Samstag, 16. März 2019

"Schaut die verklärte Leibsgestalt." Ostern in Sicht und Abstieg ins Tal

1. Ostern in Sicht
"Der Leib ist klar, klar wie Kristall, Rubinen gleich die Wunden all,
die Seel durchstrahlt ihn licht und rein wie tausendfacher Sonnenschein"
"Bedeck, o Mensch, dein Augenlicht! Vor dieser Sonn besteht es nicht."

Es ist ein Osterlied, das mir angesichts des Sonntagsevangeliums in den Sinn kam. Denn dort heißt es außerdem gleich zu Beginn in der ersten Strophe:

"Kommt, kommt, ihr Christen jung und alt, schaut die verklärte Leibsgestalt!"1

Während im Evangelium die Rede war vom Aufstieg Jesu auf den Berg und von seiner dortigen Verklärung vor den drei mit hinaufgegangenen Jüngern, singt das Lied vom auferstandenen Jesus.

Das Ziel schon im Blick.
Fangschleuse Bahnhof, Brandenburg, 2019.
Dort eine Geschichte vor Ostern, hier eine Hymne auf den Todesüberwinder nach Ostern.

Der Grund für die Ähnlichkeit der Worte und Beschreibungen ist denkbar einfach:
Mit diesem Text will der Evangelist uns eine Art Vorausblick auf das geben, was erst noch kommen soll. Die Jünger (und mit ihnen wir) bekommen eine Vorstellung von der Auferstehung, eine Art Vision von dem, was aussteht.
Und das mitten in der Fastenzeit – während viele Christen noch versuchen, ihre Fastenvorsätze durchzuhalten und damit beschäftigt sind, sich mittels Verzicht auf das Osterfest vorzubereiten, wird unser Blick schon auf das Ziel hin gelenkt.
Das ist auch schon der wichtigste Sinn der Platzierung dieses Textes am Zweiten Sonntag in der Fastenzeit – nicht Jesu Leiden oder unser Mitleid ist der Sinn dieser Zeit. Der Sinn ist die Ausrichtung auf das neue Leben in der Herrlichkeit Gottes. Um dieses höheren Gutes willen konzentrieren wir uns auch eine Zeitlang auf das Leiden Jesu und üben selber das Verzichten. 

Wenn Jesus mit leuchtend weißem Gewand in strahlendem Licht mit Mose und Elija spricht (vgl. v29ff), dann macht der Evangelist uns aufmerksam auf den Plan Gottes mit Jesus, er zeigt die überwältigende Zukunft Jesu an.
Mose und Elija, die Symbolfiguren für Gesetz und Propheten in der Heiligen Schrift der Juden, müssen dabei gewissermaßen bestätigen, dass es mit Jesus und seinem Weg schon seine Richtigkeit hat – schließlich weisen, so die Überzeugung der Autoren des Neuen Testaments, das jüdische Gesetz und die Propheten Israels auf ihn hin.

Aber, auch das wird betont (vgl. v31), das strahlende neue Leben kommt nicht einfach von Gott her hoppladihopp über uns, sondern ist oft mit Leiden verbunden. In jedem Fall geht es durch den Tod hindurch und damit durch den schmerzhaften Abschied von dieser Welt.

Doch Leiden und Abschied behalten nicht das letzte Wort. Ihre Macht wird überstrahlt von der Hoffnung auf die Auferstehung und das neue Leben bei Gott, "licht und rein wie tausendfacher Sonnenschein." Ostern mitten in der Fastenzeit.

Dazu sind auch wir im Alltag eingeladen – unseren Blick zu erheben und auf das Ziel zu schauen, dem Ärger und der Enttäuschung nicht die Lufthoheit zu überlassen, sondern uns auf Gottes gute Vision für uns zu konzentrieren.

2. „Er wusste aber nicht, was er sagte." (v33)
Aber dass mit diesem Text Ostern schon in Sicht kommt, bedeutet nicht, dass sich die Jünger in Vorfreude ausruhen können.
Vielmehr werden sie, die Jünger, in diesem Text wieder als besonders dämlich dargestellt; erst dürfen sie mitkommen, wenn der Meister beten geht, dann schlafen sie ein, anschließend möchte Petrus wohl alles wieder gut machen und schlägt aus lauter Verlegenheit vor, die Vision festzuhalten und Hütten zu bauen.

Aber mit dem Wunsch, das wunderbare Erlebnis festzuhalten, steht er gar nicht so allein da.

In einer religiösen Biographie gibt es bekanntermaßen Hochs und Tiefs. Manche Menschen haben eine sehr tiefe Gottesbeziehung und ein inniges Gebetsleben, und kommen trotzdem irgendwann an den Punkt, an dem sie nichts mehr davon spüren.
Bei Mutter Teresa scheint es (nach ihren Tagebüchern) über viele Jahre so gewesen zu sein, dass sie Gott nicht mehr spürte und immer nur ins Dunkel hineinbetete, ohne Antwort, ohne Trost.
Was für ein Unterschied zu dem spirituellen Highlight, von dem wir heute gehört haben.

Die Härte der Realität erfahren.
Großmarkt am Westhafen, Berlin, 2019.
Wer beides kennt, steht sicher in der Versuchung, sich in Erwartung zukünftiger Tiefphasen an das zu klammern, was er hat.
Aber das ist nicht möglich. Das Leben geht im Tal weiter, dort, wo die Jünger mit Jesus anschließend wieder hingehen. Sie können sich nicht auf dem Berg in heiliger Andacht verstecken, nicht fliehen vor dem Alltag, nicht in religiöser Ekstase verharren.

Kein Hoch währt ewig.
Auch die deutschen katholischen Bischöfe und weite Teile der katholischen Kirche weltweit merken das: Jetzt, da sexueller Missbrauch an Minderjährigen, an Ordensfrauen (wieder) im Fokus steht; jetzt, da (wie es die Erfurter Dogmatikprofessorin Julia Knop gerade bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ausdrückte) ein „destruktiver Zusammenhang" zwischen "Macht – Zölibat – Sexualmoral" nicht mehr zu leugnen ist und die Kirche sich in einer "gravierenden Strukturkrise"2 befindet, jetzt kann man sich nicht mehr in ein Hoch von Frömmigkeit, Kirchensteuerfreuden, Frieden und Erleuchtung zurückbeamen. Nicht dass es in den letzten Jahren besonders viel Hochstimmung gegeben hätte, aber ein deutscher Papst und ein Reformpapst waren (zunächst) immerhin besser als die jetzige Situation!

Für die Kirche ist nicht Zeit der religiösen Hochstimmung, es ist nicht Verklärungs-Zeit.
Vielmehr gilt es jetzt, im Tal vom Konflikt und Krise weiterzuarbeiten.

Das steht für jeden Christen immer wieder an. Nach einem schönen Gottesdienst, einem intensiven Gebet, einer berührenden Lektüre der Schrift, einem zu Herzen gehenden Lied oder sonst einer intensiven religiösen Erfahrung geht es zurück in den Alltag.

Aber das Gute ist:
Auf jede Strecke im Alltagsgrau kann auch wieder ein starkes religiöses Erleben folgen, denn auch kein Tief währt ewig.

3. „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören." (v35)
Jesus war ein Mann seiner Zeit, ein religiöser Jude, beschnitten, er aß und trank, was das Land wachsen ließ, lernte einen für seine Region naheliegenden Beruf von seinem Vater und wanderte schließlich durch die schöne Gegend rings um den See Genezareth.

Dieser Mann wird hier von Gottes Stimme aus dem Himmel folgendermaßen charakterisiert: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören." (v35)
Den Jüngern wird damit klar gemacht, dass sie mit jemandem unterwegs sind, der immer und ganz in der Nähe Gottes ist.
Ihm können sie vertrauen, seine Worte können sie ernst nehmen, sein Handeln weitererzählen.

Denn bei seinem provokanten Auftreten gegenüber denen, die sich für ganz besonders fromm halten, weil sie alle religiösen Gesetze wörtlich nehmen und bei all den Anfeindungen, die Jesus deshalb erfährt, war es gut, eine solche Bestätigung zu bekommen.

Auch wir können unsbei allen teilweise ja durchaus berechtigten Anfeindungen, die es gegen den Glauben und die Kirche gibt – fragen, für wen wir Jesus denn halten.
Darum geht es, bei aller legitimen Kritik an der Institution Kirche, ja eigentlich: Um die Beziehung zu Jesus. 
Wer ist er für mich? Ein besonderer Mensch – ein von Gott Begnadeter, ein Opfer der Umstände, ein Naivling?

Und wir können uns fragen, ob wir darauf vertrauen, dass wir in ihm Gott begegnen können.
Dass er uns zum Ziel unseres Lebens führen kann.
Dass wir in seiner Auferstehung auch unsere Hoffnung schon sehen.
Dass wir auch in dunklen Stunden auf seine Anwesenheit hoffen, die wir nicht spüren.
Dass wir sogar in dieser kaputten Kirche der Gegenwart noch Heil erfahren können.

Den Weg weitergehen.
Fangschleuse, Bahnhof, Brandenburg, 2019.

1   Der ganze Text ist zu finden im Gotteslob unter der Nummer 331.

Hinweis: Das von Wikipedia gegenüber gestellte Original von 1630 zeigt allerdings, dass der Text dort noch ohne die Nutzung des Wortes "verklärt" auskam: "komm / komm o komm / komm jung vnd alt / komm schaw die schöne Leibsgestallt". Trotzdem bleibt die grundsätzliche Aussage erhalten, wie gleich noch zu sehen sein wird.
Vgl. zum Text: https://de.wikipedia.org/wiki/Ist_das_der_Leib,_Herr_Jesu_Christ