Sonntag, 5. September 2021

Wodurch wird geheilt? Drei Thesen zum Sonntagsevangelium

Was heilt einen Menschen eigentlich wirklich?

Der personalistische Existenzialist in mir antwortet ganz fromm und allgemein: Begegnung und Zuwendung. Und das mag auch sein. Aber wenn wir auf das heutige Evangelium von der Heilung eines Taubstummen schauen (Mk 7,31-37), wird diese Antwort aufgesplittert in einzelne Elemente.


"Er nahm ihn beiseite, ... legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel" (v33)

Jesus kreiert einen intimen Moment. Er will allein sein mit dem Mann und dann wird es so körperlich, wie wir es uns fast nicht vorstellen wollen. Es ist sogar ein bisschen eklig, aus unserer heutigen hygienisch geschulten Sicht auf diese Szene zu schauen. Aber im Kern geht es um Berührung. Die kaputten Teile des Mannes werden angefasst. Nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern der Heiler kommt so eng in Kontakt mit dem Geheilten, dass es fast schon zur Verschmelzung kommt.

Die Brandblase.
Frankfurt, 2021.
Heilung geschieht durch körperliche Zuwendung und behutsames (buchstäbliches) Eindringen in die Intimsphäre. Das ist heikel und gerade im Blick auf Körperkontakt ist man inzwischen bei Kirchens zu Recht sehr vorsichtig geworden. Zugleich zeigt die körperliche Berührung die gesamtmenschliche Dimension von Heilung auf. Heil werden geht nur im Körper.


Jesus "seufzte" (v34)

Was mag das für ein Seufzer gewesen sein – ein kraftsuchendes Atemholen1, hoffendes Sich-Werfen auf den Vater im Himmel, Anspannung, innerliches Mitgehen mit dem Leid des Gegenübers?
Wir wissen es nicht. Aber für mich stellt der Seufzer über die körperliche Nähe hinaus eine emotionale Verbindung her.

Wer mit einem anderen seufzen kann, wer sich einfühlen und innerlich mitgehen kann, der hat zur Heilung schon viel bewirkt.


Er "sagte zu ihm: Effata!" (v34)

Nun folgt das "Zauberwort" – das bekannte Kraftwort, das bis in die Taufliturgie hineingelangte und den Aufruf, sich zu öffnen, beinhaltet. Der Heiler fasst ins Wort, was geschehen muss. Er redet nicht drumherum, er gestikuliert und schaut nicht nur, er berührt nicht nur, sondern er spricht es aus.
Auch im seelsorglichen Gespräch eine äußerst hilfreiche Intervention: Das, was geschehen soll, einfach für das Gegenüber ins Wort zu fassen. Vielleicht kann mein Gegenüber es (hier: buchstäblich) nicht aussprechen, was dran ist.

Dann erhält auch das Aussprechen heilende Kraft. 

 

 

1   So schlägt ein Kommentar es als prophetischen Gestus vor: J. Gnilka zit. ähnliche Zeugnisse in J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Mk 1-8,26) II/1. [EKK/NT] Zürich, Einsiedeln, Köln 1978, 297.

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