Freitag, 9. Juni 2023

"Alles hat seine Zeit." (Koh 3,1) Radiobeitrag angesichts des Evangelischen Kirchentags

So oder so ähnlich werde ich am Sonntag, 11.06., kurz vor 10 Uhr mit DAS WORT auf rbb 88,8 zu hören sein: 

Alles hat seine Zeit - Unter diesem Motto beginnt jetzt gerade der Schlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags in Nürnberg. Über mehrere Tage hinweg haben sich dort viele Christinnen und Christen zu Gebet und Austausch, zu gemeinsamen Aktionen und gemeinsamem Singen getroffen.
Als katholischer Theologe sehe ich die Kirchentage mit großem Interesse – vor allem in einer Zeit, in der die Kirchen in Deutschland mit Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust zu kämpfen haben. Gerade in krisenhaften Zeiten stellen sich die Kirchen bei Großereignissen wie dem Kirchentag ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, beten und diskutieren und stellen sich auch der Frage nach der richtigen Ausrichtung und nach den Chancen für einen Neuaufbruch.

Zeit zum Laufen.
Autobahn über die Oder, 2023.
„Jetzt ist die Zeit“ lautet das Motto des Kirchentags – das klingt nach Engagement und Energie. Gleichzeitig stellt sich damit die Frage, wofür denn jetzt die Zeit ist und was und wer Christinnen und Christen in unserer säkularen Gesellschaft sein wollen. Der Text für den Schlussgottesdienst gibt einige Hinweise, wie Kirchen sich :

„Für alles gibt es die richtige Zeit – Zeit für alles Tun und Geschehen unter dem Himmel:
Zeit zum Gebären und Zeit zum Sterben,
Zeit zum Pflanzen und Zeit zum Ausreißen, was gepflanzt ist.
Zeit zum Töten und Zeit zum Heilen,
Zeit zum Einreißen und Zeit zum Bauen.
Zeit zum Weinen und Zeit zum Lachen,
Zeit des Klagens und Zeit des Tanzens.

So geht es im Text noch eine Weile weiter.
Christinnen und Christen, aber auch alle anderen Menschen sind aufgefordert, genau hinzuschauen, in was für einer Zeit wir denn gerade leben. Die Deutungen gehen auch innerhalb der Kirchen und Gemeinden weit auseinander, in welche Zeit Gott uns denn gerade gesetzt hat.
Einige sehen eine gute Zeit, in der marginalisierte Randgruppen und bisher unterdrückte Menschen einen neuen Platz in der öffentlichen Aufmerksamkeit bekommen. Andere beängstigen diese Veränderungen und sie rücken traditionelle Positionen in den Vordergrund.
Einige sehen im deutschen Engagement für die Ukraine christliche Werte genuin verwirklicht. Andere sorgen sich vor einer weiteren Eskalation des Krieges.
Einige hoffen, dass es mit dem Klimaschutz schnell vorangeht. Anderen erscheint diese Problematik zu sehr im Fokus der Aufmerksamkeit und sie halten anderes für wichtiger.

Christsein bedeutet nicht, sich auf alle Zeitdiagnosen einigen zu können. In den wenigsten Fällen ist die Situation so eindeutig, dass alle auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Da sind Christinnen und Christen eigentlich ein guter Spiegel der Gesamtgesellschaft. Aber diesem biblischen Text aus dem Alten Testament ist es wichtig, dass wir genau hinschauen und dabei auch verschiedene Optionen beim Blick auf die aktuelle Zeit auszuhalten.
Daraus ergeben sich dann unterschiedliche Aktionsformen. Wenn bei der Zeitdiagnose zum Beispiel die Klimakatastrophe in den Fokus rückt, können Kirchen ganz unterschiedlich reagieren:

Ein Jesuitenpater engagiert sich im Rahmen der Letzten Generation und streitet für schnelle Maßnahmen. Andere Kirchen fangen gerade an, ihre Liegenschaften in den Blick zu nehmen und energieeffiziente und ökologisch verträgliche Sanierungen zu planen. In vielen Gemeinden engagieren sich Gruppen schon seit Jahrzehnten für faire und ökologische Lebensmittel bei kirchlichen Veranstaltungen. Und wieder andere sind mit internen Strukturprozessen beschäftigt und haben keinen Sinn für diese Fragen.

Alles hat seine Zeit – und auf vielen Ebenen müssen wir uns damit auseinandersetzen, welche Zeit denn nun ist. Das tun die Besucherinnen und Besucher des Evangelischen Kirchentags gerade. Aber wir sind alle dazu aufgefordert herauszufinden, für was es an der Zeit ist.

Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.

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