Montag, 14. Dezember 2020

Heilszeit 14 – Abstand am Gedenktag des heiligen Johannes vom Kreuz

Johannes vom Kreuz, das muss man fürs bessere Verständnis vorwegschicken, war ein Ordensmann. Er liebte die geistliche Strenge und wollte zusammen mit Teresa von Avila seinen Orden, die Karmeliter, reformieren. Seine Strenge aber war kein Selbstzweck, sondern stand im Dienst der Gottesnähe und Heilung des Einzelnen vom Egoismus.

Davon zeugen auch die "Klugheitsregeln", die er 1578/1579 für die Karmelitinnen von Beas verfasste. Der Anfang der ersten Regel hat viel von der buddhistischen Spiritualität des Loslassens:


Alle schön mit Abstand!
Semperoper, Dresden, 2020.
"Die erste Regel ist, daß du zu allen Menschen ein Gleichmaß an Liebe und ein Gleichmaß an Abstand wahrst, seien sie nun mit dir verwandt oder nicht, indem du dein Herz ebenso von den einen wie von den anderen löst, ja von den Angehörigen in gewisser Weise sogar noch mehr, wegen der Befürchtung, daß Fleisch und Blut durch die natürliche Liebe, die immer unter Verwandten lebt, belebt wird, denn diese soll zugunsten der geistlichen Vollkommenheit zum Sterben gebracht werden."1


Adventsmeditation für heute:

Heilsamer Abstand also – nicht nur (pandemiebedingt) körperlich, sondern auch emotional. Dahinter steht der Wunsch, frei zu werden von Anhänglichkeiten jeder Art und in dieser Freiheit für Gottes Heil und für seine Liebe offener zu werden.
Mich lässt diese Regel etwas zwiespältig zurück – und ich gebe meine Frage einfach an euch LeserInnen weiter: Ist solcher Abstand nun wirklich heilsam oder einfach nur irre? Kann er mich loslösen vom Kleinen zu etwas Größerem oder brauche ich diese Anhaftungen der "natürlichen Liebe", um die göttliche Liebe zu entdecken?



(Mehr zu bzw. von Johannes vom Kreuz hier und hier)

1   Johannes vom Kreuz, Worte von Licht und Liebe. Briefe und kleinere Schriften. 2. Aufl. Freiburg i.Br. 1997, 154.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen