zu praktizieren. Es ist eine Narretei, wenn auch zweifellos eine
notwendige. Trotzdem ist mir von allen Rollen, die ich Lebzeiten zu
spielen hatte, diese am unangenehmsten. Ich bin ein Mensch und so
dumm und schwach wie alle Menschen; falls ich gegenüber meinen
Mitmenschen einen Vorteil hatte, dann den, dass ich eben genau dies
über mich gewusst habe und daher auch die Schwächen anderer kannte
und folglich nie damit rechnete, bei ihnen größere Stärke und
Weisheit als bei mir selbst zu finden. Dieses Wissen war eine der
Quellen meiner Macht."6
Was für eine herrliche Verkehrung der
allgemeinen Vorstellung von einem Gottkaiser!
Das Wissen um die eigenen Schwächen
wird ihm zur Stärke. Paulinischer hätte man es fast nicht sagen
können (vgl. 2Kor 12,9f).
Hätten die echten Kaiser so
realistisch von sich gedacht – und dies dann auch noch zur Maxime
ihres Handelns gemacht, es hätte fast auf die Selbstbeschränkung
hinauslaufen können, die Jesus predigte. Aber leider war die
Staatsraison in der politischen Realität immer stärker als im Roman – darum wurde der Kaiserkult nur Jahrzehnte später zur ultimativen Entscheidung der Christen in der Verfolgung.
Und so bleibt es dabei, dass Jesus eine
(in der Christentumsgeschichte leider zu oft nicht gelebte) klare
Unterscheidung der Sphären vorstellt, während die Kaiser die
Religion(en) zu ihren Gunsten nutz(t)en. Auf diese Weise besteht die
Aufgabe der Christen nach dem Wort Jesu immer wieder darin, die klare
Scheidung von Religion und Politik deutlich zu machen.
1 A.
Eich, Die römische Kaiserzeit. Die Legionen und das Imperium.
München 2014, 57.
2 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der
Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 115.
3 Vgl.
dazu und zu den absurden Folgen, wenn konkurrierende Teile des
kaiserlichen Hauses Verehrung genossen und sich die Interessen allzu
deutlich überlagerten: A. Eich, a.a.O., 60ff.
4 J.
Williams, Augustus. München 2016, 213.
5 Ebd.,
403.
6 Ebd.,
404.