(Hörversion hier: https://ksg-berlin.de/into-the-unknown-2-unruhe/)
Was würde besser zum
Semesterthema „into the unknown“ passen als Unruhe – Unruhe als
Unsicherheit vor dem Unbekannten, in das wir unterwegs sind.
Als ich mich mit dem Thema Unruhe zur heutigen Predigt gemeldet habe, wusste ich nicht, was genau für eine Unruhe mich noch packen wird. Denn es gibt ja die verschiedensten Formen von Unruhe. Ich erzähle euch von einer.
Gerade
arbeite ich an der Umsetzung eines größeren Projektes, bei dem wir
eine sehr große Betonskulptur der polnischen Künstlerin Joanna
Rajkowska aus Warschau nach Frankfurt an die Oder holen wollen. Dann
soll mit verschiedenen Veranstaltungen ein breites Feld an Themen
rund um die Skulptur aufgerissen werden, zusammen mit studentischen
Initiativen, Lehrpersonen und anderen.
Weil die Skulptur schon
ab morgen in Warschau abgebaut wird und wir bis Mitte dieser Woche
noch keinen offiziellen Leihvertrag hatten und sich mit
Versicherungen, Genehmigungen und Transportfirmen noch eine ganze
Reihe unserer Probleme türmten, waren meine Tage bis Fronleichnam
sehr unruhig.
Abbau. Warschau, 2023. |
Das bedeutet viel Stress, der sich ganz unterschiedlich zeigt – ich wache in solchen Zeiten morgens sehr sehr früh auf und wälze im Kopf mögliche Probleme.
In
meinem Fall ist die Unruhe inzwischen gewichen – Montagmorgen fahre
ich nach Warschau und protokolliere den Zustand der Skulptur beim
Abbau. Aber nicht immer lassen sich offene Fragen einfach lösen. Im
Angesicht der Klimakatastrophe oder bei weiteren grundsätzlichen
Konflikten werden wir noch lange mit ungelösten Problemen und neu
auftauchenden Klippen zu tun haben.
Eine Unruhe, die bleibt –
Unruhe, die da ist.
Die
Frage ist nun, wie wir zu der Unruhe stehen - und was die Unruhe mit
unserer Beziehung zu Gott macht.
Darauf gibt es naturgemäß
mehrere mögliche Antworten. Ich möchte das in einen etwas weiteren
Kontext stellen und zunächst nicht auf uns, sondern auf Religiosität
allgemein schauen. Denn auch hier stellt sich die Frage, ob
Religionen eher Trost oder eher Unruhe befördern.
Anders formuliert: Handelt es sich bei Religiosität um eine Kontingenzbewältigungspraxis oder um eine Kontingenzeröffnungspraxis?
Natürlich, ihr werdet es ahnen, ist beides möglich.
Zunächst:
Was ist Kontingenzbewältigung?
Kurz gesagt geht es bei diesem
Konzept (in Anknüpfung an Niklas Luhmann) darum, dass wir als
Menschen Strategien brauchen, um die Zufälligkeiten und
Unsicherheiten des Lebens aushalten. Neben anderen Möglichkeiten,
diese Kontingenzen zu integrieren, ist die Religion ein Weg – um
zum Beispiel den Tod auszuhalten oder die sinnlose Tragödie eines
großen Unglücks. Für religiöse Menschen bietet der Glaube einen
Halt und einen Sinn in diesem Leiden, wir verstehen Gott als einen,
der Trost und Sinn schenkt.
Daran wurde oft kritisiert, dass
religiöse Menschen manchmal zu schnell Antworten haben, wo doch die
Fragen schon so unheimlich kompliziert sind. Du muss plötzlich eine
einzige große Antwort wie „Gott liebt dich trotzdem“ für alle
Zumutungen des Lebens herhalten.
Politisch haben die Sozialisten
besonders die christliche Religion so verstanden. Im Sinne von: Auf
gesellschaftliche Probleme finden sich religiöse Antworten, die die
Menschen ruhigstellen und von der Revolte abhalten.
Unsere
Religiosität hätte dann also das Ziel, die Unruhe zu beruhigen.
Das
Gegenteil dieser Sicht wäre Religion als
Kontingenzeröffnungspraxis.
Das bedeutet ganz grob gesprochen,
dass Religionen dazu beitragen, die Unverständlichkeit der Welt
offen zu halten. Oder anders: So verstanden kleistert Religion die
Konflikte und offenen Brüche der Welt nicht zu, sondern zeigt gerade
erst auf die Unzulänglichkeiten und unsere Grenzen.
Damit legt
Religion den Finger in die Wunden, weil sie zeigt, wie wenig
berechenbar unsere Welt ist. Religiöse Menschen wissen um das große
Geheimnis Gottes und sind angesichts des Glaubens an einen guten und
gerechten Gott von seiner Unverständlichkeit noch einmal besonders
herausgefordert.
Politisch kann dieses Verständnis von
Religion das Aufrütteln zur Tat bedeuten und damit auch einen
starken sozialen Einsatz in der Welt rechtfertigen.
Nach diesem
Verständnis ist Religion Unruhestifterin.
Aber wann ist Religion, wann ist unsere Glaubenspraxis wichtig, um Unruhe zu beruhigen und einzuhegen – und wann wiederum muss sie uns wachmachen und die Unruhe gerade erst wecken?
Im
Evangelium hatten wir von Jesus gehört, der sagt, dass er Feuer auf
die Erde bringen wolle und auch darüber hinaus Spaltung und alle
mögliche Unruhe verursachen werde (Lk 12,49ff)
Jesus hat in
sich beträchtliche Spannung gespürt und war selbst voller Unruhe
und in Erwartung der Herrschaft Gottes (des „Himmelreiches“), von
der er so oft sprach. Dafür erschien ihm auch die Spaltung legitim.
Das Feuer soll wachrütteln.
Ich bin überzeugt: Es gibt auch heute Zeiten und Situationen, da braucht die Welt einen Weckruf – sei es in der Klimakatastrophe, sei es im Krieg Russlands gegen die Ukraine und besonders bei der aktuellen Sprengung des Kachovka-Staudamms mit seinen fürchterlichen Folgen, sei es bei Fragen wie Erziehung und Pflege. Christinnen und Christen können mit ihrer spezifischen Motivation auf verborgene oder versteckte Probleme hinweisen. Und Unruhe schaffen.
Das
ist eine mögliche notwendige Unruhe. Aber auch in konkreten
religiösen Fragen kann Unruhe etwas Gutes bedeuten: Augustinus
beginnt seine religiöse Autobiographie mit dem Gebet zu Gott:
„Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Es gibt
also auch eine heilsame Unruhe, die uns Menschen überhaupt erst
bewegt, uns auf den Weg zu Gott zu machen, eine Sehnsucht und einen
Wunsch nach Mehr, von dem der Kirchenvater spricht. Wir sollen nicht
bei uns selbst sitzen bleiben, sondern aufbrechen zu ihm hin.
Das sind sie also, die wichtigen, die notwendigen Unruhen – sie wollen uns wachrütteln zum Einsatz für das Gottesreich, für die Krisen in der Welt, aber auch wach machen für Gott selbst.
Daneben stehen die Unruhen, die uns ängstigen oder sogar krank machen können. Vielleicht ähnlich der Unruhe, die ich am Anfang beschrieben habe – diese Unruhen gehen einher mit Angst vor Kontrollverlust, mit Zukunftssorgen, mit Panik oder Hilflosigkeit.
Das sind Unruhen, von denen ich glaube, dass Gott uns mittelfristig von ihnen befreien möchte – hier wird Religion als Kontingenzbewältigungspraxis wichtig.
Denn es gibt natürlich auch Zeiten und Situationen, in denen wir Trost brauchen. Dann sehnen wir uns nach Frieden und Ruhe, hoffen auf Gottes Güte und liebevolle Nähe.
Das
ist der andere Jesus, den wir auch kennen, der Jesus, der sagt:
„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will
euch erquicken.“ (Mt 11,28)
Nicht der Jesus, der unter dem
kommenden Gottesreich das Gericht sieht, an dem sich alle scheiden,
sondern der, der aufrichten und trösten will. Auch vom Kirchbesuch
erwarten sich ja viele einen Abstand von den Zumutungen der Welt mit
einer schönen frommen Predigt – und nicht, dass sie schon wieder
mit Problemen konfrontiert werden. Und ist das nicht auch legitim?
Es tut gut, dass Jesus nicht nur einer ist, der unser Leben in Unruhe bringen will, sondern uns auch Ruhe und Atem gönnt.
Aber das stellt auch an uns die Frage:
Wir
sind aufgefordert, die Zeiten richtig zu lesen, die Situationen
richtig einzuschätzen, wenn es darum geht, unsere Mitmenschen in
eine gute Unruhe zu versetzen, sie herauszufordern und ihnen
vielleicht eine neue Bewegung zu geben.
Anderen hilft dagegen
vielleicht unser Trost, ein gemeinsames Gebet, ein Wort der Hoffnung.
Ich
habe fünf Jahre im Gefängnis als Seelsorger gearbeitet und dort
stand ich mit den KollegInnen immer wieder im Austausch über diese
Frage: Sollten wir die Inhaftierten zur Umkehr aufrütteln und
unruhig machen, wenn sie sich einrichten in ihrem Selbstverständnis
als Kriminelle – oder sollen wir sie in der Krisensituation Knast
nicht lieber trösten und ihnen gut zusprechen?
Je nach
Situation wird man sicher anders entscheiden zu haben – und das
holzschnittartige Entweder-Oder ist ja auch nicht unbedingt
realistisch, oft sind es Grauzonen, in denen wir uns bewegen.
Ich wünsche euch jedoch, dass ihr das gut unterscheiden könnt, wem wann und wie mit Kontingenzeröffnung oder Kontingenzbewältigung zu helfen ist.
Und
ich wünsche euch auch, dass Gott euch mit heilsamer Unruhe zur
rechten Zeit beschenkt.
Aber auch mit heilsamer Tröstung, wenn
ihr euch in unheilvoller Unruhe verstrickt habt.
Gott segne unsere Unruhe und unsere Ruhe!
Was eigentlich würde passieren, wenn der Mensch diese innere Unruhe nicht hätte. Eine Unruhe, die meistens dazu beiträgt, dass wir nach Problemlösungen suchen. So das sich unsere Welt weiterentwickeln kann.
AntwortenLöschenWo würde unsere Welt heute stehen, wenn die Menschen diese innere Unruhe nicht gehabt hätten. Und ich glaube, dass ist der Grund, warum wir selbst dann, wenn eigentlich kein echtes Problem zu sehen ist, uns nach Problemen sehnen, die wir dann lösen müssen.
Ein problemloses Leben wäre wohl auch von einem gesellschaftlichen Stllstand begleitet.
Glaubst Du nicht?
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