Mit diesen (hier leicht abgewandelten) Worten war ich heute morgen im rbb zu hören:
Wenn ich mit meiner kleinen Tochter auf
den Spielplätzen in unserem Viertel unterwegs bin, fällt mir
regelmäßig dieser eine Satz aus der Bibel ein: „Hättest nicht
auch du Erbarmen haben müssen?“
Eines der anderen Kinder hat meiner
Tochter etwas von seinem Sandspielzeug abgegeben. Anstatt nun
friedlich miteinander zu spielen, greift meine (sonst natürlich
außerordentlich gut erzogene) Tochter im nächsten Augenblick alle
ihre Sachen, um nur ja nichts von ihnen abgeben zu müssen.
Zwar kann sie selbst auch nicht mehr
spielen, wenn sie alle Schaufeln und Eimer vor den Bauch presst, aber
die Verteidigung ihres Besitzstandes ist ihr in diesem Moment viel
wichtiger.
Großzügig denken. Blume am Knast. Plötzensee, 2017. |
Das ist eine Alltagserfahrung.
Kinderkram, könnten Sie sagen. Aber in dieser Beobachtung steckt
mehr. Vielleicht sogar eine menschliche Grunderfahrung. Ähnlich der,
von der im Neuen Testament berichtet wird:
Da erzählt Jesus in einem Gleichnis
von einem Mann, der von seinem König eine riesige Schuld erlassen
bekommt. Der Mann selber aber verhält sich seinerseits bei nächster
Gelegenheit äußerst hartherzig gegenüber einem Anderen, der ihm
einen läppischen Kleinbetrag schuldet. Der König hört davon, lässt
ihn holen und erinnert ihn daran, dass er ihm die ganze Schuld
erlassen hat. Dann fällt ebenjener Satz: "Hättest nicht auch
du ... Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?"
(Mt 18,33) Wegen seiner Unbarmherzigkeit wird der Mann nun ins
Gefängnis geworfen.
Nicht nur auf dem Spielplatz ist die
Erinnerung nützlich, dass man selbst ja auch nicht anders ist als
die anderen und deshalb großzügig sein sollte.
Auch wenn wir aus der Bibel keine
direkten Handlungsanweisungen für die Politik ziehen können, lassen
sich angesichts der kommenden Bundestagswahl doch zwei Anregungen aus
diesem Bibeltext gewinnen.
Für Politiker kann dies eine
Aufforderung sein, Selbstgerechtigkeit abzulegen und sich beim harten
Auftreten gegenüber dem politischen Gegner darüber klar zu sein,
dass die jeweils eigene Meinung auch nur eine Möglichkeit unter
mehreren ist, um die Gesellschaft gerechter und besser zu machen.
Die Wähler wiederum kann der Satz des
Königs daran erinnern, dass auch Politiker normale Menschen sind, an
die keine übermenschlichen Maßstäbe angelegt werden dürfen. Auch
Politiker dürfen ihre Meinung ändern und Fehler machen. Bei aller
bisweilen berechtigten Kritik an den politisch Verantwortlichen –
engstirnige Politikerschelte wäre nach diesem Satz nicht im Sinne
Jesu.
Ob also im Sandkasten oder in der
Politik: wenn wir bedenken, dass wir fehlbar und auf die Gunst
anderer angewiesen sind, kann uns das helfen, großherziger zu
werden.
Eigene Feler einsehen. Knoblauch auf Roter Beete. Rixdorf, Berlin, 2016. |