Da meine Kinder nun einmal unumgänglich
zu meinem Nahumfeld gehören, fallen mir anhand ihrer
Verhaltensweisen, Möglichkeiten und Grenzen auch eine Reihe von
Dingen auf, die sich in meine Assoziationsketten vor der
Bundestagswahl 2017 einfügen.
Die Kleine ist noch keine drei Monate
alt und wahltypologisch steht sie für mich auf dem Posten der
Resignation.
Langsam nimmt das Baby immer mehr wahr,
was um sie herum geschieht; von Tag zu Tag beobachtet sie genauer.
Der über ihr sich bewegenden Hand folgt sie mit den Augen oder gar
dem Kopf, die Wärmelampe lächelt sie an, auf elterntypische
Kosegeräusche reagiert sie mal mit Lachen, mal gar nicht.
Und dann ist da ein über ihr
baumelndes Spielzeug, von mir angestoßen und wegen seiner Bewegung
von ihr angestaunt. Aber die Möglichkeit, es selbst auch zu berühren
und in Bewegung zu bringen, scheint sie nicht zu haben. Oder doch?
Mitten ins Schwarze getroffen? Basketballkorb in Rixdorf, Berlin, 2017. |
Von Zeit zu Zeit, wenn der Hunger kommt, sucht die Hand zur
Beruhigung schon allein den Weg in den Mund. Manchmal mit Erfolg, oft
aber landet sie auch an der Stirn oder am Kinn. Das
Koordinierungsvermögen wächst erst langsam, vielleicht könnte sie
auch das Spielzeug allein schon zum Pendeln bringen. Vielleicht ist
sie in ihrer Entwicklung schon weiter und nur die Erkenntnis der
eigenen Fähigkeiten fehlt noch. Sie schaut vorerst nur zu.
Politisch gewendet:
Nichtwähler oder Wähler von
Satiretruppen mögen es sein, die diesem Typus entsprechen, Menschen,
die an der politischen Gestaltbarkeit der Umstände zweifeln oder
auch glauben, dass keine vertretbaren politischen Alternativen
vorgeschlagen werden.
Denn auch nur auf den Gedanken kommen,
dass man selbst etwas bewegen könnte, erfordert schon ein gerüttelt
Maß an visionärer Kraft – und etwas Vertrauen in das
gesellschaftlich-politische System.
Die Ältere ist drei und lebt
ihrerseits das Gegenstück dazu, die Hybris. Schlagwort "Ich
kann das allein!" Ich löse meine Probleme selbst. Hier und
jetzt. Natürlich mit der fast sofortigen Anschlussforderung "Hilf
mir!" – und zwar sofort.
Vieles klappt ja auch einigermaßen –
das Balancieren auf dem Mäuerchen, das Vorrennen und "Erster!"
sein, das Brotschmieren...
Natürlich schlägt die Hybris auch in
ihr passives Extrem um und fordert ohne eigenes Probieren die Lösung
jeglichen Kleinstproblems: Müslischüssel holen, was letzte Woche
problemlos klappte? Fehlanzeige. Schuhanziehen wie in der Kita? Geht
gar nicht! Laufradfahren und Richtung und Tempo selbst vorgeben? Ich
kann nicht mehr!
Papa muss alles machen, ich verweigere
mich – aber ich bestimme, welche Müslischüssel, wo die Schuhe
angezogen werden und auf welchem Arm oder ob ich doch lieber auf der
Schulter getragen werde. Geschieht das nicht, gibt es Geschrei. Und
was für welches.
Der politische Typus dazu:
Alles kaputt oder was? St. Michael, Berlin-Mitte, 2016. |
Die Dinge müssen so und nicht anders
umgekrempelt werden, strikte Lösungen für komplexe Probleme sind
die Antwort. Und die haben wir – für alles. Und was nicht klappt,
wird niedergeschrien. Die Extremisten vom rechten Rand, die sich
inzwischen in der AfD gesammelt haben und ihre Enttäuschung, ihre
Unsicherheit und ihren Haß dort rauslassen, gewinnen hoffentlich
mehr Gleichgewicht und wirklichen Selbststand. Das ist einer, der
nicht schreit, wenn man unzufrieden ist, sondern sich konstruktiv
einbringt. Nicht durch Hassmails und Drohbotschaften, sondern im
Realismuslernen und Weltgestalten.
Kinder entwickeln sich zum Glück
weiter! Den Resignierten und Aufgeputschten wünsche ich das auch!
Denn eine reife Herangehensweise an
demokratische Wahlen dürfte wohl weder der Resignation noch der
Hybris Vorschub leisten. Die Grenzen des Wählens ebenso in den Blick
zu nehmen wie die sich bietenden Möglichkeiten, erfordert mehr
Unterscheidungsvermögen als die Alles-oder-Nichts-Variante.
Ich wünsche allen, die die Möglichkeit
haben, zur Wahl zu gehen, dies auch verantwortlich zu tun.
Den Resignierten: Schwerpunkte setzen,
Toleranz bei Randunschärfen zeigen, nicht auf Absolutheiten
beharren. Die Welt wird nie hundertprozentig gerettet durch Wahlen.
Ich stimme auch mit keiner Partei wirklich überein. Als aufgeklärter
Christ mit einer liberalen Grundeinstellung und menschenrechtlich
angeschärften Vorstellungen hat man nicht überall viele
Schnittmengen. Nichtsdestotrotz gehe ich wählen. Und nicht nur, weil
ich manche für ein "kleineres Übel" halte, sondern weil
ich trotz der erkannten Grenzen meine Meinung einbringen will. Am
Wahltag und darüber hinaus.
Den Radikalisierten: das
vernünftig-menschliche Differerenzierungsvermögen schärfen, genau
hinschauen und sich nicht monothematisch auf enge Feindbilder
festzurren lassen. Ich wünsche mir auch mehr Schärfe und Klarheit
in mancher politischen Äußerung, weniger Schlingern im Grau-grau.
Aber ich akzeptiere die Grenzen der parlamentarischen Demokratie
gern, wenn ich mir weltweit anschaue, was die Alternativen wären.
Sich verweigern hilft der Gesellschaft,
in der wir leben, ebensowenig, wie fanatisch auf einen Reiz hin
auszurasten.
Differenzieren und verantwortlich
wahrnehmen, was geht und was nicht geht, führt nicht zum Einerlei
und auch nicht zur einen wahren Lösung. Sondern im besten Fall zu
einer verantwortlichen Wahl und zu gesellschaftlichem Engagement.
Alles, was bleibt? Grab auf dem St-Hedwigs-Kirchhof, Reinickendorf, Berlin, 2017. |