Wie verrückt kann man sein?
Wer sowieso nur wenig hat, könnte doch bei den Ausgaben vorsichtiger sein und nicht Geld aus dem Fenster werfen, das morgen schon wieder fehlt!
Wenn Jesus im Evangelium des Sonntags (Mk 12,38-44) eine Witwe zum Vorbild erklärt, die alles, was sie hat, in den Opferkasten des Tempels wirft, dann kann man sich dabei über vieles wundern. Nicht nur die erwähnte ökonomische Dummheit sticht ins Auge, auch der religiöse Sinn ist erklärungsbedürftig.
Verrückt!? Neuruppin, 2021. |
Wer macht so etwas?
Mir fiel auf der Suche nach einer Antwort ein Gedicht von Heinrich Heine ins Auge, dessen erste Strophe (bei allem spöttischen Unterton) eine tiefe Wahrheit über das Evangelium entbirgt:
Emma sage mir die Wahrheit:
Ward ich närrisch durch die Liebe?
Oder ist die Liebe selber
Nur die Folge meiner Narrheit?1
Es ist ein Motiv, das die literarische Bemühungen zur Liebe immer wieder berühren – wer liebt, handelt närrisch, denn er oder sie schert sich nicht mehr um andere Belange, nicht um mögliche negative Folgen, nicht um Geld oder sonstwie vernünftige Gründe. Die Ursächlichkeit erfragt Heine in typisch ironischem Ton, das Thema ist aber auch tief religiösen Menschen bekannt.
Nicht umsonst werden heilige Narren, zu denen man auch den heiligen Franziskus von Assisi zählen kann, vom gläubigen Volk, aber auch von den Hierarchen oftmals hoch verehrt. Sie leben aus einer Liebe, die ganz auf den Liebenden zählt.
Solch eine liebestolle Närrin muss die Witwe des Evangeliums wohl gewesen sein – was sonst, wenn nicht Liebe, käme als Motiv für eine so überschäumend wahnsinnige Tat in Frage...
Den Zipfel einer solchen Liebe wünsche ich euch – und mir...
1 H. Heine, Emma. In: H. Heine, So zärtlich, Herz an Herz. Die schönsten Liebesgedichte. Hamburg 2005, 23.
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