Donnerstag, 12. Dezember 2013

reiß-lauf-gieß-schlag-brecht-spring

Ich freue mich oft an den kreativen Textern von Adventsliedern der vergangenen Jahrhunderte. Mein Favorit ist dabei Friedrich Spees wortgewaltiger Klassiker "O Heiland reiß die Himmel auf", besonders die ersten drei Strophen:

Baum vor Haus, Tel Aviv, 2013.

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf;
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
daß Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.

(1622)1



Lauter starke Imperative durchziehen den Text: reiß, lauf, gieß, fließ, schlag, brecht, spring!
Es ist ein Feuerwerk an Dynamik von oben und unten, ein Öffnen und Schütten, ein Wachsen und Rauschen, frühlingshaft-lebendige Vitalität spritzt und quillt aus allen Worten.

Während Gott in der ersten Strophe vorbereitend zur Öffnung aller Schleusen aufgerufen wird, soll in der zweiten der göttliche Tau von oben für einen guten König sorgen und in der dritten die Erde das ihre tun. Es gipfelt im Ruf an Christus, er möge nun doch "aus der Erden spring[en]".

Die adventliche Dynamik hat doppelten Beginn – im Oben wird bereitet und herabgegeben, im Unten kann wachsen und erdhaft hervorgehen. Der gottmenschliche Charakter Jesu kommt auf diese Weise schön zum Ausdruck – Gottes Wille und Sendung einerseits und Marias Ja und eine ganz menschliche Geburt andererseits sind es, die Weihnachten ausmachen.

Und in allem die drängende Stimme des Menschen, dass es nur bald geschehe, dass Gott sich neu zu uns auf den Weg mache, dass er uns nahe sei, "dass Berg und Tal grün alles werd". Wo Gott hintritt, da beginnt das Gras zu wachsen, da blüht Leben auf, da wird im Dunkeln alles hell und eine Verbindung zwischen Himmel und Erde wächst von oben und von unten.
Das weihnachtliche Jauchzen und Frohlocken lässt sich kaum noch zurückhalten...


1 Rechte beim Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart; weitere Strophen z.B. hier: http://www.liederdatenbank.de/song/1441