Mittwoch, 8. April 2020

"Ich verstehe deine Wege nicht" – Die Leere und eine neue Art Gottesdienst mitten in der Karwoche

1.
Am Montag hatte ich meine erste Chorprobe via Zoom. Sehr gewöhnungsbedürftig, wie so vieles in dieser Zeit. Dabei sangen wir auch ein Taizé-Lied mit einem Text von Dietrich Bonhoeffer, das mich seitdem begleitet:

"Gott, lass meine Gedanken sich sammeln zu dir. Bei dir ist das Licht, du vergisst mich nicht. Bei dir ist die Hilfe, bei dir ist die Geduld. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich."

So geht es mir gerade im Zugehen auf auf Ostern – ich verstehe Gottes Wege nicht, aber ich hoffe darauf, dass Gott einen Sinn für uns in dieser Corona-Krise versteckt hat. Normalerweise bin ich ja immer schnell beim Deuten und Sinnsuchen (und war es hier ja auch schon), aber ehrlich gesagt stiefelt mir gerade sehr viel Zweifel im Kopf herum.

Wohin führt das alles?
Kronberg (Taunus), 2020.
Wenn ich sonst glaube, dass Gott mit allem, was geschieht, etwas vorhat – was will uns seine Liebe denn hier zeigen? Ist da nicht zu viel Wunsch? Zu wenig Offenheit für das Chaos? Bürde ich Gott nicht die Verantwortung (und damit Schuld) für viele Weltdinge auf, die eben einfach passieren?

2.
Einer, der vor einigen Tagen sehr beeindruckend (sehr vorsichtig) geschrieben hat, was ihm für diese Zeit ohne Gottesdienste für Deutemöglichkeiten vorschweben, ist der auch hier schon vielgenannte Tomáš Halík. 
In der Christ-&-Welt-Beilage der ZEIT schrieb er unter anderem:

"Vielleicht zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren." Um dann skeptisch und doch hoffnungsvoller hinzuzufügen:
"Dieses Jahr an Ostern werden wahrscheinlich viele unserer Kirchen leer sein. An irgendeinem anderen Ort werden wir das Evangelium vom leeren Grab vortragen. Wenn uns die Leere der Kirche an ein leeres Grab erinnern wird, sollten wir nicht die Stimme von oben überhören: 'Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa.'
Die Anregung zur Meditation für dieses seltsame Ostern lautet: Wo ist dieses Galiläa von heute, wo können wir dem lebendigen Christus begegnen?"1

Die Antwort Halíks weist (neben der kirchenpolitisch mahnenden Komponente) in die Richtungen, in denen er früher schon suchte – zu den Suchenden und Verwundeten. Aber selbstverständlich kann die Frage für jeden existenziell offen bleiben: Wie und wo ist Gott für mich an Corona-Ostern zu finden?

3.
Trotz (oder wegen?) meiner Zweifel und Unbehagen ich bin in diesen liturgiefreien Wochen an erstaunlichen Orten religiös fündig geworden. Besonders in meiner belletristischen Lektüre der vergangenen Zeit konnte ich einige Entdeckungen machen und habe mich auch für die Kar- und Ostertage inspirieren lassen. Dabei fühle ich mich dem Helden Carl aus Lutz Seilers "Stern 111" sehr verwandt

Amerikanisch?
Pfeil zu mir bei Linum, Brandenburg, 2018.
"Er machte Exzerpte in sein Notizbuch. Das Abschreiben war eine Möglichkeit, sich dem Heiligen zu nähern. Es war die amerikanische Methode. Eine Art Gottesdienst."2

Auch wenn Carl es wahrscheinlich etwas anders meint: Vielleicht findet ihr auch eine eigene Gottesdienstform für euch! Oder eine Anregung in den Texten der folgenden Tage.
Ich wünsche euch jedenfalls einen guten skeptisch-hoffnungsfrohen Weg durch die Corona-Zeit und die Ostertage!





1   T. Halik, Auf dem Weg in die Tiefe. In der Corona-Krise bleiben die Kirchen leer. Ist das ein Zeichen Gottes? Ein Essay (Christ & Welt vom 02.04.2020); ohne Bezahlschranke und unter anderem Titel auch hier zu finden.
2   L. Seiler, Stern 111. 3. Aufl. Berlin 2020, 33.

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