Samstag, 4. Februar 2017

Licht und Salz oder: Gott denkt so groß von uns, dass er durch uns gegenwärtig werden will

Sei ein gutes Vorbild christlichen Lebens und wirke in der Suppe der Welt so, dass sie einen anständigen Geschmack bekommt!
So einfach und bündig mag man das Evangelium des heutigen Sonntags (Mt 5,13-16) mit den Zusagen Jesu, dass seine HörerInnen "Salz der Erde" (v13) und "Licht der Welt" (v14) seien, zusammenfassen - wenn man es nur oberflächlich hört.
Aber das wäre ein bißchen fleischlos und arg moralisch. Was also ließe sich weiter dazu sagen?

Welcher Geschmack ist hier nötig?
Rixdorf, Berlin 2016.
1 Eine Erhellung von Jesaja
Inhaltlich kann man auf die Erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja zurückgreifen, die ein ethisches Großprogramm der Bibel entfaltet und auch das Bild vom Licht schon vorgibt:
"Teile an die Hungrigen dein Brot aus, nimm die obdachlosen Armen ins Haus auf, wenn du einen Nackten siehst, bekleide ihn und entziehe dich nicht deinen Verwandten. ... Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf." (Jes 58,7.9f)
Licht im Weltdunkel wären darum die klassischen Werke der Barmherzigkeit, einige Benimmregeln und die Förderung sozialer Gerechtigkeit.
Das ist unheimlich wichtig und darum ganz sicher nicht falsch – aber trifft diese moralische Auslegung den Kern des Evangeliums?

2 Das Erste und das Zweite
Während sich europäische Fernsehshows dieser Tage parodistisch überbieten, welches Land denn nach Donald Trumps Vorgabe "America first" das Zweitwichtigste sei, so ist hier wie in vielen wichtigen Texten der Bibel einigermaßen klar, dass Moral erst das Zweite ist. Davor steht eine göttliche Zusage.
Jesus sagt seinen Zuhörern am Beginn der großen Rede auf dem Berg zu, dass sie schon Salz und Licht sind und dieses Salz-Sein und Licht-Sein bloß verwirklichen müssen. Beides bedingt sich: Salz muss Würze haben und Licht gehört auf den Leuchter. Zusage und Aufforderung, Gabe und Gegengabe, Sein und Moral stehen beieinander und gehören zusammen.
Um die Herausforderung dieser Zusage leben zu können, gilt deshalb der fast schon banale Grundsatz, dass die Angesprochenen das in sich tragen müssen, was sie nach außen darstellen. Dass sie auch Licht und Salz in sich haben müssen, um wirklich Licht und Salz zu sein. Im Markusevangelium sagt Jesus beispielsweise: "Habt Salz in euch"! (Mk 9,50)
Denn nur wer innerlich brennt, kann leuchten. Nur wer Salz in sich hat, kann Geschmack geben.

3 Die Zielgruppe
Wen aber spricht Jesus eigentlich an, wenn er seine Zuhörerschaft "Salz" und "Licht" nennt?
Theologen streiten sich schon lange darüber, ob es hier nur um einige Wenige geht, nämlich die Menschen, die sich entschieden haben, Jesus in besonderer Weise nachzufolgen und die dann auch erfüllen können, was die Bergpredigt fordert. Oder ob es um alle Hörer der Botschaft geht, die in der Bergpredigt durch die zusammengeströmte große Menschenmenge repräsentiert werden. Die Einleitung zur Bergpredigt ermöglicht beide Deutungen, denn da heißt es:
Platz für Viele.
Lazienki-Park, Warschau, 2015.
"Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm." (Mt 5,1)
Wenn Jesus im engen Kreis seiner Jünger zu einer Menge sprach und im Verlauf der Bergpredigt viele hohe Ansprüche formuliert (ich sage nur: die zweite Wange hinhalten!), dann denke ich, auch wenn man sich seine sonstigen Gesprächspartner anschaut, dass diese Botschaft nicht nur für eine Elite ist, sondern für uns alle.
Jesus meint: Denkt groß von Euch – weil Gott groß von Euch denkt!
Das gilt auch und gerade im Gefängnis, in einer Atmosphäre, wo selten jemand groß vom Anderen zu denken scheint. An einem Ort, der auch von außen selten als Platz wahrgenommen wird, wo von Menschen groß gedacht werden kann.
Gerade hier, wo oft die Fehler und die Schuld und die Unzulänglichkeit in den Vordergrund gerückt werden, gerade hier gilt Gottes Zusage: Du bist Licht! Du bist Salz!

4 Gottes Gegenwart
Und so kommen wir dem eigentlichen Inhalt der Aussagen langsam näher.
Hinter den Bildworten steht die größte Zusage Gottes an die Christenheit: Wir sind seine geliebten Kinder, darum können wir uns auch so verhalten. Licht und Würze kommen nicht aus uns selbst, sie kommen von ihm und aus seiner Botschaft.
Gott selbst leuchtet im grundlegendsten Sinne für die Menschen, Gott selbst durchtränkt alles, was ist, mit seinem Geschmack. Wir können und sollen an seinem Leuchten und Schmackhaftmachen mitwirken und es konkret sichtbar machen.
Darum meinen die Aussagen vom Salz und vom Licht im Tiefsten, dass durch uns Christen Gottes Gegenwart in der Welt spürbar werden soll. "Ich bin das Licht der Welt." (Joh 8,12) ist eine der zentralen Selbstaussagen Jesu im Johannesevangelium, "Ihr seid das Licht der Welt" hören wir an uns gerichtet am heutigen Tag.
Was Jesus gebracht hat, die lebendige göttliche Gegenwart auf der Erde, die herausfordernd barmherzige Liebe des Vaters zu den Menschen, das sollen nun wir in der Welt zum Leuchten bringen. Das soll der Geschmack sein, an dem man Christen erkennt.
Eine so riesige Verantwortung, dass sie zum Resignieren vor der Überforderung verführen kann – aber (nicht zu vergessen!) zugleich ein Geschenk!
Papst Franziskus drückt es in seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium so aus: "Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen."1 

5 Segen
In diesem Sinne ist auch der Segen am Ende des Gottesdienstes nicht nur ein Geschenk des göttlichen Beistands für uns, sondern er stellt die Herausforderung dar, dass wir anderen dieses Geschenk der Nähe und Liebe Gottes weitergeben. Salz und Licht zu sein, heißt, segnend den Menschen um uns Gottes heilend-liebevolle Gegenwart zuzusagen. Dann machen auch die moralischen Vorgaben des Jesaja einen tieferen Sinn, denn durch unsere konkrete Zuwendung zu den Bedürftigen erfahren Menschen auch Gottes Segen.
Das mag schwierig klingen, aber wenn wir das leuchtende Licht von Gottes Nähe in uns selbst entdecken, werden wir es ebenso ausstrahlen können. 
Und das Leuchten Gottes auch in anderen entdecken.

Pure Gegenwart.
Aufbauten für das Gemeindefest neben St. Christophorus, Neukölln, Berlin 2016.

1 Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, Nr. 20.