Samstag, 9. September 2017

Wenn sie nicht hören kann... Über Kindererziehung und Exkommunikation

Heute hat sie es wieder einmal geschafft. Nachdem ich mich eine Zeit lang habe anschreien, anspucken und treten lassen, bin ich aus dem Kinderzimmer gegangen, in dem meine Tochter eigentlich Mittagsschlaf machen sollte. Das Hinaus- und Hineingehen hat sich vier- bis fünfmal wiederholt. Irgendwann hatte ich genug und meine Frau hat sich der Sache angenommen. Nachdem auch sie angeschrien wurde, hinaus- und wieder hineinging, ist dann irgendwann Ruhe eingetreten.

Irgendwie passt diese Samstagmittagsszene zum morgigen Evangelium (Mt 18,15-20). 
Jesus unterweist darin seine Jünger, wie sie Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde schlichten sollen. Da es zu Jesu Lebenszeit keine wirklichen Ortsgemeinden gab, ist von einer nachösterlichen Formulierung auszugehen, die im Sinne Jesu gestaltet wurde.

Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Neukölln, 2017.
Es heißt da:
"Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden.
Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner." (v15-17)

Was mit dem "Sündigen" genau gemeint ist, wird nicht klar benannt. Wichtig ist nur das Vorgehen. Es handelt sich um ein dreistufiges Eskalationsverfahren, das unter der Prämisse steht, die fehlgehende Person zu halten. Das zu betonen ist wichtig, da die Textlogik auf den Ausschluss zuläuft und vielen Hörenden der drohende mögliche Ausschluss im Kopf hängen bleiben dürfte. Also: Der erste Sinn des Textes ist es, zu zeigen, wie man sich gerade nicht von jemandem trennt.

Aber den Kontakt mit jemandem auszusetzen, und sei es auch nur zeitweise, wie beim Verlassen des Kinderzimmers, ist in manchen Fällen der einzige Weg, Konflikte zu lösen.
Was bedeutet das außerhalb des Kinderzimmers für den christlichen Umgang miteinander in der Kirche?

Der Sinn des möglichen Ausschlusses kann vielleicht klarer werden, wenn man sich konkrete Möglichkeiten anschaut, was gemeint sein könnte, wenn jemand aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden soll.
Man kann dafür das katholische Kirchenrecht und sein hauptsächliches Gesetzbuch, den Canon Iuris Canonici (CIC), heranziehen und die Aussagen zum kirchlichen Ausschluss. Es handelt sich um eine der höchstmöglichen Kirchenstrafen, die "Exkommunikation".
Sie tritt ein, wenn sich jemand von gravierenden Glaubensinhalten entfernt, beispielsweise die eucharistischen Gestalten verunehrt (can 1367), den Papst physisch angreift (can 1370) oder wenn ein Priester das Beichtgeheimnis verletzt (can 1388).
Exemplarisch finden sich in Canon 1364 außerdem folgende Tatbestände:
"Der Apostat, der Häretiker oder der Schismatiker ziehen sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu".1
Was bedeutet das? Eine Tatstrafe ist nach der Definition des CIC eine Strafe, die "von selbst durch Begehen der Straftat eintritt." (can 1314)
Sie muss in den vorliegenden Fällen also nicht verhängt werden, sondern tritt automatisch ein, wenn die genannten Taten verübt werden. Die innere Logik dieses Vorgehens erschließt sich, wenn man sieht, was genau da mit Exkommunikation belegt wird.

Apostasie ist der völlige Abfall vom Glauben der Kirche. Ein Apostat glaubt nicht daran, was der Kirche heilig und wichtig ist – Gott und seine Liebe zu den Menschen, die er in Jesus Christus gezeigt hat und im Heiligen Geist allen Menschen in Ewigkeit zuteil werden lassen möchte. Wer also öffentlich bekundet und meint, er glaube nicht an Gott, stellt sich nicht nur mental, sondern auch rechtlich außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft. Schließlich handelt es sich um die ratio essendi der Kirche. Diese Logik leuchtet mir ein.

