Dienstag, 27. Oktober 2020

Polen und die Abtreibungsfrage. Ein persönlicher Kommentar

Ich mache keinen Hehl aus meiner Ratlosigkeit.

Wenn ich nach Polen schaue, dann sehe ich eine autoritäre Regierung, die seit Jahren unverhohlen den Rechtsstaat zerstört und den öffentlichen Diskurs unangenehm polarisiert. Dabei hat sie oft konservative Kirchenführer auf ihrer Seite. Als liberal empfindender Mensch spüre ich regelmäßig Abscheu, wenn ich die vielen politischen Tiefschläge sehe und wahrnehme, wie parteiisch sich die Bischöfe oft verhalten.

Die Verschärfung des Abtreibungsrechts durch das von Parteigängern der Regierungspartei PiS besetzte Verfassungsgericht scheint in die Linie zu passen. Seit Tagen protestieren nun Polinnen und Polen auf den Straßen, in den Kirchen und heute auch im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments. Sie sehen dieses Vorgehen als Kriegserklärung an.

Wer sieht noch durch?
Park Muzakowski, Polen, 2020.
Als Katholik erlebe ich bei Fragen rund um Abtreibungen ständig Diskussionen, bei denen der Wert des ungeborenen Lebens gegen die Selbstbestimmung der schwangeren Frauen in Stellung gebracht wird. Sowohl die eine als auch die andere Seite dieser (vor allem in den USA, aber zuteilen auch hier) inzwischen äußerst festgefahrenen Diskussion gewichtet einen der in Frage stehenden Werte so stark, dass für das Recht des anderen Wertes kein Raum bleibt. Schematisch formuliert: Die Lebensschützer hören nicht, dass Frauen im intimsten Bereich ihres Körpers nicht bevormundet werden wollen. Abtreibungsbefürworter lassen das Lebensrecht eines noch ungeborenen Lebewesens nicht gelten.

Ein Mann hat unter Umständen noch einmal einen schwächeren Stand in der Debatte, da er nicht in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft kommen kann und sich in die existentielle Dimension schwerlich hineinversetzen kann.

Wenn ich mich in dieser aufgeheizten Debatte dazu äußere, kann ich mich also nur in die Nesseln setzen...

Zunächst: Formal ist das Vorgehen der PiS völlig inakzeptabel – das Verfassungsgericht ist nach Meinung vieler Juristen nicht ordnungsgemäß besetzt worden und die Richterernennungen der vergangenen Monate anfechtbar.

Schwieriger wird der Grund beim Inhalt: Auch das völlige Verbot von Abtreibungen halte ich für unangemessen hart. Bei extremen Situationen wie nach einer Vergewaltigung oder bei schweren Fehlbildungen des Embryos, muss mindestens angstfrei erörtert werden können, was wirklich dem Wohl der Beteiligten dient. Die ethische Dimension umfasst ja immer die Frage nach dem Wohlergehen zweier Beteiligter – schwangere Frau und ungeborenes Kind.

Aber aus den Extremfällen ein Menschenrecht auf Abtreibung abzuleiten oder die völlige Legalisierung der Abtreibung zu fordern, finde ich wiederum abwegig. Auf diese Weise schießen die Forderungen, die für die konkrete Sachfrage durchaus nachvollziehbar sind, nach meiner Meinung ähnlich extrem über das Ziel hinaus wie die Rechtssetzungen des Verfassungsgerichtes. (Tiefer gehende Einlassungen zu diesem weiten ethischen Feld kann ich an dieser Stelle leider nicht leisten.)

Der Zorn der Protestierenden bricht sich nun an vielen Stellen Bahn, von Straßenblockaden und Sprechchören bis hin zu Störungen von Gottesdiensten. Dagegen gehen die Polizei und bisweilen auch nationalistische Gruppierungen mit erschreckender Brutalität vor.

Je nach den berichtenden Medien wird die Gewalt der jeweils anderen Seite besonders herausgestellt – ein gefährliches Spiel mit Lüge und Wahrheit!

Pilz - Schädling oder Schönheit?
Park Muzakowski, Polen, 2020.
Gerade die Störung von Gottesdiensten rührt an sehr empfindliche Gefühle und ist deshalb natürlich ein sehr geeignetes Mittel von Protestierenden, um sich große Aufmerksamkeit zu verschaffen. Symbolisch werden so die Forderungen nach straffreier Abtreibung an den Quell der Gegenargumente gebracht.

Natürlich hat Jaroslaw Kaczynski heute die Protestaktionen gegen das Gesetz mit sehr großer Geste und harten Worten verurteilt. Das war abzusehen, auch . Zweierlei fand ich dennoch bemerkenswert: Wegen der Pandemie ist ein Zusammenkommen von mehr als fünf Personen aktuell gar nicht erlaubt, deswegen prophezeit Kaczynski "viele Tote" aufgrund der Proteste. Das ist im Rahmen von Demos für Abtreibungen natürlich äußerst doppeldeutig.

Dann aber fordert er mit patriotischem Pathos dazu auf, die Kirchen zu schützen. Er warnt vor Nihilismus und weiß sich ganz im Besitz der Wahrheit. Die Kirche sei ein moralisches Depot der Gesellschaft. Angesichts der aktuellen Debatten um vertuschte Missbrauchsfälle in der polnischen Kirche ist das harter Tobak. Zumal die Kirchenführer oft nicht zimperlich waren, sich vor den Karren des Staates spannen zu lassen und Gegenmeinungen von hoher Warte aus abzuqualifizieren.
Nun wird die Kirche wieder verzweckt und von Kaczynski instrumentalisiert, während sich die andere Seite an ihrem Feindbild abarbeitet.

Ich will die Proteste und Schmierereien überhaupt nicht gutheißen. Aber sie müssen verstanden werden vor dem Hintergrund einer Kirche, die wenig integrativ agiert und in der öffentlichen Diskussion oft genug als Handlanger der polnischen Regierung wahrgenommen wird.


Nachdem ich das alles nun aufgeschrieben habe, bin ich weiterhin ratlos.

So wenig ich das Vorgehen und den Impuls von Gericht, PiS und Polizei gutheißen kann, so wenig sinnvoll finde ich die Forderungen nach der völligen Legalisierung von Abtreibungen oder den Vandalismus auf Kosten der Gläubigen.

Ich frage mich – wo ist in diesem Kulturkampf etwas Gutes? Wo ist eine Lösung zu finden für diesen Krieg?

 

Brücken vorhanden?
Park Muzakowski, Polen, 2020.


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