Samstag, 19. Dezember 2020

Vierter Advent: Verkündigung an ... dich (Predigt nach Lk 1,26-38)

Im letzten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in einen Berliner Knast namens Plötzensee zu einem Inhaftierten gesandt. Der war zwar einige Zeit lang straffrei geblieben, aber dann gab es einen klitzekleinen Vorfall und er saß wieder einmal ein.

Der Name des Inhaftierten war Robert.

Der Engel trat in seine Zelle und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadeter, der Herr ist mit dir.

Robert erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.

Da sagte der Engel zu ihm: Fürchte dich nicht, Robert; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.

Gott hat Großes mit dir vor. Mit dir will er einen neuen Anfang machen. Dieser Neuanfang wird groß sein und Wunder des Höchsten genannt werden.

Gott, der Herr, wird diesen Neuanfang zu einem guten Wachstum führen und du wirst ein gutes Leben mit deiner Familie führen bis zuletzt.

Robert sagte zu dem Engel: Wie soll das gehen, da ich doch ein verurteilter Straftäter bin?

Der Engel antwortete ihm: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird dein Neuanfang auch heilig und Wunder Gottes genannt werden.

Auch Jan, dein ehemaliger Zellennachbar, hat noch in seinem hohen Alter einen Neuanfang gewagt; obwohl er als nicht resozialisierbar galt, ist er jetzt schon sechs Jahre nicht mehr straffällig geworden.

Denn für Gott ist nichts unmöglich.

Da sagte Robert: Ich bin ein Diener des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.

Danach verließ ihn der Engel.

In unserer Zeit.
Siena, 2020.
So ließe sich der eben gehörte Text des Evangeliums (Lk 1,26-38) in unsere Zeit übertragen.

Denn auch wir sind gemeint, wenn dieser Text vorgelesen wird. Auch Sie als Menschen, die im Gefängnis sitzen.


  1. Sei gegrüßt, du Begnadeter, der Herr ist mit dir.


Gott ist bei uns. Für jeden von uns hat er einen persönlichen Advent bereit, auf jeden von uns kommt er zu und hat eine Aufgabe für unser Leben.

Nicht immer ist uns sofort klar, was Gott will. Aber in der einen oder anderen Weise, lässt er es uns wissen. Für diejenigen von Ihnen, die wirklich einen Engel sehen, würde ich zwar zunächst einmal das Absetzen mancher Medikamente empfehlen, aber wer weiß schon, wie Gott zu uns sprechen will?

Meistens, so zeigen die Erfahrungen der Religionen, tut er es leise und unscheinbar, so dass wir uns etwas anstrengen müssen, um es auch mitzubekommen.
Vielleicht will Gott mit Ihnen in Kontakt kommen,
... wenn Sie von einem Bibelwort besonders angesprochen sind.

... wenn Sie sich über etwas besonders aufregen und dann merken, wie wichtig Ihnen das ist, um was es da geht.

... wenn Sie eine bestimmte Begabung haben, die Sie für andere einsetzen können.

... wenn Sie Feuer fangen bei einer bestimmten Idee und eine tiefe Sehnsucht in sich spüren.

Unser Herz und unsere Gefühle zeigen uns oft einen wichtigen Eingang Gottes in unser Leben.

Das gilt in haft ebenso wie in Freiheit. Denn was sich hier im Gefängnis viele Menschen wünschen, bewegt ja auch draußen die Menschen: die Sehnsucht nach Freiheit, der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder einer Familie, die Hoffnung auf eine sichere Zukunft und so fort.
Dort, wo Sie sich besonders angesprochen fühlen, dort will Gott Ihnen vielleicht auch etwas sagen.

Und ein wichtiger Teil des Glaubens der Christen besteht darin, zu glauben, dass Gott wirklich etwas an uns tun will. Egal, wer wir sind, egal, was wir getan haben.


  1. Fürchte dich nicht, Robert! Gott hat Großes mit dir vor.


Vor allem will Gott jedem von uns eine Chance auf einen Neuanfang schenken.

Jeder Neuanfang ist aber auch mit Angst verbunden. Manchmal überwiegen zwar andere Gefühle (wie Freude oder Unlust oder Aufregung), aber das, was ich nicht kenne, macht immer auch ein bisschen Angst.
Wer eine Stadt verlässt und anderswo neu beginnt.

Wer eine Ausbildung anfängt.

Wer einen Knast verlässt.

Wer sich für eine Frau entscheidet oder eine Familie gründet.

Wer sich auf die Hilfe einlässt, die eine Therapie bieten kann.


Ihnen allen und auch allen anderen "Neuanfängern" sagt Gott, dass sie keine Angst haben müssen.

Gott ist an unserer Seite. Dadurch werden wir sicher nicht um jeden Ärger herumkommen – auch Maria hatte mit ihrem Sohn schon bei seiner Geburt und auch später eine Menge auszuhalten – aber wir dürfen gewiss sein, dass Gott bei uns ist.

Fürchte dich nicht,
denn es ist nicht aller Tage Abend.
Weinberg bei Certaldo, 2020.

Und dass er, das verspricht uns Weihnachten, in Jesus allen Ärger und alle Anfeindung, alle Diskriminierung und allen Verrat selbst erfahren hat. Manchmal tröstet es ja schon, dass einer so etwas wie ich auch erlebt hat.

Trotzdem – und deswegen – lädt er uns ein, furchtlos zu sein und den Neuanfang mit ihm zu wagen.


  1. Mir geschehe, wie du es gesagt hast.

Was wir dafür tun müssen?
Zunächst einmal: Vertrauen, dass Gott wirkt. Wie von Maria in der Lesung erbittet Gott auch von uns die Zustimmung. Aus der biblischen Überlieferung wissen wir, dass Gott jene, die er anspricht und fordert, auch schon mal überrumpeln kann, so wie er das mit dem Propheten Jona getan hat. (mehr hier)

Sie kennen es aus dem Gefängnisalltag: Das Vollzugsziel wird nicht erreicht, wenn Sie selbst nicht mitwirken.

Denn Gott hat uns den freien Willen nicht umsonst geschenkt. Wir können natürlich auch andere Wege gehen als Gott es von uns will. Können weiter unseren eigenen Stiefel durchziehen.

Oder aber wir sagen Ja und lassen uns von Gott mitnehmen – auch wenn uns das manchmal schwer fällt. Maris hatte diesen Mut - zum Glück!

Dann finden wir erstens unseren eigenen Platz in der Welt und tun zweitens dasselbe wie Maria: Wir helfen dabei mit, dass Gott in der Welt einen Platz bekommt. Wir lassen ihn in der Welt ankommen.


Aber dazu mehr beim nächsten Gottesdienst an Weihnachten.

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