Nach dem Fall der Mauer beschließen
Carls Eltern, ihr altes Leben in Gera hinter sich zu lassen und sich
auf den Weg in den Westen zu machen. Ihrem Sohn übergeben sie die
Verantwortung für die alte Wohnung. Mehrere Wochen bleibt er ohne
Nachricht von seinen Eltern, aus dem Keller versorgt er sich mit
Eingewecktem und Apfelwein.
Zwischen Himmel und Pfütze. Tempelhofer Feld, Berlin, 2020. |
"Ab und zu blieb Carl etwas
länger dort unten. Er fühlte sich matt, und brauchte eine Pause vor
dem Wiederaufstieg. Als hätte der plötzliche Aufbruch seiner Eltern
ihm alle noch vorhandenen Kräfte ausgesaugt. Ab Gießen getrennt.
Die Vermisstenmeldungen häuften sich: Menschen aus dem Osten, die im
Westen spurlos verschwunden waren, abgetaucht. Menschen aus dem
Osten, die ihre Mütter, Väter, Ehefrauen und -männer (und, ja,
auch ihre Kinder) verließen und über die Grenze Richtung Westen
zogen und unsichtbar wurden. Es war die
Gelegenheit, man wechselte das Leben. Erst eiserner Vorhang, jetzt
goldene Brücke. Und wie leicht musste es sein, ein paar dieser
Glücksritter und Freiheitssucher beiseitezuschaffen, irgendwo zu
verscharren, falls sich dabei ein Vorteil ergab..."1
Lutz Seiler erzählt in "Stern
111" von der Zwischenzeit nach 1989. Das Alte ist schon
fort, das Neue noch nicht da. Paradigmatisch dafür steht die
Unsicherheit des Protagonisten nach dem Verschwinden seiner Eltern,
bewusst erfahren im Keller.
Am Karsamstag gedenkt die Kirche dieses
Zwischenraums. Jesus ist gestorben, aber von neuem Leben noch keine
Spur.
Das Grab ist der Tiefpunkt, von dem aus
alles neu beginnen könnte.
1 L.
Seiler, Stern 111. 3. Aufl. Berlin 2020, 39.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen