Samstag, 21. Oktober 2017

Der Kaiser und die Schwachheit. Von Selbstbeschränkung und Kult

Das Evangelium des heutigen Sonntags (Mt 22,15-21) behandelt ein Thema, das ich für sehr bedeutsam halte und das deshalb auch immer wieder im Blog auftaucht. Es geht um das Verhältnis von Religion und Politik.

Jesus wird hier von den Pharisäern auf die Probe gestellt und nach seiner Haltung zur kaiserlichen Steuer befragt – und damit befindet er sich in einer Zwickmühle: als Akt des Widerstands gegen die nicht nur politisch, sondern auch religiös übergriffige Besatzungsmacht hätte Jesus die Steuer ablehnen müssen. Dies aber wäre ein politischer Affront gewesen, der harte Strafen der Römer nach sich gezogen hätte.
Anstatt nun also die eine oder die andere Seite zu brüskieren, reagiert Jesus zunächst mit der Gegenfrage, was denn auf der in Frage stehenden Münze abgebildet sei.
Da es das Bildnis des Kaisers ist, antwortet er:
"So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" (v21)

Trennung der Dinge.
Messer mit Speck, Neukölln, Berlin, 2016.
1
Aus dieser Antwort ergibt sich zweierlei:
Zunächst: Die grundsätzliche Frage nach dem Gottes- und Menschenverständnisses Jesu spielt sich auf einer anderen Ebene ab, als durch die Zahlung einer Steuer deutlich werden könnte. Ob jemand staatlich verpflichtet wird, eine Steuer zu zahlen oder nicht, hat mit seiner Gottesbeziehung zunächst nichts zu tun.
Daraus folgt aber ein weiterreichendes Zweites: es handelt sich bei Jesu Antwort um eine Absage an gegenseitige Durchgriffsrechte – weder soll sich die Religion zur theokratischen Logik einer Gesellschaft aufspielen, noch darf sich ein Herrscher an Stelle Gottes stellen.
Mit anderen Worten handelt es sich um die Forderung nach zurückhaltender Selbstbeschränkung beider Seiten.
Auch in unserer Zeit einer "wohlwollenden Neutralität" des deutschen Staates gegenüber der (christlichen) Religion hat das eine Relevanz: sobald es um die gerade debattierte Frage nach muslimischen Feiertagen, und damit um das Einräumen von Privilegien für eine weitere Religion geht, schlagen die Wellen hoch. Und im Hintergrund steht die Frage, wie das Christentum und der deutsche Rechtsstaat miteinander verbunden (oder eben nicht verbunden) sind.

2
Allerdings ist die Situation zur Zeit Jesu noch viel verworrener, als dass der erste der genannten Punkte so stehen bleiben könnte. Denn der Kaiser war zur Zeit Jesu nicht nur ein politischer Führer, sondern auch Gegenstand religiösen Kultes.
Seit dem zur Zeit der Geburt Jesu (und bis ins Jahr 14 n.C.) herrschenden Augustus nämlich wurde "ein ins Maßlose gesteigerter Personenkult, der in der Verehrung des Herrschers als Gott kulminierte",1 betrieben. Augustus ließ sich u.a. als "Heiland des allgemeinen Menschengeschlechts"2 anbeten. Unter Tiberius, der zur Zeit des öffentlichen Wirkens und Sterbens Jesu herrschte, wurde diese Praxis, in der nicht nur die verstorbenen und divinisierten, sondern schon die lebenden Kaiser verehrt wurden, verfestigt und in verstärktem Maße auch auf die kaiserliche Familie ausgedehnt.3
In den neutestamentlichen Schriften hat der Kaiserkult außer in der Offenbarung des Johannes (wohl in 13,4.8; 14,9) keinen Niederschlag gefunden. Dafür wüteten die diesbezüglichen Konflikte in der nachbiblischen Zeit der Verfolgung (besonders unter Decius) umso heftiger.
Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass die seit 30/29 v.Chr bezeugte reichsweite göttliche Verehrung für den Kaiser auch am Israel der Zeit Jesu nicht gänzlich vorbeigegangen ist, aber eben noch keine so herausragende Rolle spielte wie später.
Einsamer Turm.
Bahnhof Dallgow-Düberitz, 2016.
Wie dem auch sei, scheint Matthäus als Autor des Evangeliums hier jedenfalls kein Problem ausgemacht zu haben, sonst hätte sich die Fragestellung ja viel unerträglicher gestellt: einem Kaiser, der sich als Gott verehren lässt, wäre die Steuerschuld natürlich viel berechtigter vorzuenthalten und die Gottesbeziehung wäre viel weitreichender involviert.

