1.
Am Montag hatte ich meine erste
Chorprobe via Zoom. Sehr gewöhnungsbedürftig, wie so vieles in
dieser Zeit. Dabei sangen wir auch ein Taizé-Lied mit einem Text von
Dietrich Bonhoeffer, das mich seitdem begleitet:
"Gott, lass meine Gedanken sich
sammeln zu dir. Bei dir ist das Licht, du vergisst mich nicht. Bei
dir ist die Hilfe, bei dir ist die Geduld. Ich verstehe deine Wege
nicht, aber du weißt den Weg für mich."
So geht es mir gerade im Zugehen auf
auf Ostern – ich verstehe Gottes Wege nicht, aber ich hoffe darauf,
dass Gott einen Sinn für uns in dieser Corona-Krise versteckt hat.
Normalerweise bin ich ja immer schnell beim Deuten und Sinnsuchen
(und war es hier ja auch schon), aber ehrlich gesagt stiefelt mir
gerade sehr viel Zweifel im Kopf herum.
Wohin führt das alles? Kronberg (Taunus), 2020. |
Wenn ich sonst glaube, dass Gott mit
allem, was geschieht, etwas vorhat – was will uns seine Liebe denn
hier zeigen? Ist da nicht zu viel Wunsch? Zu wenig Offenheit für das
Chaos? Bürde ich Gott nicht die Verantwortung (und damit Schuld) für
viele Weltdinge auf, die eben einfach passieren?
2.
Einer, der vor einigen Tagen sehr
beeindruckend (sehr vorsichtig) geschrieben hat, was ihm für diese
Zeit ohne Gottesdienste für Deutemöglichkeiten vorschweben, ist der
auch hier schon vielgenannte Tomáš Halík.
In der
Christ-&-Welt-Beilage der ZEIT schrieb er unter anderem:
"Vielleicht zeigt diese Zeit
der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und
eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen
nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des
Christentums zu präsentieren." Um dann skeptisch und doch
hoffnungsvoller hinzuzufügen:
"Dieses Jahr an Ostern werden
wahrscheinlich viele unserer Kirchen leer sein. An irgendeinem
anderen Ort werden wir das Evangelium vom leeren Grab vortragen. Wenn
uns die Leere der Kirche an ein leeres Grab erinnern wird, sollten wir
nicht die Stimme von oben überhören: 'Er ist nicht hier. Er ist
auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa.'
Die Anregung zur Meditation für
dieses seltsame Ostern lautet: Wo ist dieses Galiläa von heute, wo
können wir dem lebendigen Christus begegnen?"1
Die Antwort Halíks weist (neben der kirchenpolitisch mahnenden
Komponente) in die
Richtungen, in denen er früher schon suchte – zu den Suchenden
und Verwundeten.
Aber selbstverständlich kann die Frage für jeden existenziell offen
bleiben: Wie und wo ist Gott für mich an Corona-Ostern zu finden?
3.
Trotz (oder wegen?) meiner Zweifel und
Unbehagen ich bin in diesen liturgiefreien Wochen an erstaunlichen
Orten religiös fündig geworden. Besonders in meiner
belletristischen Lektüre der vergangenen Zeit konnte ich einige
Entdeckungen machen und habe mich auch für die Kar- und Ostertage
inspirieren lassen. Dabei fühle ich mich dem Helden Carl aus Lutz
Seilers "Stern 111" sehr verwandt
Amerikanisch? Pfeil zu mir bei Linum, Brandenburg, 2018. |
"Er machte Exzerpte in sein
Notizbuch. Das Abschreiben war eine Möglichkeit, sich dem Heiligen
zu nähern. Es war die amerikanische Methode. Eine Art
Gottesdienst."2
Auch wenn Carl es
wahrscheinlich etwas anders meint: Vielleicht findet ihr auch eine
eigene Gottesdienstform für euch! Oder eine Anregung in den Texten der
folgenden Tage.
Ich wünsche euch jedenfalls einen
guten skeptisch-hoffnungsfrohen Weg durch die Corona-Zeit und die
Ostertage!
2 L.
Seiler, Stern 111. 3. Aufl. Berlin 2020, 33.
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