Samstag, 11. Februar 2017

Unbescheiden - Zu Jesu Antithesen

Wenn Jesus im heutigen Sonntagsevangelium (zum Text Mt 5,17-37 auch hier) den Geboten der Tora aus eigener Vollmacht neue Tiefe und Ausdeutung gibt, dann ist schon fraglich, wie ein Mann seiner Zeit in Galiläa überhaupt dazu kommt, mit solcher Gewissheit und solchem Anspruch über die Tora zu predigen.
Wer über die Heiligen Schriften Israels so sprechen kann: "Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist..." (Mt 5,21.27 u.ö.) und gleich dagegen setzt: "Ich aber sage euch..." (Mt 5,22.28. u.ö.), der hat entweder zuviel Selbstbewusstsein – oder in ihm ist wirklich etwas Besonderes.

Von wo schaut er?
Storchenhorst in Linum, 2016.
Joseph Ratzinger schreibt (unter Rückgriff auf Jacob Neusner) in seinem Jesusbuch sehr eindrücklich von dieser neuen Tora Jesu, die Menschen aus der bisherigen Verpflichtung auf die Gebote der Schrift herausruft und und in eine neue Verpflichtung, nämlich in die Nachfolge Jesu selbst, hineinstellt:

"Wenn Jesus nicht in der Vollmacht des Sohnes spricht, wenn seine Auslegung nicht Anfang einer neuen Gemeinschaft eines neuen freien Gehorsams ist, dann bleibt nur dies übrig: Dann verführt Jesus zum Ungehorsam gegen Gottes Gebot."1

Darauf nämlich laufen die so genannten Antithesen des Evangeliums hinaus. Die Auflösung kann darum nur in der Person Jesu liegen:

"Wenn Jesus Gott ist, kann und darf er so mit der Tora umgehen, wie er es tut. Nur dann darf er die mosaische Ordnung der Gottesgebote so radikal neu interpretieren, wie es allein der Gesetzgeber – Gott selbst – tun kann."2

An unserer Glaubensentscheidung für oder gegen diesen Anspruch Jesu hängt die Legitimität seiner Forderungen.
Wer ist Jesus also für mich?


1    J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 153.
2   Ebd., 148.