Christian Herwartz SJ übersetzt das
berühmte Jesuswort aus dem Evangelium des heutigen Sonntags (Joh 14,
1-12) auf ganz eigene Weise. Wo Jesus in anderen Übersetzungen sagt
"Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" (v
6) wird Jesus nun zur "Straße".
Fußgänger im Regen, Wedding, Berlin, 2014. |
Mir wurde das sofort sehr verständlich
im Blick auf die biblischen Begegnungen von Gottsuchern mit dem
Gesuchten auf den wortwörtlichen Straßen der Welt.
Die Jünger auf der Straße nach Emmaus
sind die bekanntesten (Lk 24,13-fin), auch den Paulus erreicht Gott
auf der Straße nach Damaskus (Apg 9,3) und Philippus findet den den
äthiopischen Frommen "auf der Straße, die von Jerusalem
nach Gaza hinabführt" (Apg 8,26).
Die Straße scheint ein Ort zu sein, an
dem Gott sich bevorzugter finden lässt. Auf der Straße, d.h. in
meinem Alltag, in den Augenblicken des Unterwegsseins, im Aufbruch,
im Nicht-Heimischen.
"Die Straßen schlängeln sich
an vielen privatisierten Räumen in unserem Land vorbei. Manchmal
sind sie der einzige Raum, der allen zugänglich ist. Hier begegnen
wir allen, die unterwegs sind. Straßen sind Verbindungslinien
zwischen verschiedenen Orten des Lebens. Neue Ziele werden
aufgesucht."1
Die "Exerzitien auf der Straße",
die in dem zitierten Buch angeleitet werden, stellen für mich ignatianische und christliche Spiritualität in Reinkultur dar.
Nicht zuerst auf einem Betschemel oder
in klösterlicher Abgeschiedenheit, sondern mitten im Leben will sich
Gott entdecken lassen. Das war meine Einsicht bei bisher leider noch
viel zu kurz geübten Straßenexerzitien.
Für Christian Herwartz ist es das
ignatianische "der eigenen Sehnsucht folgen", das den
Ausschlag geben muss. Wer auf die Straße geht, setzt sich aus –
sich selbst, Gott, den Blicken und dem Denken anderer Menschen.
Wünsche und Bedürfnisse, aber auch Ängste und Abneigungen kommen
hervor und dürfen auf ganz unbewertet da sein. Ihnen kann man sich
auf der Straße stellen.
Pomnik Armii Poznan, Pfeil, Poznan, 2014. |
Mitten in der Aufmerksamkeit für die
Welt, dort, wo sich eine Person ganz persönlich angesprochen fühlt,
kann sie nun die Erfahrung Gottes machen. Klassisches Beispiel dafür
ist das Erlebnis des Mose am brennenden Dornbusch (Ex 3). Er wird
neugierig auf dieses Brennen, wie wir es auch für ungewohnte oder
einfach nur die Aufmerksamkeit anrührende Situationen auf der Straße
werden können.
Und dann hört Mose: "Leg deine
Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden."
(Ex 3,5). "Diesen Rat bekommen auch die
ExerzitienteilnehmerInnen mit auf den Weg: Wenn ihr an einen Ort
kommt, wo ihr spürt, dass euch etwas gesagt werden soll, dann sucht
eine günstige Stelle zum Verweilen und stellt euch ganz in die
Realität dieses Ortes und eurer Geschichte. Lasst die eingeübte
Distanz an diesem euch vielleicht fremden Ort fallen, legt die
distanziertende Schuhsohle beiseite! Zieht die Schuhe eures Herzens
aus!"2
Fußgänger, Charlottenburg, Berlin, 2014. |
Doch welche Schuhe sind es, die den
Bodenkontakt, den Kontakt mit Gott in der Straße verhindern? "Mal
sind es hochhakige Schuhe, mit denen ich auf das Leben herabsehe. Ein
andermal sind es Turnschuhe, mit denen ich mich herausfordernden
Situationen schnell entziehe. Auch Schuhe, die zur Waffe gegen andere
werden können, darf ich ablegen. Ein anderer will sich mit bunten,
auffälligen Schuhen vor anderen Menschen brüsten. Auch die darf er
ablegen."3
Offen die eigenen Vorurteile
riskierend, aufmerksam auf innere Widerstände hörend und doch
neugierig dran bleibend – eine solche Haltung der hörenden
"Anbetung" Gottes mitten in der Welt findet immer Orte, an
denen das Herz angesprochen wird und Gott sein Liebesfeuer schenken
kann.
Kurz: "Wir suchen keine Orte
der Ablenkung oder des Vergessens, sondern jene, die außerhalb des
Machens liegen und an denen die neue Freude brennen darf."4
1 C.
Herwartz, Brennende Gegenwart. Exerzitien auf der Straße. Würzburg
2011, 29.
2 Ebd.,
35f.
3 Ebd.,
36f.
4 Ebd.,
55.