Sonntag, 22. August 2021

Harte Worte und Worte zum Leben. Predigt zum Abschied aus der JVA

Wie es der Zufall will, ist es eine Abschiedsrede, die wir da im heutigen Evangelium (Joh 6,60-69) hören. Nach einer anstrengenden und langen Rede haben einige von denen, die Jesus nachgegangen sind, keine Lust mehr, bei ihm zu sein, denn es war ihnen einfach zu viel, was er da von sich sagte. Jesus seinerseits gibt ihnen noch einige grundsätzliche Dinge mit auf den Weg.

Meine heutige Situation hier vor Ihnen ist ganz verschieden von dieser Situation der Jünger – ich gehe nicht, weil mir das alles zu viel ist und ich will auch nicht noch ein Bekenntnis aus ihnen herauskitzeln, wie Petrus es dann abliefert. Aber auch ich möchte noch ein paar Dinge sagen, die mir wichtig sind. Dabei lasse ich mich anstiften von dem, was wir gerade gehört haben.

Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ (v60)

Im Gefängnis ist vieles nur schwer zu ertragen – manche Mitgefangenen, manche SozialarbeiterInnen, manche Bedienstete, manche Angehörige – aber allzu oft auch das ganze System Knast. Vorzeitiger Einschluss, nicht besetzte Zahlstelle, kein Besuch, schon wieder warten usw. Wer kann das ertragen?

Und dann auch noch die Seelsorger. Sprechen von Gott, wo doch so viele andere wichtigere Sachen anstehen – eine Überweisung, ein Telefonat, ein Päckchen Tabak oder eine VPK.

Werksgelände, Tempelhof, 2020.
Von Gott im Gefängnis sprechen bedeutet zu sagen: Gott ist schon da.

Das irritiert manchen hier, aber es ist meine tiefste Überzeugung: Gott ist schon immer da und wirkt im Leben jedes Einzelnen hier – Seelsorger müssen Gott nicht erst hierher bringen.

Es kommt mir manchmal vor, als würde mancher die Verantwortung, mit Gott Kontakt aufzunehmen, gern an "den Mann von der Kirche" abschieben. Aber das geht nicht! Den Kontakt mit Gott aufnehmen, das kann nur jeder von Ihnen ganz persönlich. Ich kann Ihnen höchstens sagen, dass es im Grunde ganz leicht ist, kann Ihnen vielleicht einen Hinweis geben, was hilfreich sein kann. Aber Gott entdecken, das können nur Sie selbst.


Von Gott im Gefängnis sprechen, heißt aber auch von Freiheit sprechen. Und auch das ist eine Zumutung. Aber ich glaube, es ist wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Gott uns als ganz und gar freie Menschen will. Er braucht keine Marionetten, sondern er traut uns den freien Willen zu. Das kann auch schief gehen. Sie hat nun Ihr freier Wille (und sicher auch noch andere Sachen) hierher geführt – es braucht also noch einen entscheidenden Zusatz, wenn es um Freiheit geht. Nämlich die Verantwortung.

Wir müssen unsere Freiheit verantwortlich gebrauchen – uns überlegen, was gut ist und was nicht, abwägen, nachdenken, entscheiden. Denn Sie sind auch hier drinnen nicht ferngesteuert oder auf "Stand by" – auch hier sind Sie in Ihrer Verantwortung gefragt, wenn es um den Umgang miteinander oder mit den Bediensteten geht.


Als Seelsorger ging es mir hier immer darum, von diesem Gott zu sprechen, der uns Menschen ein Leben in Freiheit und Verantwortung wünscht. Beides zu erkunden, Freiheit und Verantwortung, dabei wollte ich helfen.

Auf diesem Weg muss ein Seelsorger auch mal anstößig sein, das sagte mir auch der Anstaltsleiter bei meinem Gespräch diese Woche. Allerdings nicht zu anstößig, meinte er noch. Ich weiß nicht, ob ich anstößig genug war.

Jedenfalls habe ich mich bemüht und dort, wo ich es für hilfreich hielt, auf vermeidbare Härten hingewiesen, wenn es um die Besuchsregelungen bei Corona ging, um die nicht immer optimale medizinische Versorgung, um die rigide Lockerungspraxis in Vorbereitung auf die Entlassung, den Kontakt mit der Familie, die wenigen kulturellen Angebote und an anderen Punkten.

Einiges davon habe ich dem Anstaltsleiter, seinem Wunsch gemäß, am Mittwoch auch gesagt.


"Der Geist ist es, der lebendig macht" (v63)

...und vielleicht haben Sie auch noch den Nachsatz im Ohr: "das Fleisch nützt nichts."

Freiheitsgefühle.
Beusselstraße, Berlin, 2018.
Das fiel mir hier manchmal ein, wenn ich gesehen habe, wie einige mit dem Training ihres Körpers sehr eifrig waren. Und ich hoffe immer, dass das Training des Geistes dabei nicht zu kurz gekommen ist. Auch insgesamt glaube ich: ein bisschen mehr Geist kann dem Justizvollzug nicht schaden.

