Wie erlebten die Deutschen das Ende des
Zweiten Weltkrieges? Wo fanden sie sich wieder nach sechs langen
Jahren Tod und Zerstörung? War es ein Ereignis, das zum ultimativen
Vergleichsmaßstab wurde, so wie für Leonard Cohen, der von sich
singt: "I haven't been this happy since the end of World War
II?
Hand, Nudeln, Glas, Neukölln, Berlin 2014. |
Mich interessiert diese Situation
von Umbruch und Neubeginn. Tod und Auferstehung, Aufatmen, Frustration, Freude, Angst,
Hoffnung, Befreiung - alles zeigt sich, je nach Lage und Prägung. Im Folgenden
einige der von Walter Kempowski zusammengetragenen Zeugnisse aus dem
"Echolot" vom 08. und 09. Mai 1945. Sie spiegeln
unterschiedlichste Reaktionen aus der deutschen Bevölkerung wider.
Ein deutscher Kriegsgefangener in einem
sowjetischen Lager schreibt:
"Alle Gefangenen mussten auf
einem großen Platz Aufstellung nehmen, nach Nationen getrennt. Uns
wurde der Kriegsschluss mitgeteilt. Vorbeimatsch der russischen
Offiziere. Gemeinsam die "Internationale" gesungen. Am
anderen Tag hatte ich Glück und durfte mit einigen Kameraden den
Siegesfeier-Saal der Russen säubern. Dabei war manche zertretene
Brotkruste, mancher Heringskopf eine willkommene Zusatzverpflegung
für uns."1
Von einer augenscheinlich katholischen
Ordensschwester namens Josepha in Breslau wurde festgehalten:
"Heut hatte ich Nachtwache. Die
Russen haben uns heut wieder besucht, aber anständiger als gestern.
Leider ist schon überall gestohlen worden u. die Mädchen u. Frauen
belästigt wordem.
O lb. Gott, erleuchte doch diese Seelen, die Dich nicht kennen. O hilf doch unserem Volke, dass es im Geist der Sühne alle Leiden trägt. Wir haben ja viel gutzumachen. Wie wird es in meinem Leben gehen? Heut ist im ganzen Reich Ruhe geworden. Lb. Mutter Gottes, Dir sei Dank."2
O lb. Gott, erleuchte doch diese Seelen, die Dich nicht kennen. O hilf doch unserem Volke, dass es im Geist der Sühne alle Leiden trägt. Wir haben ja viel gutzumachen. Wie wird es in meinem Leben gehen? Heut ist im ganzen Reich Ruhe geworden. Lb. Mutter Gottes, Dir sei Dank."2
Kreuzwegstation, Karmel St. Teresa, Birkenwerder, 2014. |
"Es war für mich sehr schwer.
Als Idealist zog ich in diesen Kampf, ob als Soldat oder
Nationalsozialist, und ein so gewaltiges Ringen nahm so einen
bitteren Abschluss. Einige freuten sich, insbesondere die Herren von
der "Antifa", d.h. Antifaschisten. Es waren meistens
Vagabunden [...]."3
Eine Frau im Lager Nischni-Tagil hält
fest:
"Bei Bekanntgabe des
Kriegsendes am 8. Mai haben wir alle geweint. Gehofft wurde nur auf
baldige Heimkehr."4
Ilse Schulz aus Aussig (heute das
tschechische Ústí nad Labem) berichtet:
"Am Morgen brachte das Radio
die ersten Berichte von Waffenstillstandsverhandlungen. Der Krieg war
zu Ende. Wir hörten es mit gesenkten Blicken. Kein Gefühl der
Erleichterung, der Hoffnung durchzog unser Herz. Unser bedrücktes
Schweigen unterbrach Ullis jubelndes Stimmchen: "Mutti, der
Vati!"
Mit wankenden Knien eilte ich zum
Gartentor. Da stand er. Bleich und stoppelbärtig, in zerdrückter
Uniform ohne Waffe, ohne Koppel, ohne Schuhe mit durchbluteten
Verbänden an beiden Füßen. Aber er lebte! Er sah aus, wie die
Personifizierung des verlorenen Krieges, – aber er lebte! Selig
hielten wir uns in den Armen."5
Albert Schweitzer schreibt von der
Tagesarbeit im fernen Lambarene und notiert im Anschluss:
"Erst am Abend komme ich zur
Besinnung und kann versuchen, mir vorzustellen, was das Ende der
Feindseligkeiten in Europa bedeutet und was die vielen Menschen
empfinden müssen, die seit Jahren die erste Nacht ohne Angst vor
drohender Bombardierung erleben dürfen."6
Einschusslöcher, Am Kupfergraben, Berlin-Mitte, 2014. |
1 Zit
nach: W. Kempowski, Das Echolot. Abgesang '45. Ein kollektives
Tagebuch. München 2007, 358f.
2 Ebd.,
365.
3 Ebd.,
346.
4 Ebd.,
358
5 Ebd.,
387.
6 Ebd.,
424.
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