So oder so ähnlich werde ich am Sonntag, 11.06., kurz vor 10 Uhr mit DAS WORT auf rbb 88,8 zu hören sein:
Alles hat seine Zeit - Unter diesem Motto beginnt jetzt
gerade der Schlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags in Nürnberg. Über
mehrere Tage hinweg haben sich dort viele Christinnen und Christen zu Gebet und
Austausch, zu gemeinsamen Aktionen und gemeinsamem Singen getroffen.
Als katholischer Theologe sehe ich die Kirchentage mit großem Interesse – vor
allem in einer Zeit, in der die Kirchen in Deutschland mit Mitgliederschwund
und Bedeutungsverlust zu kämpfen haben. Gerade in krisenhaften Zeiten stellen
sich die Kirchen bei Großereignissen wie dem Kirchentag ins Scheinwerferlicht
der Öffentlichkeit, beten und diskutieren und stellen sich auch der Frage nach
der richtigen Ausrichtung und nach den Chancen für einen Neuaufbruch.
Zeit zum Laufen. Autobahn über die Oder, 2023. |
„Für alles gibt es die richtige Zeit – Zeit für alles Tun
und Geschehen unter dem Himmel:
Zeit zum Gebären und Zeit zum Sterben,
Zeit zum Pflanzen und Zeit zum Ausreißen, was gepflanzt ist.
Zeit zum Töten und Zeit zum Heilen,
Zeit zum Einreißen und Zeit zum Bauen.
Zeit zum Weinen und Zeit zum Lachen,
Zeit des Klagens und Zeit des Tanzens.
So geht es im Text noch eine Weile weiter.
Christinnen und Christen, aber auch alle anderen Menschen sind aufgefordert,
genau hinzuschauen, in was für einer Zeit wir denn gerade leben. Die Deutungen
gehen auch innerhalb der Kirchen und Gemeinden weit auseinander, in welche Zeit
Gott uns denn gerade gesetzt hat.
Einige sehen eine gute Zeit, in der marginalisierte Randgruppen und bisher
unterdrückte Menschen einen neuen Platz in der öffentlichen Aufmerksamkeit
bekommen. Andere beängstigen diese Veränderungen und sie rücken traditionelle
Positionen in den Vordergrund.
Einige sehen im deutschen Engagement für die Ukraine christliche Werte genuin
verwirklicht. Andere sorgen sich vor einer weiteren Eskalation des Krieges.
Einige hoffen, dass es mit dem Klimaschutz schnell vorangeht. Anderen erscheint
diese Problematik zu sehr im Fokus der Aufmerksamkeit und sie halten anderes
für wichtiger.
Christsein bedeutet nicht, sich auf alle Zeitdiagnosen
einigen zu können. In den wenigsten Fällen ist die Situation so eindeutig, dass
alle auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Da sind Christinnen und Christen eigentlich
ein guter Spiegel der Gesamtgesellschaft. Aber diesem biblischen Text aus dem
Alten Testament ist es wichtig, dass wir genau hinschauen und dabei auch
verschiedene Optionen beim Blick auf die aktuelle Zeit auszuhalten.
Daraus ergeben sich dann unterschiedliche Aktionsformen. Wenn bei der
Zeitdiagnose zum Beispiel die Klimakatastrophe in den Fokus rückt, können
Kirchen ganz unterschiedlich reagieren:
Ein Jesuitenpater engagiert sich im Rahmen der Letzten
Generation und streitet für schnelle Maßnahmen. Andere Kirchen fangen gerade
an, ihre Liegenschaften in den Blick zu nehmen und energieeffiziente und
ökologisch verträgliche Sanierungen zu planen. In vielen Gemeinden engagieren
sich Gruppen schon seit Jahrzehnten für faire und ökologische Lebensmittel bei
kirchlichen Veranstaltungen. Und wieder andere sind mit internen Strukturprozessen
beschäftigt und haben keinen Sinn für diese Fragen.
Alles hat seine Zeit – und auf vielen Ebenen müssen wir uns
damit auseinandersetzen, welche Zeit denn nun ist. Das tun die Besucherinnen
und Besucher des Evangelischen Kirchentags gerade. Aber wir sind alle dazu
aufgefordert herauszufinden, für was es an der Zeit ist.
Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
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