Samstag, 17. Oktober 2020

Unter Gottes Prägestempel. Ignatius von Antiochien und die zwei Münzen

Während ich noch in den Briefen des altkirchlichen Bischofs Ignatius von Antiochien blätterte und anfing, die ganz unten stehenden Gedanken in den Computer zu tippen, fiel mir ein Kapitel aus seinem Brief an die Magnesier ins Auge, in dem er das Motiv der Münzen aus dem morgigen Evangelium (Mt 22,15-21) variiert – und das sich darum viel besser für einen Beitrag an diesem Tag eignet.

Im fünften Kapitel schreibt der Märtyrerbischof:

"Es gibt zwei Möglichkeiten: Tod oder Leben, und jeder wird dorthin gelangen, wohin er gehört.
Es gibt ja auch zwei Sorten Münzen, die einen gehören Gott und die anderen der Welt. Und jede Münzsorte weist eine besondere Prägung auf. So tragen die Ungläubigen die Prägung dieser Welt – die aber glauben, tragen die Liebe als Prägestempel Gottes, des Vaters, den Jesus Christus uns aufgedrückt hat. An seinem Leiden haben wir nur Anteil, wenn wir uns freiwillig dafür entscheiden, nach dem Vorbild seines Leidens zu sterben.
"1 

Vom Winde geprägt.
Im Wald bei Wildau, 2019.
Auf die hinterhältige Frage der Pharisäer, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, reagiert Jesus im Evangelium wie folgt:

"Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt!
Da hielten sie ihm einen Denár hin.
Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das?

Sie antworteten ihm: Des Kaisers.
Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!
" (vv19-21)

Hier wie dort gibt es eine strikte Unterscheidung. Gott und Welt stehen einander gegenüber.

Doch während Jesus keine eindeutige Antwort auf die gestellte Frage gibt (und doch gut verstanden werden kann), nutzt Ignatius das Münzmotiv anders und erweitert die Bildebene. Neben die Münze des Kaisers, die Münze dieser Welt stellt er das Bild einer anderen Münze.

Und er macht sogleich klar, dass wir Menschen selbst diese Münzen sind.

Die "Prägung dieser Welt" wird nicht näher beschrieben, es wird nur implizit klar, dass sie als Prägung der "Ungläubigen" nicht zu Gott führt.

Dagegen wird die Prägung der Gläubigen durch "Liebe" und freiwilliges "Leiden" charakterisiert. Wenn es, möchte man seufzen, mal nur so wäre! Wenn der Glaube auch immer die Liebe im Gepäck hätte! Wenn aus der Liebe doch auch resultieren würde, dass wir in der Hoffnung auf Christus leidensfähig füreinander einstünden!

Doch Ignatius schreibt den Gemeinden nicht umsonst so viele mahnende Briefe. Er weiß, dass er auf Hoffnung hin schreibt.

Und es ist ihm, so viel Realismus spricht aus den letzten beiden Sätzen immerhin, auch klar, dass es keinen Automatismus gibt von Glaube, Liebe und freiwilligem Leiden – eine Entscheidung gehört dazu.

Lassen wir uns also prägen von Gottes Liebe, damit sein Abdruck in unserem Leben sichtbar wird! Dass unser Wert-Zeichen als Christen wirklich die Liebe ist und wir so auch Gott (zurück) geben, was sein ist.


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Einheit der Vielfalt.
Fernsehturm, Berlin-Mitte, 2019.
Der Vollständigkeit halber auch noch dieser kurze Gedanke, der vor dem oben geschriebenen begonnen wurde:

Als eine Reihe von Oden an die Einheit der örtlichen Kirche unter dem Bischof – so erscheinen mir die Briefe des Ignatius von Antiochien.
Wenn ich heute, an seinem Gedenktag, in diesen Texten lese, die um 110 n.C. als früheste christliche Zeugnisse nach den biblischen Schriften entstanden sind, dann bezweifle ich allerdings, dass die Einheit unter dem Bischof auf die Weise des Ignatius noch gut verstanden werden kann.
Denn der Märtyrerbischof bindet die Einheit mit dem Bischof ganz eng an die Einheit mit Gott zurück: Als die Ältesten (wahrscheinlich die Gemeinschaft der Presbyter) in der Gemeinde von Magnesia ihrem neuen, sehr jungen Bischof gehorsam sind, lobt er dies, weil sie damit "gar nicht eigentlich ihm, sondern dem Vater Jesu Christi, dem Bischof aller"2 gehorsam waren.
Das führt dahin, dass dem Bischof von Ignatius eine Stellvertreterfunktion zugeschrieben wird – "Der Bischof soll den Vorsitz führen an Gottes Stelle". Aber auch alle anderen haben ihren Platz: "die Ältesten [stehen] an der Stelle des Kollegiums der Apostel, und die Diakone, die mir besonders lieb sind, haben den Dienst Jesu Christi anvertraut bekommen".3 In der Gemeinde zeigt sich eine Art Widerspiegelung der größeren Ordnung der Welt. Denn: "Niemand soll den Nächsten nur nach irdischen Maßstäben betrachten. Vielmehr liebt einander allezeit, so wie Jesus Christus liebt. Nichts soll euch spalten können. Sondern seid eins mit dem Bischof und mit denen, die den Vorsitz haben. So könnt ihr die ewige Ordnung nachahmen."

Während ich die ersten Aussagen noch problemlos bejahen könnte und gern mit einer religiösen Perspektive auf meine Nächsten schauen will, mir ein Vorbild an Jesu Liebe nehmen möchte und im Zweifel für die Einheit bin, so schwer fällt es mir doch manchmal bei den letzten Sätzen: Bischöfe ernst zu nehmen, die nicht zu ihren Versäumnissen und ihrer Schuld (z.B. im Zusammenhang mit der frühzeitigen Dokumentation und Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs) stehen können, die spalterisch agieren oder den Menschen für ihren Alltag nichts Relevantes mehr zu sagen haben, ist eine echte Herausforderung für mich.

Doch ich bemühe mich – denn ich weiß, wie sehr Unmut und Ärger schon das eigene Gemüt verdunkeln, von den etwaigen Auswirkungen auf eine Gemeinschaft gar nicht zu reden.

An die Philadelphier schreibt Ignatius entsprechend: "Wo Spaltung und Zorn herrschen, dort ist kein Platz für Gott. Allen aber, die wieder umkehren zur Einheit Gottes und zum Kreis des Bischofs, vergibt der Herr."4

Hoffen wir, dass dieser Kreis die Umkehr dann auch wert ist!

 

 

1   IgnMag 5,1f. Zit.n. K. Berger / C. Nord (Hg.), Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. 5. Aufl. Frankfurt a.M. und Leipzig 2001.
(Die Briefe finden sich in älteren Übersetzungen auch unter: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel6.htm
)

2   IgnMag 3,1. Zit.n. ebd.

3   IgnMag 6,1. Zit.n. ebd.

4   IgnPhil 8,1. Zit.n. ebd.

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