Sonntag, 10. März 2019

Meine Versuchungen im Gottesdienst. Gedanken zum Evangelium am Ersten Fastensonntag

Wenn Jesus im Evangelium des heutigen ersten Fastensonntags auf die Probe gestellt wird, dann frage ich mich, was diese Versuchungen für mich bedeuten.

(Leider gab es traditionell keine Auslegung dieses Textes durch den Gemeindepfarrer – aber dafür den in diesem Jahr äußerst hörens- und lesenswerten Fastenhirtenbrief von Erzbischof Koch. Ich kann ihn an dieser Stelle nur empfehlen und betonen, wer ihn liest und bisweilen auch in diesen Blog hineinschaut, kann dort viele Gedanken entdecken, die hier auch auftauchen: Ambivalenzen aushalten, Vielfalt würdigen, Aufmerksam durch den Alltag gehen...)

Besonders wenn ich selbst einen Gottesdienst gestalte, gibt es eine Reihe von Versuchungen, denen ich standzuhalten habe.

"Befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden" (Lk 4,3), beginnt der Teufel bei Jesus.
Auch meine Versuchung ist oft genug, zu glauben, dass ich durch meine eigenen Kräfte und Möglichkeiten die Gottesdienstbesucher satt machen könnte.
Mehr als hohle Luft im Baum?
Neukölln, Berlin, 2019.
Wenn ich nur genug Zeit in die Vorbereitung der Predigt investiere, wenn ich nur innig genug bete und zu Herzen gehende Worte finde, wenn sie wenigstens einmal gelacht haben und wenn ab und zu, meist bei einem Lied, auch einmal eine Träne fließt... – dann wird doch sicher meine Kunstfertigkeit an ihr Ziel gekommen sein und die Männer werden frömmer und geistlich bestärkt oder emotional aufgerüttelt in ihre Zellen und ihren Haftalltag zurückkehren.
Nicht zuletzt werde auch ich selbst natürlich gut genährt von meinen eigenen Predigtgedanken...
Jesu Antwort, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe, deutet an, worum es eigentlich geht: Nicht um das Menschengemachte, das kurzfristig den Geist sättigt, sondern um die langfristig nährende Kraft Gottes, die durch meine Wort im besten Falle hindurch scheinen kann.
Wichtig ist doch, was zwischen der Seele des Einzelnen und Gott passiert, nicht ob sich jemand in zwei Wochen noch an meine Predigt erinnert.

"All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben" (v6), lautet folgerichtig der zweite Anlauf des Versuchers.
Es ist der Wunsch nach Macht und Einfluss, den ich als Prediger und Seelsorger natürlich auch spüre. Wie gern würde ich nicht nur nähren, sondern auch die richtigen Wege weisen und tolle Lösungen liefern. Habe ich doch oft den Eindruck, die Probleme des Gegenübers viel besser zu sehen und dementsprechend helfen zu können.
Im Bild der ersten Versuchung: Durch meine tollen Worte werden die harten Herzen weich. Ich habe es vollbracht.
Die Versuchung, hier manipulativ zu werden, liegt auf der Hand.
Besonders sensibel hat mich die Lektüre von Doris Wagners aktuellem Buch "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche" gemacht (dem ich bald noch ein paar mehr Zeilen widmen will). Ihre Kernthese ist eine Forderung, nämlich die nach "spiritueller Selbstbestimmung". Wo Menschen auf ihrem geistlichen Weg unter dem Einfluss anderer gehalten werden und sich ihre spirituellen Ressourcen nicht frei gewählt selbst suchen können, dort beginnt der "spirituelle Missbrauch". Besonders geistliche Begleiter sind bisweilen in der Versuchung, "eine Art spirituelles Lieblingsprogramm" abzuspulen, das nicht auf die Bedürfnisse der Begleiteten eingeht, sondern ihnen fremde Sichtweisen überzustülpen.1
Jesus weist in seiner Entgegnung auf Gott hin, dem die Macht gehört und die Verehrung gebührt. Für den Prediger und Begleiter bedeutet das, in freilassender Weise auf Gott hinzuweisen.

"Stürz dich von hier hinab, denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten" (v9f), probiert es der Teufel schließlich zum dritten Mal.
Dahinter steckt die (im Vergleich zu Jesus etwas verschobene) Frage: Wie groß ist mein Glaube?
Sehe ich die Gesichter der Gottesdienstbesucher vor mir, oder, wie heute, die Banknachbarinnen und -nachbarn um mich herum, dann besteht die Versuchung darin, mich innerlich über sie zu erheben und mein Vertrauen in Gott für stärker zu halten.
Beschäftige ich mich nicht viel öfter mit religiösen Themen? Gehe ich nicht regelmäßiger in die Kirche? Versuche ich nicht, viel inständiger zu beten? Schenke ich Gott nicht mehr Zeit und Raum in meinem Herzen?
Wäre ich ehrlich, müsste ich immer sagen, dass ich das alles überhaupt nicht weiß. Aber die Überheblichkeit besteht ja gerade darin, sich selbst als besser, frommer, gläubiger anzusehen – und dann eventuell, siehe Versuchung zwei, aus dieser Vorstellung abgeleitet Macht über andere auszuüben.

Dieser Text erinnert mich als gläubigen Menschen, als Seelsorger und als Prediger immer wieder daran, dass ein selbstkritischer Blick auf das eigene Handeln, Reden und Denken immer wieder dran ist.

Welche Spuren hinterlassen?
Eisfläche, Waren /Müritz, 2016.


1   Vgl. D. Wagner, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Freiburg i.Br. 2018, 42. 83.