Johannes vom Kreuz, den
die Kirche heute feiert, schreibt in seinem Hauptwerk "Aufstieg
auf den Berg Karmel", wie Gott auf die menschlichen Wünsche
nach einem persönlichen Zeichen, nach Wundern und Visionen oder
privaten Offenbarungen antworten würde – ein Text, der meiner
Meinung nach ein zeitloses Meisterwerk christozentrischer
spiritueller Literatur ist und den ich hier kommentarlos einstellen
will:
Glaswand, Neukölln, 2013. |
Richte deine Augen allein
auf ihn, denn in ihm habe ich dir alles gesagt und geoffenbart, und
du wirst in ihm noch viel mehr finden, als du erbittest und ersehnst.
Du bittest nämlich um innere Ansprachen und Offenbarungen über
Teilbereiche, doch wenn du deine Augen auf ihn richtest, wirst du es
im Ganzen finden, denn er ist meine ganze Rede und Antwort, er ist
meine ganze Vision und Offenbarung. Das habe ich euch schon gesagt,
geantwortet, kundgetan und geoffenbart, als ich ihn euch zum Bruder,
zum Gefährten und Lehrmeister, als Lösegeld und Lohn gab.
Denn seit dem Tag, als ich
auf dem Berg Tabor mit meinem Geist auf ihn herabkam, und sagte Hic
est filius meus dilectus, in quo mihi bene complacui, ipsum audite,
das heißt: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein
Wohlgefallen habe; auf ihn höret! habe ich meine Hand von all
jenen Arten von Unterweisungen und Antworten zurückgezogen und sie
ihm gereicht.
Hört auf ihn, denn ich
habe nicht noch mehr Glauben zu offenbaren, noch mehr Dinge
kundzutun. Denn wenn ich früher sprach, war es, weil ich Christus
verhieß, und wenn sie mich befragten, erbaten und erhofften sie mit
ihren Fragen Christus, in dem sie alles Gute finden sollten, wie es
jetzt die ganze Lehre der Evangelisten und Apostel zu verstehen gibt.
Wer mich jetzt aber noch
nach jener Methode befragen sollte oder sich wünschte, dass ich zu
ihm spreche oder ihm etwas offenbare, der würde mich gewissermaßen
ein zweites Mal um Christus bitten und mich um mehr Glauben bitten,
während er in dem, der in Christus bereits geschenkt ist, versagte.
Und so würde er meinem
geliebten Sohn schweres Unrecht zufügen, denn er würde damit nicht
nur im Glauben versagen, sondern er zwänge ihn, nochmals Fleisch
anzunehmen und sein erstes Leben und Sterben durchzustehen. Du wirst
nichts finden, was du von mir erbitten, noch was du an Offenbarungen
oder Visionen von mir ersehnen könntest.
Schau ihn dir nur gut an,
denn dort in ihm wirst du all das schon getan und gegeben finden, und
noch viel mehr.“1
Jahrhunderte später schreibt Dietrich
Bonhoeffer wie einen Kommentar dazu:
"Alles, was wir mit recht von Gott
erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden. Was ein
Gott, so wie wir ihn uns denken, alles tun müsste und könnte, damit
hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun. Wir müssen uns immer wieder
sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und
Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er
erfüllt."2
1 Johannes
vom Kreuz, Aufstieg auf den Berg Karmel. Freiburg i.Br. 1999, 262f.
[2. Buch, Kapitel 22]
2 D.
Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus
der Haft. 3., erweiterte Auflage, Berlin (Ost) 1972, 425 (an E.
Bethge, 21.August 1944).