Ähnlich bei einem Schismatiker. Ein Schisma bezeichnet die Abspaltung von der Kirche. Jemand, der die Abspaltung von der Kirche betreibt, schließt sich nach dem Kirchenrecht aus der Kirche aus. Gleiche Logik wie eben: Denn warum sollte jemand, der sich von der Gemeinschaft der Kirche trennt, in ihr verbleiben wollen? 

Alle in Reih und Glied.
Birken am Mauerweg, Treptow, Berlin, 2016.
Hier muss vielleicht hinzugefügt werden, dass im kirchlichen Recht eine Strafe (im Gegensatz zum Mittagsschlafterror eines Kleinkindes) "wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar" sein muss! (can 1321 §1) 

Bei der Häresie liegt der Fall wohl am unschärfsten, weil dieses teilweise Abgehen von Glaubensinhalten nicht immer klar das Abwenden von der Gemeinschaft als Ganzer im Sinn hat, während bei Apostasie und Schisma die Dinge wie gezeigt einigermaßen klar liegen.
Weder jeder Zweifel noch jede kleine Abweichung vom Glauben der Kirche ist schon Häresie. Dazu ist die Vielfalt der Glaubenszugäge und die Spannweite theologischer Denkrichtungen in der Kirche zu mannifaltig. Wie die oben genannten weiteren Beispiele gezeigt haben, geht es bei der Exkommunikation immer um gravierende Glaubensinhalte.

Zusammenfassend würde ich also sagen: Jene Haltungen oder Handlungen, die zur Exkommunikation führen, sind stets solche, die auch erkennen lassen, dass jemand gar nicht die Absicht hat, in Gemeinschaft mit der Kirche zu stehen. Insofern wäre es naheliegender, von einem Selbstausschluss zu sprechen (am wenigsten klar erkennbar vielleicht im Falle der Häresie). Die Denkfigur der Tatstrafe als quasi-automatischem Eintritt der Strafe entspricht dem.

Aufs Evangelium zurückgeschaut wird die Frage: Wie geht man mit Leuten um, die "gesündigt haben"? in der Kirche (eigentlich wenig erstaunlich) ganz ähnlich beantwortet wie im Evangelium. Das Ziel ist nicht, jemanden hinauszuwerfen. Es muss schon klar sein, dass jemand selbst kein Interesse mehr hat, dabei zu bleiben. Das wird nach den drei erfolglosen Gesprächen in unserer Evangelienstelle vorausgesetzt.
Wer also nicht zu den Konditionen des kirchlichen Glaubens in der Kirche sein will, den soll man gehen lassen. Das berühmte Hinterhergehen hinter dem verlorenen Schaf (vgl. Lk 15,1-10) setzt voraus, dass das Schaf tatsächlich verloren gegangen ist und nicht geflohen.

Der Clou an der Formulierung "dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner." (v17) ist aber, dass das gleiche Matthäusevangelium an zwei anderen Stellen prominent berichtet, dass Jesus mit Matthäus nun gerade einen Zöllner zum Apostel beruft (vgl. Mt 9,9-13) und seine Jünger nach der Auferstehung zu den Heiden aussendet: "geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19)!

Auch wenn es nicht der ursprüngliche Sinn der vorliegenden Formulierung gewesen sein dürfte, können wir doch heute sagen, dass jene, die sich von der Kirche aus welchen Gründen auch immer abgewendet haben und selbst aus der Gemeinschaft aussteigen, vielleicht sogar mit Kirchenstrafen belastet sind, doch nicht verloren und vergessen sein dürfen. Jesus geht noch einmal neu los und will alle in sein Reich holen.

Das ermutigt auch mich in den Niederungen der täglichen Erziehungsarbeit, immer wieder loszugehen und die Konsequenz nicht zu hoch zu hängen.

Immer wieder losgehen?! Allee bei Kleinbrembach, 2015.


1   Vgl. z.B. http://www.codex-iuris-canonici.de/indexdt.htm und den entsprechenden Canon.