Wenn Jesus im heutigen
Sonntagsevangelium (zum Text Mt 5,17-37 auch hier) den Geboten der Tora aus eigener
Vollmacht neue Tiefe und Ausdeutung gibt, dann ist schon fraglich,
wie ein Mann seiner Zeit in Galiläa überhaupt dazu kommt, mit
solcher Gewissheit und solchem Anspruch über die Tora zu predigen.
Wer über die Heiligen Schriften
Israels so sprechen kann: "Ihr habt gehört, dass zu den
Alten gesagt worden ist..." (Mt 5,21.27 u.ö.) und gleich
dagegen setzt: "Ich aber sage euch..." (Mt 5,22.28.
u.ö.), der hat entweder zuviel Selbstbewusstsein – oder in ihm ist
wirklich etwas Besonderes.
Von wo schaut er? Storchenhorst in Linum, 2016. |
Joseph Ratzinger schreibt (unter
Rückgriff auf Jacob Neusner)
in seinem Jesusbuch sehr eindrücklich von dieser neuen Tora Jesu, die
Menschen aus der bisherigen Verpflichtung auf die Gebote der Schrift herausruft
und und in eine neue Verpflichtung, nämlich in die Nachfolge Jesu selbst,
hineinstellt:
"Wenn Jesus nicht in der
Vollmacht des Sohnes spricht, wenn seine Auslegung nicht Anfang einer
neuen Gemeinschaft eines neuen freien Gehorsams ist, dann bleibt nur
dies übrig: Dann verführt Jesus zum Ungehorsam gegen Gottes
Gebot."1
Darauf nämlich laufen die so genannten
Antithesen des Evangeliums hinaus. Die Auflösung kann darum nur in
der Person Jesu liegen:
"Wenn Jesus Gott ist, kann und
darf er so mit der Tora umgehen, wie er es tut. Nur dann darf er die
mosaische Ordnung der Gottesgebote so radikal neu interpretieren, wie
es allein der Gesetzgeber – Gott selbst – tun kann."2
An unserer Glaubensentscheidung für
oder gegen diesen Anspruch Jesu hängt die Legitimität seiner
Forderungen.
Wer ist Jesus also für mich?
1 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der
Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 153.
2 Ebd.,
148.