Freitag, 27. Dezember 2013

Weihnachtswürde

In jeder Eucharistiefeier steht vor dem Empfang der eucharistischen Gaben die Formel: "Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund."
Das ist einerseits ein liturgischer Text, der zum gewohnten Ablauf gehört. Zum anderen ist der Inhalt so persönlich, dass ich ihn sehr achtsam spreche – besonders mit Blick auf Weihnachten.


Da scheinen vor allem Ehrfurcht und Vertrauen mitzuklingen, aber auch das Gefühl des eigenen Geringseins.1
Der gottesdienstliche Zungenschlag dabei irritiert mich oft. Nach dem ersten Halbsatz wird in allen mir bekannten Gottesdienstgemeinschaften eine Atempause gemacht, die einer Bedeutungsverschiebung gleich kommt: "Herr, ich bin nicht würdig."
Bauarbeiter auf Tisch, Waidmannslust, Berlin, 2013.

Unwürdigkeit als religiöses Motiv hat eine lange, auch schwierige Tradition. Tatsächlich können wir theologisch ja von der verlorenen Würde des Menschen, seiner gefallenen Natur und dem sündigen Getrenntsein von Gott sprechen.

Angesichts der Menschwerdung Gottes will ich dann aber energisch sagen:
Nein! Gott hat uns würdig gemacht!
Er ist selber Mensch geworden. Er hat sich herabgebeugt und uns erhoben.
Nicht nur die Getauften haben eine neue Würde (die der Gotteskindschaft) erhalten – sondern alle Menschen. In der weihnachtlichen Tat Gottes ist der Mensch, ja ist die ganze Welt erneuert worden.

Abgang, Alte Nationalgalerie, Berlin, 2013.
Gott ist immer schon da und verschenkt in seinem Weihnachtstun menschliche Würde. Würdig sein, das heißt, ihm begegnen können – nicht nur in Gotteshäusern und auf Betschemeln, sondern überall.
Gott ist inkarniert, ein eingefleischter Weltgeist.

Um es mit Alfred Delps berühmten Sätzen zu sagen:
"Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern".2


Ich glaube, dass Gottes "Brunnenpunkt" seine Geburt im Stall ist. Durch seine Hingabe, sein Geborenwerden als Mensch beschenkt er uns mit würdevoller Freiheit. Ohne Atempause.



1 Der biblische Bezug ist Mt 8,8: "Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund." (Luther 1984)
I
n den Worten des römischen Hauptmanns, also des heidnischen Besatzers, der für seinen Sklaven bittet, schwingt vor allem das Bewusstsein der religiösen Distanz mit, das Wissen um die religiösen Bedingtheiten, die es einem observanten Juden nicht gestattet hätten, ein heidnisches Haus zu betreten.  2   A. Delp, Brief an Luise Oesterreicher vom 17.11.1944. In: Kassiber. Aus der Haftanstalt Berlin-Tegel. Frankfurt a.M. 1987, 14.