Am 25. September feiern wir einen
Heiligen, der es in sich hat: den heiligen Nikolaus von Flüe. Er ist
der Nationalheilige der Schweiz und wird als Einsiedler, als
Visionär, als Friedensstifter verehrt.
Ich beziehe mich in meiner Predigt im
Berliner Haftkrankenhaus auf das Evangelium vom Tage (Lk
9,1-6).
1. Jesus ruft und sendet
"Jesus rief die Zwölf zu sich"
und gab ihnen "Kraft" und "Vollmacht"
(v1).
Wenn katholische Christen von den
Aposteln (denn das sind die "Zwölf") sprechen, dann geht
es ihnen in der Regel darum, auf Menschen hinzuweisen, die etwas
besonderes sind.
Aber wenn wir uns anschauen, wen Jesus
da zu sich ruft, können wir uns leicht wieder erkennen: da sind
Betrüger, Aufschneider, Vordrängler, Angsthasen, Vorlaute,
Spätzünder, Jähzornige und Lachnummern aller Art dabei. Man denke
nur den mit den römischen Besatzern kollaborierenden Zöllner
Matthäus, an den Petrus, der Jesus belehren will und zurechtgewiesen
wird, an die beiden Söhne des Zebedäus, die sich an den anderen
vorbei den besten Platz bei Jesus sichern wollen und so fort.
Komische Typen. Zinnowitz, 2019. |
Aber Jesus will, dass gerade diese
komischen Typen nahe bei ihm sind. Er will sie bei sich haben.
Und er gibt ihnen "Kraft"
und "Vollmacht" – und damit ist keine
Superhelden-Kraft gemeint.
Sondern aus der Nähe zu ihm sollen sie
die Kraft haben, alles Schlechte zu vertreiben. Das nämlich ist
gemeint, wenn das Evangelium davon spricht, dass Jesus sie sendet, um
"Dämonen auszutreiben" (v1).
Und nicht nur die Apostel, sondern alle
Christinnen und Christen können das.
Das Schlechte muss raus! Die
abfälligen Worte über die Beamten sollen weg! Die aggressiven
Gedanken gegenüber den Nachbarn oder dem Richter oder den Sozialarbeitern! Die Gier, die Angst, die Hoffnungslosigkeit, der
Ärger und alles, das, was uns so runterzieht.
Alles das kennen die "Zwölf"
auch. Deshalb werden die Apostel in den Evangelien auch als bisweilen
besonders dämlich hingestellt, weil sie eben auch nicht so viel
anders sind als der Rest.
Aber manchmal können wir es gar nicht
glauben und gehen riesige Umwege, um dahin zu kommen.
Auch Klaus von Flüe fühlte sich von
Gott gerufen und gesandt. Aber er hat sehr sehr lange gebraucht, um
seinen Platz zu finden. Und sein Weg war in keinster Weise einfach
und geradeaus. 1417 als Sohn eines reichen Bauern geboren, hatte er
schon als Jugendlicher Visionen, dann zog er für seinen Kanton in
den Krieg, schließlich heiratete er und bekam mit seiner Frau zehn
Kinder.
Aber als er um die 50 war, wurde seine
Sehnsucht nach der Einsamkeit immer größer und nachdem seine
schließlich Frau zugestimmt hatte (und die großen Kinder den Hof
bewirtschaften konnten!), zog er fort. Aber auf dem Weg nach Basel,
wo er zuerst meinte, leben zu sollen, merkte er, dass es auch das
nicht war – er ging zurück und ließ sich in einer Schlucht (dem
Ranft) in der Nähe seiner Familie bei Flüeli nieder.
Völlig unvorhersehbar war dieser
Lebensweg des heiligen Klaus. Und völlig unwahrscheinlich.
So wie auch wie wir heutigen Christen
manchmal meinen, dass Gott doch nicht DAS gemeint haben könne und
dass er mich überfordert mit seinem Wunsch, dass ich allen Menschen
seine Liebe zeige, und dass es völlig unmöglich sei, dass ich meine
Beziehungen ordne, und dass ich es einfach nicht schaffe, hier oder
da um Verzeihung zu bitten, und überhaupt, dass ich die Finger von
bestimmten Substanzen lassen sollte ... und so weiter...
Aber aus der Nähe zu Gott kann ich
erkennen, was ich tun soll. Und von ihm bekomme ich die "Kraft"
dazu! Auch wenn ich manchmal nicht glauben
kann, dass es wirklich so gehen kann...
Wozu sendet er mich also? Was ist mein
Lebensauftrag? Welche Dämonen muss ich dringend loswerden? Wo kann
ich anderen helfen, aus ihren Zwängen und Ängsten herauszukommen?
2. Heilen
Jesus will, dass Menschen heil werden.
Und er schickt seine Jünger aus, dass sie genau in diesem Sinne
handeln: heilend.
Das kann man, gerade hier im
Krankenhaus, wörtlich verstehen. Jesus will uns gesund sehen – an
Körper und Geist. Und in vielen Fällen können wir selbst etwas
dafür tun. (Auch wenn man sich natürlich berechtigterweise fragen
kann, ob es nicht für bestimmte Krankheitsbilder bessere Orte gibt
als dieses Haus.)
Inzwischen weiß ja auch unsere
Medizin, dass das physische und das mentale Wohlergehen
zusammenhängen, dass Stress und Ärger der Heilung nicht förderlich
sind und dass eine entspannte Umgebung besser zur Heilung beiträgt
als ... Sie wissen schon...
Herz heilt. Rusinowo, 2019. |
Die eine, körperliche Heilung hängt
mit der anderen, geistigen Heilung zusammen. Denn was müsste nicht
noch alles geheilt werden bei uns: Beziehungen, Erinnerungen, Brüche
in unseren Biographien…
Wir können das, was Jesus damit meint,
auch anders benennen: Heilung besteht auch darin, Frieden zu
schaffen.
Klaus von Flüe wird in der Schweiz als
Friedensstifter verehrt – wie zu vielen geistlichen Menschen kamen
auch zu ihm Hilfesuchende, die ihn aus seiner politisch aktiven Zeit
als Ratsherr und Richter kannten. Den Frieden von 1481 zwischen
Stadtkantonen und Landkantonen vermittelte unter anderem der bekannte
Einsiedler, nachdem man in der aussichtslosen Situation zu ihm
gekommen war.
Einsiedlerleben bedeutet also nicht,
dass man seine Ruhe hat – jedenfalls übernahm der heilige Klaus in
christlichem Sinne Verantwortung, wenn er sich für den Frieden in
der Schweiz einsetzte.
Für uns stellt sich dann natürlich
die Frage, wo unsere Aufgabe ist, Frieden zu schaffen. Wo kann ich
heilend tätig sein? Wo kann ich zum Friedensstifter werden?
3. Sogar den Staub noch loswerden
Ein Satz aus dem Evangelium, der mich
immer bewegt, ist die Aufforderung Jesu, bei Ablehnung ohne
Gewissensbisse fortzugehen: "geht weg, und schüttelt den
Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie" (v5).
Und tatsächlich, hier muss ich mal
etwas aus dem Nähkästchen plaudern, ist das so eine Frage, die ich
mir immer wieder stelle.
Wie konsequent sage ich hier im
Gefängnis: "Jetzt reicht es aber mal"? Immerhin gibt es ja
genug Leute, die eindeutig nichts von der Botschaft Jesu hören
wollen - und mit denen ich trotzdem im Kontakt bleibe. Manchmal
wollen sie Tabak, manchmal trinken wir einen Kaffee, manchmal geht es
nur darum, sich ein paar Minuten mit jemandem zu unterhalten, der
nicht noch schlechter dran ist oder seine Macht mit dem Schlüssel
nutzen muss...
Anders gesagt – grenze ich mich genug
ab?
Wenn klar ist, dass jemand nicht an dem
interessiert ist, für den ich hier bin – nämlich für Jesus und
seine Botschaft, dann könnte ich doch auch sagen, dass ich hier nur
meine Zeit verschwende.
Ich kann, anders ausgedrückt, ja die
Freiheit meines Gegenübers respektieren und sein Desinteresse ernst
nehmen, indem ich mich abwende und weiter gehe.
Aber ich bin inkonsequent und halte die
Tür immer noch offen. Lasse mich anquatschen. Gehe nicht sofort
weiter. Und sage selten Nein. Anders gesagt: Ich schüttele den Staub
nicht von meinen Schuhen, sondern trage ihn weiter mit mir rum.
Zum Glück erscheint mir der heilige
Klaus von Flüe ebenso inkonsequent:
Einerseits Einsiedler – andererseits
berät er, wie eben erzählt, die große Politik.
Oder: Einerseits zieht er fort, um ohne
seine Familie zu leben – andererseits ist schwer vorstellbar, dass
der zehnminütige Fußweg von seinem ehemaligen Wohnhaus bis zu
seiner kleinen Einsiedelei in der Schlucht nicht immer mal von seinen
Kindern oder seiner Frau genutzt wurde. Jedenfalls wird überliefert,
dass Klaus am 21. März 1487 in Anwesenheit seiner Frau starb.
Inkonsequent zu sein, ist also kein
Beinbruch.
Aber Klaus steht auch ganz klar für
die sich ergebende Frage: Wovon muss ich mich lösen, um gut
weitergehen zu können? Was will ich loswerden?
Auch nicht staubfrei. Bruder-Klaus-Kirche in Britz, Neukölln, Berlin, 2016. |
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