Heute hat sie es wieder einmal
geschafft. Nachdem ich mich eine Zeit lang habe anschreien, anspucken
und treten lassen, bin ich aus dem Kinderzimmer gegangen, in dem
meine Tochter eigentlich Mittagsschlaf machen sollte. Das Hinaus- und
Hineingehen hat sich vier- bis fünfmal wiederholt. Irgendwann hatte
ich genug und meine Frau hat sich der Sache angenommen. Nachdem auch
sie angeschrien wurde, hinaus- und wieder hineinging, ist dann
irgendwann Ruhe eingetreten.
Irgendwie passt diese
Samstagmittagsszene zum morgigen Evangelium (Mt 18,15-20).
Jesus unterweist darin seine Jünger,
wie sie Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde schlichten sollen. Da
es zu Jesu Lebenszeit keine wirklichen Ortsgemeinden gab, ist von
einer nachösterlichen Formulierung auszugehen, die im Sinne Jesu
gestaltet wurde.
Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Neukölln, 2017. |
Es heißt da:
"Wenn dein Bruder sündigt,
dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf
dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
Hört er aber nicht auf dich, dann
nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die
Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden.
Hört er auch auf sie nicht, dann
sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann
sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner." (v15-17)
Was mit dem "Sündigen" genau
gemeint ist, wird nicht klar benannt. Wichtig ist nur das Vorgehen.
Es handelt sich um ein dreistufiges Eskalationsverfahren, das unter
der Prämisse steht, die fehlgehende Person zu halten. Das zu betonen
ist wichtig, da die Textlogik auf den Ausschluss zuläuft und vielen
Hörenden der drohende mögliche Ausschluss im Kopf hängen bleiben
dürfte. Also: Der erste Sinn des Textes ist es, zu zeigen, wie man
sich gerade nicht von jemandem trennt.
Aber den Kontakt mit jemandem
auszusetzen, und sei es auch nur zeitweise, wie beim Verlassen des
Kinderzimmers, ist in manchen Fällen der einzige Weg, Konflikte zu
lösen.
Was bedeutet das außerhalb des
Kinderzimmers für den christlichen Umgang miteinander in der Kirche?
Der Sinn des möglichen Ausschlusses
kann vielleicht klarer werden, wenn man sich konkrete Möglichkeiten
anschaut, was gemeint sein könnte, wenn jemand aus der kirchlichen
Gemeinschaft ausgeschlossen werden soll.
Man kann dafür das katholische
Kirchenrecht und sein hauptsächliches Gesetzbuch, den Canon Iuris
Canonici (CIC), heranziehen und die Aussagen zum kirchlichen
Ausschluss. Es handelt sich um eine der höchstmöglichen
Kirchenstrafen, die "Exkommunikation".
Sie tritt ein, wenn sich jemand von
gravierenden Glaubensinhalten entfernt, beispielsweise die
eucharistischen Gestalten verunehrt (can 1367), den Papst physisch
angreift (can 1370) oder wenn ein Priester das Beichtgeheimnis
verletzt (can 1388).
Exemplarisch finden sich in Canon 1364
außerdem folgende Tatbestände:
"Der Apostat, der Häretiker
oder der Schismatiker ziehen sich die Exkommunikation als Tatstrafe
zu".1
Was bedeutet das? Eine Tatstrafe ist
nach der Definition des CIC eine Strafe, die "von selbst
durch Begehen der Straftat eintritt." (can 1314)
Sie muss in den vorliegenden Fällen
also nicht verhängt werden, sondern tritt automatisch ein, wenn die
genannten Taten verübt werden. Die innere Logik dieses Vorgehens
erschließt sich, wenn man sieht, was genau da mit Exkommunikation
belegt wird.
Apostasie ist der völlige Abfall vom
Glauben der Kirche. Ein Apostat glaubt nicht daran, was der Kirche
heilig und wichtig ist – Gott und seine Liebe zu den Menschen, die
er in Jesus Christus gezeigt hat und im Heiligen Geist allen Menschen
in Ewigkeit zuteil werden lassen möchte. Wer also öffentlich
bekundet und meint, er glaube nicht an Gott, stellt sich nicht nur
mental, sondern auch rechtlich außerhalb der kirchlichen
Gemeinschaft. Schließlich handelt es sich um die ratio essendi der
Kirche. Diese Logik leuchtet mir ein.
Ähnlich bei einem Schismatiker. Ein
Schisma bezeichnet die Abspaltung von der Kirche. Jemand, der die
Abspaltung von der Kirche betreibt, schließt sich nach dem
Kirchenrecht aus der Kirche aus. Gleiche Logik wie eben: Denn warum
sollte jemand, der sich von der Gemeinschaft der Kirche trennt, in
ihr verbleiben wollen?
Alle in Reih und Glied. Birken am Mauerweg, Treptow, Berlin, 2016. |
Hier muss vielleicht hinzugefügt
werden, dass im kirchlichen Recht eine Strafe (im Gegensatz zum
Mittagsschlafterror eines Kleinkindes) "wegen Vorsatz oder
Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar" sein muss! (can
1321 §1)
Bei der Häresie liegt der Fall wohl am
unschärfsten, weil dieses teilweise Abgehen von Glaubensinhalten
nicht immer klar das Abwenden von der Gemeinschaft als Ganzer im Sinn
hat, während bei Apostasie und Schisma die Dinge wie gezeigt
einigermaßen klar liegen.
Weder jeder Zweifel noch jede kleine
Abweichung vom Glauben der Kirche ist schon Häresie. Dazu ist die
Vielfalt der Glaubenszugäge und die Spannweite theologischer
Denkrichtungen in der Kirche zu mannifaltig. Wie die oben genannten
weiteren Beispiele gezeigt haben, geht es bei der Exkommunikation
immer um gravierende Glaubensinhalte.
Zusammenfassend würde ich also sagen:
Jene Haltungen oder Handlungen, die zur Exkommunikation führen, sind
stets solche, die auch erkennen lassen, dass jemand gar nicht die
Absicht hat, in Gemeinschaft mit der Kirche zu stehen. Insofern wäre
es naheliegender, von einem Selbstausschluss zu sprechen (am
wenigsten klar erkennbar vielleicht im Falle der Häresie). Die
Denkfigur der Tatstrafe als quasi-automatischem Eintritt der Strafe
entspricht dem.
Aufs Evangelium zurückgeschaut wird
die Frage: Wie geht man mit Leuten um, die "gesündigt
haben"? in der Kirche (eigentlich wenig erstaunlich) ganz
ähnlich beantwortet wie im Evangelium. Das Ziel ist nicht, jemanden
hinauszuwerfen. Es muss schon klar sein, dass jemand selbst kein
Interesse mehr hat, dabei zu bleiben. Das wird nach den drei
erfolglosen Gesprächen in unserer Evangelienstelle vorausgesetzt.
Wer also nicht zu den Konditionen des
kirchlichen Glaubens in der Kirche sein will, den soll man gehen
lassen. Das berühmte Hinterhergehen hinter dem verlorenen Schaf
(vgl. Lk 15,1-10) setzt voraus, dass das Schaf tatsächlich verloren
gegangen ist und nicht geflohen.
Der Clou an der Formulierung "dann
sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner." (v17) ist
aber, dass das gleiche Matthäusevangelium an zwei anderen Stellen
prominent berichtet, dass Jesus mit Matthäus nun gerade einen
Zöllner zum Apostel beruft (vgl. Mt 9,9-13) und seine Jünger nach
der Auferstehung zu den Heiden aussendet: "geht zu allen
Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt
28,19)!
Auch wenn es nicht der ursprüngliche
Sinn der vorliegenden Formulierung gewesen sein dürfte, können wir
doch heute sagen, dass jene, die sich von der Kirche aus welchen
Gründen auch immer abgewendet haben und selbst aus der Gemeinschaft
aussteigen, vielleicht sogar mit Kirchenstrafen belastet sind, doch
nicht verloren und vergessen sein dürfen. Jesus geht noch einmal neu
los und will alle in sein Reich holen.
Das ermutigt auch mich in den
Niederungen der täglichen Erziehungsarbeit, immer wieder loszugehen
und die Konsequenz nicht zu hoch zu hängen.
Immer wieder losgehen?! Allee bei Kleinbrembach, 2015. |
1 Vgl.
z.B. http://www.codex-iuris-canonici.de/indexdt.htm
und den entsprechenden Canon.