Vom Geist lebendig gemacht werden, das bedeutet, frischer, mutiger, offener zu werden. Der Geist ist es ja auch, der dazu inspiriert, Neues auszuprobieren.
Da hat der Vollzug natürlich viel Spielraum, was Haftbedingungen und Umsetzung von familienfreundlichem Vollzug, Qualifizierung und Hilfen bei der Wiedereingliederung angeht.

Und natürlich sollen wir alle es wagen, Neues auszuprobieren. Auch Sie können sich ganz neu und anders erleben. Nicht nur als Knacki, nicht nur als vom System Erfasster, sondern auch als einer, der ganz anders kann.

Vom Geist bewegt können Sie beispielsweise auch anderen helfen, lebendig zu sein. Sie können es wagen, auch einmal liebevoll zu sein, wo Sie sonst nur mit Aggression reagieren. Wer hier schon öfter war, hat das vielleicht schon einmal gehört: Sie können ausprobieren, wie es sich anfühlt, großzügiger zu sein, weniger nachtragend und eher hilfsbereit. Ich bin überzeugt: wo Menschen bereit sind, das auszuprobieren und einzuüben, dort wirkt Gottes guter Geist!

Sie können heute schon anfangen, heute schon neu leben.


Und ja, das alles ist natürlich eine Lebenspraxis – es geht nicht darum, das alles nur im Kopf stattfinden zu lassen, sondern es mit den Händen zu leben. Wenn Jesus im Evangelium sagt, dass das Fleisch nichts nützt, dann meint er damit nicht, dass wir nichts tun sollen (sondern dass davon nicht abhängt, ob wir von Gott geliebt werden).

Im Geist beginnt es – und in unserem Leben will dieser Geist lebendig sein!


Du hast Worte des ewigen Lebens“ (v68)

Schließlich die Antwort des Petrus, nachdem Jesus den engen Kreis fragt, ob auch sie gehen wollen.

Petrus sagt das Richtige, natürlich. Das muss man schon können, in der richtigen Situation auch die richtige Antwort parat haben.

Ob ich das hier immer gut konnte, weiß ich nicht. Aber diese Antwort von Petrus erinnert mich daran, welche Kraft in Worten steckt. 

Wörter haben Macht!

Manchmal spüren wir das, wenn wir beleidigend werden und Situationen sich hochschaukeln. Oder wenn man nicht mehr miteinander spricht. Oder aber auch, wenn jemand ein gutes Wort für eine andere Person hat.

Meine Arbeit hier hatte viel damit zu tun, Gottes Wort weiterzugeben – als Trost, als Stärkung, als Ermahnung, als Erinnerung.

Gott spricht nämlich nicht nur im Leben von Ihnen, sondern er tut es seit langer Zeit im Leben von Menschen und manche der Erlebnisse mit Gott geben sie dann u.a. als Heilige Schrift von Generation zu Generation weiter.

In meiner Heiligen Schrift, der Bibel, kommen Gefangene immer wieder vor. Propheten wie Jeremia wurden von Königen eingesperrt, weil sie unbequem waren, Sklaven wie Josef, der Sohn des Jakob, wurden eingesperrt, weil man ihnen ein Verbrechen andichtete. Auch Johannes der Täufer saß im Gefängnis. Und sogar Jesus und die meisten seiner Apostel waren inhaftiert.

Die Perspektive der Bibel auf Gefängnis und Haft ist bei all dem eigentlich immer eine Perspektive „von unten“ – sie wurde geschrieben aus Sicht der Gefangenen.

Oftmals wird in der Bibel dann auch gar nicht gesagt, warum jemand inhaftiert wird, das ist gegenüber dem Freiheitsentzug nachrangig. Die biblischen Autoren gehen einfach davon aus, dass Haft keine schöne Sache ist, egal was man getan hat. Haft und Freiheitsentzug sind nichts gutes, aber manchmal - ich persönlich glaube eher selten - ein nötiges letztes Mittel. 

Und Gott ruft allen Menschen zu, dass sie sich erneuern und zu ihm wenden sollen.

So möchte ich ans Ende dieser Predigt zum Abschied ein Wort vom Leben stellen, ein Wort, das Kraft gibt, ein Wort aus dem Buch der Psalmen, der alten Gebetssammlung der Bibel:

"Mit meinem Gott überspringe ich Mauern" (Ps 18,30)


Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch in dieser Haftzeit Freiräume finden können.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie innere Mauern überwinden können.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich dann ganz neu und anders erleben können.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie mehr Nächstenliebe wagen können.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Gerechtigkeit und Verantwortung erleben.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Gottes Nähe spüren.

 

Mauern überspringen - über Brücken gehen.
Grenzbrücke, Frankfurt (Oder) - Slubice, 2021.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen