Seit ich Fotos mache, bin ich
fasziniert von Mauern. Nicht, weil ich Mauern ein besonders tolles
Statement in Sachen menschlichen Miteinanders fände, sondern weil Mauern sehr
Verschiedenes aussagen können und auf sehr Verschiedenes hinweisen
können. Es gibt kreativ bemalte, ruinöse, durchlässige,
niedrig-schwellige, bewegliche, verwundete und viele mehr Mauern.
Weihnachtsmauer mit Turm, Bethlehem, Palästina, 2013. |
Auf der Reise in Israel in diesem Jahr
war einer der eindrücklichsten Orte Bethlehem. Und zwar nicht wegen
der Geburtskirche, der Altstadt oder all den kleinen christlichen
Wallfahrtszielen – sondern wegen der Mauer. Von Israel aus
Sicherheitsgründen errichtet, steht sie dort seit 2003, an vielen
Stellen bis acht Meter hoch, ausgestattet mit Kameras, Türmen,
teilweise völkerrechtswidrig weit ins Westjordanland einschneidend.1
Mauer mit Banksy-Graffito, Bethlehem, Palästina, 2013. |
Für mich ist diese Mauer in Bethlehem
ein Ort der Menschwerdung. Denn an ihr zeigt sich sehr deutlich, was
menschlich ist – der Hass und die Angst genauso wie die Kreativität
und das Beharren angesichts widrigster Umstände. Politisch finde ich
ein Urteil hier äußerst riskant – laut israelischem
Außenministerium ist die Anzahl der israelischen Opfer nach dem Bau
eminent zurückgegangen; zugleich schneidet sie wichtige Zugangswege
palästinensischer Bauern und Arbeiter ebenso ab wie sie durch
Checkpoints devisenbringende Touristen vor der Einreise abschreckt.
Mauer bei Rachels Grab, Bethlehem, Palästina, 2013. |
Wir haben den Checkpoint bei Rachels
Grab zu Fuß überquert und als EU-Bürger komfortabel passierend die demütigende Situation der palästinensischen Männer
und Frauen nur ahnen können, die von schwerbewaffneten jungen Soldaten
durchgewunken werden oder aber ihr Hab und Gut vor ihnen ausbreiten
müssen.
Mit dem Taxi konnten wir anschließend in die Innenstadt zu den üblichen Highlights fahren.
Auf dem Rückweg waren wir zu Fuß und
sind an der Mauer entlang gegangen. Der internationale Zorn und die
daraus erwachsende unheimliche Kreativität haben mich fast
umgeworfen. Nicht nur Banksy war hier, sondern Graffiti in
englischer, deutscher, spanischer, polnischer und einer Menge anderer
Sprachen waren zu sehen, die mal mehr politisch und mal eher
spielerisch Meinungen kundgaben.
Mauer mit neutestamentlichem Graffito, Bethlehem, Palästina, 2013. |
Zumeist war es der Aufschrei der
Ungerechtigkeit, dass Menschen hier eingesperrt sind und isoliert,
schikaniert und abgetrennt leben müssen. Je mehr ich innerlich dabei
verweile, desto mehr empfinde ich, wie ansatzweise auch damals schon,
ein Gefühl religiöser Andacht angesichts von Betlehems Mauer. Wenig
nur in der Geburtskirche, vielmehr hier kann ich entdecken, warum es
auch heute noch nötig ist, auf Gottes Menschwerdung in Jesus zu
blicken, der die trennende Mauer der Feindschaft weggenommen hat und
die Beiden vereinte (vgl. Eph 2,14).
Ganz ähnlich sprechen übrigens auch
die adventlichen Texte dieses Sonntags (Mt 3,1-12) von der Ebnung des
Weges für Frieden und Umkehr. Johannes schreit es den Menschen zu,
dass nicht Herkunft oder Selbstgewissheit den Herzensweg zu Gott
bilden, sondern die Hinwendung zu Gott und die Ebnung aller möglichen
Wege. Als riefe er im Namen Gottes, wie Menschen immer rufen müssen:
"Tear down this wall."
Mauer von Israel aus, bei Bethlehem, 2013. |
1 Vgl.
D. Vieweger, Streit um das Heilige Land. Was jeder vom
israelisch-palästinensischen Konflikt wissen sollte. Gütersloh
2010, 237f. Ein übrigens sehr empfehlenswertes Buch für die
Hintergründe zum ganzen Konflikt bis in die nahe Gegenwart hinein.