Mittwoch, 9. Dezember 2020

Heilszeit 9 – Geste in "Stern 111" von Lutz Seiler

Der junge Carl möchte mit seinen Gedichten an die Öffentlichkeit – doch seine Scheu, zu den eigenen Werken zu stehen, kann er nur schwer ablegen. In den Wirren der Wendemonate hat er im Prenzlauer Berg in Berlin Anschluss an eine anarchische Gruppe gefunden und arbeitet in einer Untergrundkneipe als Barkeeper. Dort sucht ihn unerwartet ein Verleger auf:

Untergrund.
Neukölln, Berlin, 2019.
"'Ich habe Sie hier', er machte eine Handbewegung Richtung Tresen, 'als einen beeindruckenden jungen Mann kennengelernt. Und Wassili hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Er ist ganz begeistert von Ihrem – Manuskript.' Seine Augen wurden klein und energisch.
'Wassili?'
Umständlich zog der Verleger eine Visitenkarte aus seinem knittrigen Sakko. Er machte dabei eine heftige Bewegung mit beiden Ellenbogen, als bereite er seinen Abflug vor und prüfe noch einmal die Mechanik seiner Flügel.
'Sie schicken mir etwas, versprochen?'
Im Gehen legte die Petersburgerin eine Hand auf Carls Arm und lächelte warm – es war diese alles heilende Geste, die Carl noch gefehlt hatte zum Glück.
"1


Adventsmeditation für heute:

In manchen Momenten ist es nicht das steinbrechende Großereignis, das glücklich macht, sondern eine scheinbare Nebensächlichkeit – das Lächeln, die Hand auf dem Arm. Auch diese kleinen Gesten machen den Geist des Advents aus.

Heute achte ich darauf, wo ich mit kleinen Gesten Freude verbreiten kann.



(Mehr zu "Stern 111" hier und hier.)

1   L. Seiler, Stern 111. 3. Aufl. Berlin 2020, 423.

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