3
Aus der umgedrehten Perspektive auf den Menschen Augustus ist der große, vor einem Jahr neu auf Deutsch erschienene Augustus-Roman von John Williams geschrieben.
Der Autor reißt ein durch viele Briefe aufgefächertes Bild des Herrschers und der Gesellschaft auf und beschreibt nebenbei sowohl die alte Religion mit der überlebten Verehrung des römischen Götterhimmels als auch östliche Kulte.
Den Kaiser zeichnet er vornehmlich als auf Macht bedachten und der Macht zugleich ausgelieferten Herrscher und erteilt seinem Protagonisten ganz am Ende selbst das reflektierende Wort. Dort äußert sich der fiktive Augustus im Greisenalter selbst zu seinem Stand als gottgleich Verehrter und zu seinem Weg dorthin.
Auf diese Weise bietet der Roman einen reizvollen Einblick in das Leben des Gottes als normaler Mensch.
Augustus schildert sich als vom Schicksal Ergriffenen und von der Politik Gebundenen. Die Staatsraison macht ihn einsam und geheimniskrämerisch, sie verlangt ihm viele Opfer ab, entreißt ihm die Freunde und nötigt ihn, seine eigene Tochter zu verstoßen.
Der römische Gott lebt als ein Getriebener.
Bei der zufälligen Begegnung mit seiner alt gewordenen Amme preist er sie als Mutter dreier Söhne glücklich, woraufhin sie ungläubig stammelt: "Aber Ihr ... Ihr seid nicht wie andere Menschen. Auf dem Land beschützt Euer Bild die Feuerstellen. Auch die Wegkreuzungen und Tempel. Macht es Euch denn nicht froh, von dieser Welt verehrt zu werden?"4
Natürlich ist Williams Augustus zu sehr Mensch (und dabei so aufgeklärt-neuzeitlich), als dass er dies bejahen könnte.
So ist auch seine Begründung für die Einführung der Verehrung Gaius Julius Cäsars eine sehr abgeklärte: "Ich entschied ... sehr früh, dass es der öffentlichen Ordnung abträglich ist, wenn man jene Götter ehrt, die dunklen Instinkten entspringen."5
Die Angst und die latente Gewalt der breiten Volksmassen sind es, die er laut Roman einhegen wollte und so auch selbst zum Objekt der Verehrung werden musste. Dementsprechend schreibt er an seinen Briefpartner:
Was für Kaiser dabei?
Berufsbekleidungsfachgeschäft, Neukölln, Berlin, 2017.
"Wie Du weißt, hält man mich in vielen Städten und Provinzen Italiens bereits jetzt für einen Gott; allerdings gab ich nie die Erlaubnis, diesen Kult auch in Rom zu praktizieren. Es ist eine Narretei, wenn auch zweifellos eine notwendige. Trotzdem ist mir von allen Rollen, die ich Lebzeiten zu spielen hatte, diese am unangenehmsten. Ich bin ein Mensch und so dumm und schwach wie alle Menschen; falls ich gegenüber meinen Mitmenschen einen Vorteil hatte, dann den, dass ich eben genau dies über mich gewusst habe und daher auch die Schwächen anderer kannte und folglich nie damit rechnete, bei ihnen größere Stärke und Weisheit als bei mir selbst zu finden. Dieses Wissen war eine der Quellen meiner Macht."6
Was für eine herrliche Verkehrung der allgemeinen Vorstellung von einem Gottkaiser!
Das Wissen um die eigenen Schwächen wird ihm zur Stärke. Paulinischer hätte man es fast nicht sagen können (vgl. 2Kor 12,9f). 

Hätten die echten Kaiser so realistisch von sich gedacht – und dies dann auch noch zur Maxime ihres Handelns gemacht, es hätte fast auf die Selbstbeschränkung hinauslaufen können, die Jesus predigte. Aber leider war die Staatsraison in der politischen Realität immer stärker als im Roman – darum wurde der Kaiserkult nur Jahrzehnte später zur ultimativen Entscheidung der Christen in der Verfolgung.
Und so bleibt es dabei, dass Jesus eine (in der Christentumsgeschichte leider zu oft nicht gelebte) klare Unterscheidung der Sphären vorstellt, während die Kaiser die Religion(en) zu ihren Gunsten nutz(t)en. Auf diese Weise besteht die Aufgabe der Christen nach dem Wort Jesu immer wieder darin, die klare Scheidung von Religion und Politik deutlich zu machen.



1   A. Eich, Die römische Kaiserzeit. Die Legionen und das Imperium. München 2014, 57.
2   J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 115.
3   Vgl. dazu und zu den absurden Folgen, wenn konkurrierende Teile des kaiserlichen Hauses Verehrung genossen und sich die Interessen allzu deutlich überlagerten: A. Eich, a.a.O., 60ff.
4   J. Williams, Augustus. München 2016, 213.
5   Ebd., 403.
6   Ebd., 404.