„LL., heute ist ein
harter Tag. Nun sind alle meine Freunde und Gefährten tot, nur ich
bin zurückgeblieben. Hier jetzt der Einzige im Eisen. Was
dahintersteht, weiß ich noch nicht, vermute jedoch nichts Gutes. …
Ich bin sehr müde vor Traurigkeit und Schrecken. Menschlich wäre es
leichter, mitzugehen. …“1
So schreibt der Jesuit
Alfred Delp am 23. Januar 1945 in der Berliner Strafanstalt Tegel.
Auf kleinen Zetteln notiert er seine Gedanken und Bitten und lässt
sie durch den evangelischen Gefängnispfarrer Harald Poelchau an
Freunde und Unterstützer übermitteln. Helmuth James von Moltke,
Nikolaus Groß und Eugen Bolz waren an jenem 23. Januar hingerichtet
worden, so wie es auch Delp für sich erwartete.
Doch er wurde erst am 02.
Februar 1945, heute vor 75 Jahren, in Plötzensee hingerichtet.
Triste Stimmung am See. Peetzsee, Grünheide, 2018. |
In den Wochen vor dem 23.
Januar saßen Delps Freunde aus dem Kreisauer Kreis in seinen
direkten Nachbarzellen in Tegel, durch den Gefängnispfarrer blieben
auch sie in schriftlichem Kontakt miteinander und stärkten sich auf
diese Weise gegenseitig.
Während dreier größerer
Treffen auf Moltkes schlesischem Gut Kreisau und bei vielen kleinen
Gesprächen hatten sie über eine neue politische und
gesellschaftliche Ordnung für Deutschland nach dem Zusammenbruch desDritten Reiches nachgedacht.
Dafür waren sie von Roland Freisler vor
dem Volksgerichtshof am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt worden.
Hochverrat hieß es in der Urteilsbegründung.
Und jetzt, in den Tagen
Ende Januar, sitzt Delp allein in Tegel und hat das Gefühl,
übriggeblieben zu sein. Den Tod hatte er erwartet. Denn während des
Prozesses war ihm angesichts des tobenden Freislers klar geworden:
„Für Moltke und mich gibt es da keinen Ausweg mehr. Wir sind
umzingelt von Vernichtungswillen.“2
Nun muss er jedoch auf den
Tod warten und weiß nicht, warum er nicht zusammen mit den anderen
Verschwörern hingerichtet wurde. Das plagt ihn mehr als die
Todesgewissheit selbst.
Ursprünglich wurde Delp
nur verhaftet, weil man seinen Namen in einem Notizbuch von
Stauffenberg gefunden hatte. Diesen hatte er im Juni 1944 in München
getroffen, allerdings sprach Stauffenberg höchstwahrscheinlich nicht
mit Delp über seine Attentatspläne. Doch in der Folge der
Verhaftung kam es bald zur Aufdeckung der geheimen Arbeit des
Kreisauer Kreises und zu weiteren Verhaftungen.
Über die
Gerichtsverhandlung schrieb Delp an seinen Freund und Mitbruder Pater
Franz von Tattenbach:
„Die
Urteilsbegründung bzw. die Verhandlungen stellten folgende vier
Belastungen auf (alles andere fiel, keine Beziehung zum 20. Juli
etc.!).
- Glauben an eine deutsche Zukunft nach einer möglichen Niederlage …
- Unvereinbarkeit von NS und Christentum. Deswegen waren unsere Gedanken falsch und gefährlich, weil sie von da ausgingen. …
- Der Orden ist eine Gefahr und der Jesuit ein Schuft, wir sind grundsätzlich Feinde Deutschlands.
- Die katholische Lehre von der ‚iustitia socialis‘ als Grundlage für einen kommenden Sozialismus.“
Und fügt hinzu: „Wenn
ich sterben muß, ich weiß wenigstens warum.“3
Schatten des Rettungsrings auf dem Weg nach Plötzensee. Westhafenkanal, Berlin, 2018. |
Schaut man sich diese
Gründe genauer an, lässt sich klar ersehen, wie sich die
Nationalsozialisten derart mit dem deutschen Volk identifizierten,
dass ihnen schon die Denkmöglichkeit eines Deutschlands ohne
Nationalsozialismus verbrecherisch vorkommen musste. Was die
Widerständler für eine Zeit nach der Niederlage planten, konnte nur
als Angriff auf die NS-Ideologie verstanden werden – und war es ja
auch.
Dazu kam die Botschaft des
Christentums, die von den Nazis zu Recht als ihrem eigenen Denken
vollkommen entgegengesetzt wahrgenommen wurde (selbst wenn das nicht
überall und von allen so verstanden wurde, so hatte Freisler die
Unvereinbarkeit ganz klar verstanden).
Freisler hasste darüber
hinaus die Jesuiten besonders; Delp wurde sogar die Freilassung
versprochen, wenn er den Orden verlassen würde – was dieser aber
ablehnte.
Gefällt wurde das Urteil,
als die militärische Niederlage Deutschlands immer deutlicher wurde,
kurz bevor das KZ Auschwitz von den sowjetischen Truppen befreit
wurde und als die letzten deutschen Offensiven an der Westfront
gerade erfolglos im Sande verliefen. Eigentlich war schon klar, dass
es dem Ende entgegenging – doch die die Mordmaschinerie der Nazis
funktionierte weiterhin.
Delp schreibt, ebenfalls
nach der Hinrichtung Moltkes, am 24. Januar an seine beiden
Unterstützerinnen Marianne Hapig und Marianne Pünder:
„Ihr guten Leute, das
war ein böser Tag gestern und heute. Es wäre leichter gewesen,
mitzufahren nach Plötzensee als plötzlich diese Einsamkeit des
Schicksals aushalten zu müssen. Gemeint ist mit diesem Urlaub vom
Galgen gewiß keine Wohltat, aber vielleicht ist dies das
Verbindungsstück zum Wunder, das aus gehässiger Absicht gebaut und
zum guten Ende genutzt wird. – Bitte helfen Sie mir die nächsten
Tage viel beten. …“4
„...mitzufahren nach
Plötzensee“ wäre eindeutig gewesen. Es hätte keine
Unklarheiten und Zweifel mehr gegeben, man hätte sich gegenseitig
weiter stützen können auf diesen letzten Metern des Lebens. Aber
der von Delp so genannte „Urlaub vom Galgen“ bedeutet für
ihn in erster Linie Einsamkeit.
Allein auf sich gestellt
ist das Aushalten viel schwieriger als mit wirklichen Freunden, das
höre auch ich in der Haftanstalt immer wieder. Draußen sind
vielleicht Familienmitglieder, Unterstützer, Freunde und geliebte
Menschen. Aber drinnen ist einer allein, wenn kein Vertrauter nebenan
sitzt.
Von Moltke bekam Delp in
den letzten Tagen noch folgende Notiz:
„Der Herr hat uns
wunderbar bis hierher geführt; … er hat uns durch vielerlei
Zeichen gezeigt, daß er bei uns ist. Daraus schließe ich, daß,
wenn ich ständig darum bitte, er uns weiter spüren lassen wird, daß
er bei uns ist; aber das kann er am Galgen in Plötzensee genausogut
tun, wie in der Freiheit in Kreisau oder sonstwo.“5
Diese Einstellung des
evangelischen Freundes hat Delp anscheinend nach dessen Tod bestärkt.
Trotz seiner Trauer über
den Tod der Freunde und trotz des Schreckens beim Gedanken an den
eigenen nahenden Tod schreibt er am 26. Januar an Franz von
Tattenbach:
„... Ich fasse diese
harte Woche als eigentliche Pflicht auf, weiter zu glauben, zu beten
und zu hoffen.“6
Das scheint Delps
innerlich errungene Antwort zu sein auf die Frage:
Was soll das? Was will
Gott mit diesem Warten, diesem Aushalten, diesem Alleinsein, diesem
ganzen „Urlaub vom Galgen“ von mir?
Und wahrscheinlich besteht
darin auch die Herausforderung in allen anderen, uns betreffenden
Härten des Lebens: Trotzdem weiter glauben, weiter beten, weiter
hoffen – in der Hoffnung, dass Gott spürbar bei uns sein wird.
Von Delp hoffe ich, dass er sterben konnte, wie es der greise Simeon im Evangelium am Fest der Darstellung des Herrn, seinem Todestag, sagen konnte:
„Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, ... in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen...“ (Lk 2,29f)
Von Delp hoffe ich, dass er sterben konnte, wie es der greise Simeon im Evangelium am Fest der Darstellung des Herrn, seinem Todestag, sagen konnte:
„Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, ... in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen...“ (Lk 2,29f)
Weiter beten. Grünheide, 2019. |
1 Alfred
Delp am 23. Januar 1945 an Luise Oestreicher. In: A.
Delp, Kassiber. Aus der Haftanstalt Berlin-Tegel. Frankfurt a.M.
1987, 130.
2 Delp
am 12. Januar 1945 an M. In: Ebd., 101.
3 Delp
am 21. Januar 1945 an P. Franz v. Tattenbach. In: Ebd., 124.
4 Delp
am 23. Januar 1945 an Marianne Hapig und Marianne Pünder. In: Ebd.,
131.
5 Brief
von Helmuth James von Moltke an Alfred Delp (ohne Datum). In: O.
Ogiermann, Kein Tod kann uns töten. Alfred Delp – Denker und
Mahner in dunkler Zeit. Leipzig 1982, 377.
6 Delp
am 26. Januar 1945 an P. Franz v. Tattenbach. In: A. Delp, a.a.O.,
133.
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