Im Gefängnis versuche ich auf
verschiedene Weise, meinen Gesprächspartnern die aufrichtende
Botschaft des Gottes Jesu Christi nahezubringen. Wenn es mir sinnvoll
erscheint, spreche ich von Gott, ich verzichte dabei allerdings meist
auf konkrete biblische Texte. Bisweilen suche ich aber Anregungen bei
der in den Evangelien überlieferten Person Jesu.
In letzter Zeit ist es eine bekannte
Perikope aus dem Markusevangelium, die ich als Hilfe anbiete, weil
mein Gedanke dazu hoffentlich auch für kirchenferne Menschen (und das ist der
Hauptteil derer, mit denen ich Kontakt habe) anschlussfähig ist.
Neues Licht. Berlin 2017. |
Am Anfang des zweiten Kapitels sind
nach den ersten Taten Jesu schon so viele Menschen in dem Haus
versammelt, in dem er sich aufhielt, dass die vier Freunde, die einen
auf einer Trage liegenden Gelähmten heranbringen wollen, gar nicht
hindurchkommen. So klettern sie auf das Haus und lassen ihn durch das
kurzerhand aufgebrochene Dach herunter zu der Stelle, an der Jesus
sitzt und lehrt.
Da liegt er nun dank des zupackenden
Mutes seiner Freunde vor Jesus. Dieser nutzt die eingetretene Störung
für sich und sieht den Eindringling in keinster Weise als Ärgernis
an. Doch auch als den Kranken, der der Liegende ja augenscheinlich
ist, sieht er ihn nicht in erster Linie.
Vielmehr schaut er auf eine ganz
andere, tiefer liegende Bedürftigkeit – seine Sünden. Darum ist
sein erster Satz in diesem Abschnitt: "Mein Sohn, deine
Sünden sind dir vergeben!" (Mk 2,5)
Im Gefängnis wiederum erfahren sich
viele Menschen auf ihre schlechten Taten reduziert. Wie bei dem
Gelähmten die Krankheit offen zutage liegt, so ist es bei Menschen
in Haft ihre augenscheinliche Schuld, die im Vordergrund steht und
auf die ein Großteil der Aufmerksamkeit (mindestens der Menschen
außerhalb von Haftanstalten) konzentriert ist.
Dass Jesus nun den vor ihm liegenden
Menschen nicht auf das Naheliegendste reduziert, ist mein
Hauptaugenmerk. Alle weiteren Fragen, wie die Ärgernis erregende
Sündenvergebung, der Glaube der Freunde, die Heilung etc., treten für
mich in der Situation des Gefängnisses dahinter zurück.
Wichtig ist mir: Jesus schaut ihn ganz
anders an als die Anderen, er schaut tiefer.
Darin verbergen sich für Häftlinge
(aber auch für jeden anderen Menschen) die Fragen:
Wer bin ich in meinem Alltag
vornehmlich? Als wer erfahre ich mich im Umgang mit meinen Nächsten?
Wen sehen sie in mir?
Und dann: Als wer sieht mich Jesus? Was
erkennt er als meine tiefste Sehnsucht? Wodurch richtet er mich
wieder auf?
Jesus handelt an dem Gelähmten –
denn dieser ist mehr als Freund, hilfloser Krüppel oder
Anschauungsobjekt eines Streites mit den Pharisäern.
Vielleicht geht er darum am Ende weg,
weg von all den Zuschreibungen und Blicken.
Weil Jesus in ihm etwas Wichtigeres
gesehen hat als all die Anderen. Und das war es, was ihn letztlich
aufgerichtet hat.
Ich hoffe, der Hinweis auf dieses
Handeln Jesu kann auch meine Gegenüber bisweilen zu einer neuen
Perspektive auf sich selbst und ihr Leben führen. Und nicht zuletzt
zum Vertrauen, dass Gott sie barmherzig anschaut und liebevoll aufrichten will.