Donnerstag, 2. Februar 2017

"Zeit der Aussaat, nicht der Ernte" – Zum Todestag von Alfred Delp

Nach dem Todesurteil am 11. Januar dauerte es noch drei Wochen qualvollen Wartens und Bangens, bis Alfred Delp schließlich nach allen Freunden am 02. Februar 1945, dem damaligen Fest Mariä Lichtmess, in Plötzensee durch Erhängen hingerichtet wurde.

"Das ist ein eigenartiges Leben jetzt. Man gewöhnt sich so schnell wieder an das Dasein und muß sich das Todesurteil ab und zu gewaltsam in das Bewusstsein zurückrufen",1 schreibt er direkt nach der Verurteilung und in Erwartung der sofortigen Vollstreckung des Todesurteils.

Im Hinrichtungsschuppen.
Gedenkstätte Plötzensee, Berlin, 2017.
Seine Kassiber aus der Haft in Berlin-Tegel zeigen, wie Gefasstheit und Gottergebenheit sich abwechseln mit Verzweiflung und Angst. Seit ich selbst viel mit Gefangenen eben in Plötzensee spreche, ist mir dieses existenzielle Auf und Ab (trotz sicher sehr anderer Ausgangslage) sehr bekannt.
Delp beschreibt sich anfangs in den kurzen Nachrichten an Freunde, Mitbrüder und Unterstützer fast durchwegs als ruhig und vertrauend auf Gottes Führung, doch mit der Hinrichtung der inhaftierten Freunde aus dem Widerstand und besonders Moltkes am 23. Januar schwinden seine mentale Kraft und sein Vertrauen immer wieder.

"Ihr guten Leute, das war ein böser Tag gestern und heute. Es wäre leichter, mitzufahren nach Plötzensee als plötzlich diese Einsamkeit des Schicksals aushalten zu müssen",2 bekennt er am 24. Januar.

Trotzdem versucht der Jesuit auch selbst zu trösten und nicht zuletzt seinem Tod einen religiösen Sinn zu geben. Seiner Hoffnung, dass auch der gewaltsame Tod nicht umsonst gewesen sein wird, will er durch eine individuelle Interpretation seiner Situation Ausdruck geben.
Einen Gedanken finde ich durch den Rückgriff auf biblische Bilder besonders schön:

"Auf jeden Fall muss ich mich innerlich gehörig loslassen und mich hergeben. Es ist Zeit der Aussaat, nicht der Ernte. Gott sät; einmal wird er auch wieder ernten. Um das eine will ich mich mühen: wenigstens als fruchtbares und gesundes Saatkorn in die Erde zu fallen. Und in des Herrgotts Hand. Und mich gegen den Schmerz und die Wehmut wehren, die mich manchmal anfallen wollen. Wenn der Herrgott diesen Weg will, – und alles Sichtbare deutet darauf hin – dann muss ich ihn freiwillig und ohne Erbitterung gehen. Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind."3

Hier will einer leben und sterben als Mensch, der sich von der Angst um sich selbst löst. Und auf diese Weise auch andere nähren und von der Angst befreien kann. Diese Wirkung kann ein Tod nur entfalten, wenn er (im Rahmen des göttlichen Willens) freiwillig auf sich genommen wird und nicht den bitteren Geschmack des zornigen Selbstzwanges bekommt.
Natürlich ist die Strategie der religiösen Sinngebung auch ein Mittel zur Selbststärkung, aber ich bewundere an diesen Worten vor allem, dass Alfred Delp in seiner Not und Ungewissheit weiterhin einen offenen Blick für die Anderen und die Zukunft behielt.

In Zeiten zunehmender weltpolitischer Verunsicherung ist es sicher gut, das eigene Handeln im Kontext des göttlich-weltlichen Rhythmus' von Aussaat und Ernte zu sehen – vielleicht ist auch 2017 keine Zeit, die Früchte liberaler Demokratievorstellungen zu ernten, sondern sie zu säen in der Hoffnung auf ihr Blühen nach einer Zeit weltweiter autokratischer Versuchungen.
Und ganz persönlich: sich an die innere Freiheit dieses Inhaftierten zu erinnern und sein religiöses Handeln zum Vorbild zu nehmen:

"Und so will ich zum Schluss tun, was ich so oft tat mit meinen gefesselten Händen und was ich tun werde, immer lieber und mehr, solange ich noch atmen darf: segnen."4 

Eingangsbereich mit Blick auf die Gefängniskirche. Gedenkstätte Plötzensee, Berlin 2017.

1   A. Delp, Kassiber. Aus der Haftanstalt Berlin-Tegel. Frankfurt. a.M. 1987, 92.
2   Ebd., 131.
3   Ebd., 98.
4   Ebd., 100.