Montag, 30. August 2021

Rückblick vor dem letzten Tag im Gefängnis

Morgen ist mein letzter Tag im Gefängnis. Ich werde meinen Schlüsselchip abgeben und meinen Dienstausweis. Vorher warten noch ein paar Gespräche und Begegnungen. Dann war es das erst einmal für mich mit der Gefängnisseelsorge.

Und ich kann nur wiederholen, was ich in den letzten fünf Jahren oft genug mündlich betont habe: Es ist der schönste Arbeitsplatz, den ich bisher hatte.


Aber: Ich habe dabei den Glauben weitgehend verloren. Jedenfalls den Glauben in den Sinn dieses Justizvollzugs.

Aufräumen.
Neukölln, 2020.
Eigentlich ist es sowieso naheliegend: Kann man denn wirklich glauben, dass Kriminelle zu besseren Menschen werden, wenn man sie in einem repressiven System zusammensperrt und ihnen möglichst wenige begründete Hoffnungen auf Lockerungen oder ein vorzeitiges Haftende macht? Und damit will ich gar nichts gegen diese Personen sagen – ich glaube nur nicht, dass ihnen durch das aktuelle System am besten bei der vielbeschworenen Resozialisierung geholfen wird.

In der Realität verstärken sich nämlich eher die schlechten Dynamiken gegenseitig (wie beispielsweise bei Drogenkonsum und -handel), aber es gibt nur wenige funktionierende Anreize, um sich frühzeitig aus eigenen Beschränkungen und Zwängen (der eigenen Subkultur oder einer Drogensucht zum Beispiel) zu lösen.

Die Fehlerkultur einer Haftanstalt ist seitens der Inhaftierten nicht in erster Linie auf Wachstum und Lernen ausgerichtet, sondern auf die Vermeidung von Strafe. Und jeder Fehler taucht in der nächsten Fortschreibung des Vollzugsplans auf, wenn es darum geht, ob jemand "vereinbarungsfähig" (also verlässlich und vertrauenswürdig) ist und ob er auf Lockerungen hoffen darf. Selbst wenn der Fehler, um nur ein Beispiel zu nennen, darin bestand, sich während der Corona-Zeit ein Handy zu beschaffen, weil die Besuche ausfielen, Skype nur ab und zu ermöglicht wurde und die normale familiäre Telefonie auf dem Gang während der Aufschlusszeiten stattfinden musste, wenn alle anderen auf demselben Gang unterwegs sind. Der Kontakt zur Familie wurde also seitens der Anstalt aus pandemischen Gründen (sinnvollerweise) eingeschränkt, ohne aber nennenswerte Alternativen zu eröffnen. Und dieser doch für die Resozialisierung so wichtigen Kontakt wird kriminalisiert, weil Handys eben verboten sind.

Wodurch lernen Menschen? – Sehr viel jedenfalls durch Vorbilder und durch eigene Erfahrungen. Nach meiner Zeit im Berliner Justizvollzug kann ich mir nur schwer vorstellen, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat während einer Haftstrafe wachsen wird. Ohne ins Detail zu gehen, kann wohl gesagt werden, dass es durchaus noch mehr MitarbeiterInnen sein dürften, die durch ihr positives Vorbild wirken. Auch die Fehlerkultur der anderen Seite ist strafbewehrt, verstrichene Fristen, nicht eingehaltene Gesprächstermine etc. können (und werden oftmals) mit Beschwerden und Klagen erwidert. Vor diesem Hintergrund können Fehler von Bediensteten natürlich nicht leicht zugegeben werden.

Auf ins gelbe Meer.
Zinnowitz, Usedom, 2019.
Dazu kommen die üblichen Querelen in öffentlichen Dienst, chronische Personalknappheit (vornehmlich durch Langzeitkranke) und die Unterfinanzierung sozial stabilisierender Maßnahmen im Gefängnis zugunsten der Mehrausgaben für höhere Sicherheit.

Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass ich trotz allem vielen Personen begegnet bin, die aufrichtig auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Die sich mühen und die vorwärtskommen, die gegen Ungerechtigkeit (auch die im System) angehen und die bisweilen auch nach Gott suchen.

Hier wollte ich ein Verbündeter sein; einer, der den Weg mitgeht und bei Bedarf auch mitkämpft. Und ich wollte in diesem kleinlichen und oft destruktiven System Gottes Großzügigkeit und Liebe zur Geltung bringen – bei einer Tasse Kaffee, bei einem ehrlichen Wort, bei einem Telefonat oder einem Extra-Besuch, durch Wohlwollen und Zugewandtheit.

Natürlich konnte ich mir das als Seelsorger leisten, aber auch anderen wäre in dieser Richtung noch mehr möglich gewesen.

Und ich wollte Gott verkünden als einen Gott, der die Freiheit liebt und fordert.

Wollte Freiräume aufmachen, wo man sich loslassen kann oder finden.


Ich hoffe, das alles ist wenigstens manchmal gelungen.

(Mehr dazu findet sich übrigens in meinen Predigten und Gedanken der letzten Jahre.)


Zu guter Letzt: Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft auch für jene Menschen, die straffällig geworden sind und die im Gefängnis gesessen haben, Platz hat. Selbst wenn sie nicht immer so normkonform auftreten, wie viele (auch ich!) sich das wünschen würden...

So viel einstweilen, in meinem Kopf arbeitet es noch, aber diese Gedanken sind ein spontaner erster Rückblick...


(Einige dieser Gedanken sind inspiriert von Thomas Galli, zu dessen lesenswertem Buch „Weggesperrt“ ich hier bereits etwas geschrieben habe)

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