Samstag, 1. Februar 2020

"Urlaub vom Galgen" Zum 75. Todestag von Alfred Delp

LL., heute ist ein harter Tag. Nun sind alle meine Freunde und Gefährten tot, nur ich bin zurückgeblieben. Hier jetzt der Einzige im Eisen. Was dahintersteht, weiß ich noch nicht, vermute jedoch nichts Gutes. …  Ich bin sehr müde vor Traurigkeit und Schrecken. Menschlich wäre es leichter, mitzugehen. …1

So schreibt der Jesuit Alfred Delp am 23. Januar 1945 in der Berliner Strafanstalt Tegel. Auf kleinen Zetteln notiert er seine Gedanken und Bitten und lässt sie durch den evangelischen Gefängnispfarrer Harald Poelchau an Freunde und Unterstützer übermitteln. Helmuth James von Moltke, Nikolaus Groß und Eugen Bolz waren an jenem 23. Januar hingerichtet worden, so wie es auch Delp für sich erwartete.
Doch er wurde erst am 02. Februar 1945, heute vor 75 Jahren, in Plötzensee hingerichtet.

Triste Stimmung am See.
Peetzsee, Grünheide, 2018.
In den Wochen vor dem 23. Januar saßen Delps Freunde aus dem Kreisauer Kreis in seinen direkten Nachbarzellen in Tegel, durch den Gefängnispfarrer blieben auch sie in schriftlichem Kontakt miteinander und stärkten sich auf diese Weise gegenseitig.
Während dreier größerer Treffen auf Moltkes schlesischem Gut Kreisau und bei vielen kleinen Gesprächen hatten sie über eine neue politische und gesellschaftliche Ordnung für Deutschland nach dem Zusammenbruch desDritten Reiches nachgedacht. 
Dafür waren sie von Roland Freisler vor dem Volksgerichtshof am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt worden. Hochverrat hieß es in der Urteilsbegründung.

Und jetzt, in den Tagen Ende Januar, sitzt Delp allein in Tegel und hat das Gefühl, übriggeblieben zu sein. Den Tod hatte er erwartet. Denn während des Prozesses war ihm angesichts des tobenden Freislers klar geworden: „Für Moltke und mich gibt es da keinen Ausweg mehr. Wir sind umzingelt von Vernichtungswillen.“2
Nun muss er jedoch auf den Tod warten und weiß nicht, warum er nicht zusammen mit den anderen Verschwörern hingerichtet wurde. Das plagt ihn mehr als die Todesgewissheit selbst.

Ursprünglich wurde Delp nur verhaftet, weil man seinen Namen in einem Notizbuch von Stauffenberg gefunden hatte. Diesen hatte er im Juni 1944 in München getroffen, allerdings sprach Stauffenberg höchstwahrscheinlich nicht mit Delp über seine Attentatspläne. Doch in der Folge der Verhaftung kam es bald zur Aufdeckung der geheimen Arbeit des Kreisauer Kreises und zu weiteren Verhaftungen.

Über die Gerichtsverhandlung schrieb Delp an seinen Freund und Mitbruder Pater Franz von Tattenbach:
Die Urteilsbegründung bzw. die Verhandlungen stellten folgende vier Belastungen auf (alles andere fiel, keine Beziehung zum 20. Juli etc.!).
  1. Glauben an eine deutsche Zukunft nach einer möglichen Niederlage …
  2. Unvereinbarkeit von NS und Christentum. Deswegen waren unsere Gedanken falsch und gefährlich, weil sie von da ausgingen. …
  3. Der Orden ist eine Gefahr und der Jesuit ein Schuft, wir sind grundsätzlich Feinde Deutschlands.
  4. Die katholische Lehre von der ‚iustitia socialis‘ als Grundlage für einen kommenden Sozialismus.
Und fügt hinzu: „Wenn ich sterben muß, ich weiß wenigstens warum.3

Schatten des Rettungsrings auf dem Weg nach Plötzensee.
Westhafenkanal, Berlin, 2018.
Schaut man sich diese Gründe genauer an, lässt sich klar ersehen, wie sich die Nationalsozialisten derart mit dem deutschen Volk identifizierten, dass ihnen schon die Denkmöglichkeit eines Deutschlands ohne Nationalsozialismus verbrecherisch vorkommen musste. Was die Widerständler für eine Zeit nach der Niederlage planten, konnte nur als Angriff auf die NS-Ideologie verstanden werden – und war es ja auch.
Dazu kam die Botschaft des Christentums, die von den Nazis zu Recht als ihrem eigenen Denken vollkommen entgegengesetzt wahrgenommen wurde (selbst wenn das nicht überall und von allen so verstanden wurde, so hatte Freisler die Unvereinbarkeit ganz klar verstanden).
Freisler hasste darüber hinaus die Jesuiten besonders; Delp wurde sogar die Freilassung versprochen, wenn er den Orden verlassen würde – was dieser aber ablehnte.

Gefällt wurde das Urteil, als die militärische Niederlage Deutschlands immer deutlicher wurde, kurz bevor das KZ Auschwitz von den sowjetischen Truppen befreit wurde und als die letzten deutschen Offensiven an der Westfront gerade erfolglos im Sande verliefen. Eigentlich war schon klar, dass es dem Ende entgegenging – doch die die Mordmaschinerie der Nazis funktionierte weiterhin.

Delp schreibt, ebenfalls nach der Hinrichtung Moltkes, am 24. Januar an seine beiden Unterstützerinnen Marianne Hapig und Marianne Pünder:

Ihr guten Leute, das war ein böser Tag gestern und heute. Es wäre leichter gewesen, mitzufahren nach Plötzensee als plötzlich diese Einsamkeit des Schicksals aushalten zu müssen. Gemeint ist mit diesem Urlaub vom Galgen gewiß keine Wohltat, aber vielleicht ist dies das Verbindungsstück zum Wunder, das aus gehässiger Absicht gebaut und zum guten Ende genutzt wird. – Bitte helfen Sie mir die nächsten Tage viel beten. …4

„...mitzufahren nach Plötzensee“ wäre eindeutig gewesen. Es hätte keine Unklarheiten und Zweifel mehr gegeben, man hätte sich gegenseitig weiter stützen können auf diesen letzten Metern des Lebens. Aber der von Delp so genannte „Urlaub vom Galgen“ bedeutet für ihn in erster Linie Einsamkeit.
Allein auf sich gestellt ist das Aushalten viel schwieriger als mit wirklichen Freunden, das höre auch ich in der Haftanstalt immer wieder. Draußen sind vielleicht Familienmitglieder, Unterstützer, Freunde und geliebte Menschen. Aber drinnen ist einer allein, wenn kein Vertrauter nebenan sitzt.

Von Moltke bekam Delp in den letzten Tagen noch folgende Notiz:

Der Herr hat uns wunderbar bis hierher geführt; … er hat uns durch vielerlei Zeichen gezeigt, daß er bei uns ist. Daraus schließe ich, daß, wenn ich ständig darum bitte, er uns weiter spüren lassen wird, daß er bei uns ist; aber das kann er am Galgen in Plötzensee genausogut tun, wie in der Freiheit in Kreisau oder sonstwo.5

Diese Einstellung des evangelischen Freundes hat Delp anscheinend nach dessen Tod bestärkt.
Trotz seiner Trauer über den Tod der Freunde und trotz des Schreckens beim Gedanken an den eigenen nahenden Tod schreibt er am 26. Januar an Franz von Tattenbach:
„... Ich fasse diese harte Woche als eigentliche Pflicht auf, weiter zu glauben, zu beten und zu hoffen.“6

Das scheint Delps innerlich errungene Antwort zu sein auf die Frage:
Was soll das? Was will Gott mit diesem Warten, diesem Aushalten, diesem Alleinsein, diesem ganzen „Urlaub vom Galgen“ von mir?

Und wahrscheinlich besteht darin auch die Herausforderung in allen anderen, uns betreffenden Härten des Lebens: Trotzdem weiter glauben, weiter beten, weiter hoffen – in der Hoffnung, dass Gott spürbar bei uns sein wird.

Von Delp hoffe ich, dass er sterben konnte, wie es der greise Simeon im Evangelium am Fest der Darstellung des Herrn, seinem Todestag, sagen konnte:
Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, ... in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen...“ (Lk 2,29f)

Weiter beten.
Grünheide, 2019.


1   Alfred Delp am 23. Januar 1945 an Luise Oestreicher. In: A. Delp, Kassiber. Aus der Haftanstalt Berlin-Tegel. Frankfurt a.M. 1987, 130.
2   Delp am 12. Januar 1945 an M. In: Ebd., 101.
3   Delp am 21. Januar 1945 an P. Franz v. Tattenbach. In: Ebd., 124.
4   Delp am 23. Januar 1945 an Marianne Hapig und Marianne Pünder. In: Ebd., 131.
5   Brief von Helmuth James von Moltke an Alfred Delp (ohne Datum). In: O. Ogiermann, Kein Tod kann uns töten. Alfred Delp – Denker und Mahner in dunkler Zeit. Leipzig 1982, 377.
6   Delp am 26. Januar 1945 an P. Franz v. Tattenbach. In: A. Delp, a.a.O., 133.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen