Samstag, 20. November 2021

Selbst Verantwortung übernehmen. Über Franz Jägerstätter und Christkönig

Kann man der Regierung noch gehorchen? Oder gibt es einen höheren Bezug, in den sich ein verantwortungsbewusster Mensch in seinem Gewissen stellen muss und der es ihm dann in gewissen Fragen nicht gestattet, der Regierung zu folgen?

Es waren diese großen Fragen, von denen „Ein verborgenes Leben“ handelte, der letzte Film von Terrence Malick. Franz Jägerstätter, ein österreichischer Bauer, der aus Gewissensgründen den Kriegsdienst unter dem Nationalsozialismus verweigerte und heute als Märtyrer der katholischen Kirche verehrt wird, wird in diesem Film porträtiert. Er konnte den damals Regierenden nicht folgen, weil sein christlicher Glaube und sein Gewissen dem entgegenstanden. Seine inneren Konflikte und seine äußeren Bedrängnisse werden im Film meditiert.

Österreichische Berge, 2019.
Auch heute gibt es eine Minderheit in unserer Gesellschaft – und dem Eindruck nach eine wachsende Minderheit –, die meint, sich dem Staat in seinen Maßnahmen, die gegen die Pandemie ergriffen werden, nicht unterwerfen zu dürfen. Bisweilen berufen sie sich auch auf Widerständler aus der deutschen Geschichte. Aber auch religiöse Motivlagen für diese Widerständigkeit werden von Zeit zu Zeit formuliert.

Doch der Unterschied zwischen christlich motivierten Widerständlern wie Franz Jägerstätter und diesen (nach eigenem Selbstverständnis) querdenkenden Gruppen könnte größer nicht sein.
Wobei: Nichts gegen sinnvolle und konstruktive Kritik an den Maßnahmen von Bund und Ländern! Nichts gegen deutlichen Unmut gegen das Missmanagement und Versagen angesichts der vierten Corona-Welle. Nicht alles hat einen Sinn, nicht alles ist durchdacht.

Aber es sind eben Maßnahmen, die grundsätzlich auf den Schutz menschlichen Lebens gerichtet sind, auch wenn man Nutzen und Sinn bezweifeln kann. Die Solidarität untereinander ist eine entscheidende Maxime in dieser Gesellschaft. Das nationalsozialistische System dagegen war ein System der Menschenverachtung, das Verfeindung als obersten Grundsatz ansah – sei es Feindschaft aufgrund von „Rasse“ oder abweichender Meinung oder sexueller Orientierung. Andersdenkende und Anderslebende waren nicht nur Gegner oder Kontrahenten, sondern automatisch zu eliminierende Feinde.
Die Vorzeichen zwischen jenem System und unserer Gesellschaft sind so gegensätzlich, dass ein Vergleich sich intellektuell von selbst auflöst.

Doch zurück zum Film: Er zeigt in langen Einstellungen und mit dem Malick-typischen Weitwinkel   eine heile Landschaft mit einem Menschen, der durch seinen Glauben geprägt ist. Jägerstätter (August Diehl) ist keiner, der das große Argument vor sich herträgt – und auch der Film tut das nur am Rande. Eher versteht er sich als eine Meditation über die inneren und äußeren Konflikte und die Schritte, die zur Eidverweigerung und schließlich zur Hinrichtung führen.
Ehrlich gesagt war ich nach den letzten Filmen Malicks (gesehen habe ich „Tree of Life“ und „Knight of Cups“) sehr skeptisch, ob es sich lohnen würde, diesen Film zu sehen. Die inneren Dialoge oder (in diesem Fall) Briefwechsel, zu denen sich satte und nicht selten am Kitsch entlangschrammende Bilder gesellen, können wirklich herausfordernd sein. Im Fall von „Ein verborgenes Leben“ scheint mir allerdings, dass die wahre Geschichte dem Film als Erdung gut getan hat.

Den Fragen und Zweifeln, den Anfechtungen und Ärgernissen Jägerstätters kann man im Film wunderbar folgen, angefangen von der Hoffnung auf Unterstützung durch die Kirche (Fehlanzeige), über die Dispute mit Vertrauten und die Innigkeit mit seiner Frau (Valerie Pachner) bis zur immer weiter wachsenden sozialen Ausgrenzung durch die Dorfgemeinschaft.

Blick ins Tal.
Österreich, 2019.
Jägerstätters Pazifismus steht außer Frage, weniger ausgeleuchtet wird das innere Zentrum seines Widerstands, nämlich die Eidfrage. Bei Eintritt in den Militärdienst war der Treueid auf Hitler zu leisten, was sich für Jägerstätter als Ding der Unmöglichkeit darstellte. Alle Gegenargumente, seine eigenen und die der Anderen, werden aufgereiht: „Hat ein Mann das Recht, sich hinrichten zu lassen?“ und „Du kannst die Welt damit nicht ändern!“ und „Sind Sie besser als die Anderen? Weiser?“, aber auch die Frage nach den Folgen für seine Familie oder die Aussicht absoluter Wirkungslosigkeit.
Am Ende schnurrt alles zusammen auf Jägerstätters Gewissensintuition: „Ich kann nicht tun, was ich für falsch halte.“

Womit wir beim letzten Sonntag im Kirchenjahr, dem Sonntag Christkönig wären.
Im Evangelium (Joh 18,33-37) hören wir in diesem Jahr von einem elementaren Bestandteil des Königtums Christi – für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (vgl. Joh 18,37). Daran anschließend heißt es: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“

Damit liegt die Verantwortung bei uns. Es ist das zentrale Paradox des christlichen Herrschaftsverständnisses – Christus, der König, um den es die ganze Zeit geht, befiehlt nicht dies oder das, sondern er fordert die Seinen zum Hören und zur Verantwortungsübernahme auf. Hören wir auf ihn, hören wir auf die Wahrheit?

Aus christlicher Sicht gehört zur Wahrheit auf jeden Fall: Gott ist ein menschenfreundlicher Gott, der das Leben liebt. Das heißt nicht, das niemand sterben muss (so wie Jägerstätter letztendlich auch hingerichtet wird). Aber es bedeutet, sich daran zu orientieren, was dem Leben dient.

Für Franz Jägerstätter bedeutete dies, sich nicht an einem sinnlosen und grausamen Krieg zu beteiligen. Für heute bedeutet es, alles zu tun, um das Infektionsgeschehen zu durchbrechen.
Einmal war dies ein Akt des Widerstands. Einmal wird es ein weitestgehendes Mitgehen mit staatlich angeordneten eindämmenden Maßnahmen sein.
In Verantwortung und aus Liebe zum Leben.

(Wodurch die Regierung aber nicht aus ihrer Pflicht entlassen ist, einen geeigneten Rahmen für diese Verantwortung zu schaffen!)

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