Mittwoch, 24. Juni 2015

Wer kommt nach uns? - Johannes der Täufer, Hilde Domin und die Umweltethik

Das Geburtstagskind des Tages, Johannes der Täufer, hat sein Leben als Vorläufer Jesu gelebt.
In diesem Vorläufer-Sinne kann er ein gutes Vorbild sein, um Bescheidenheit zu lernen. Denn Johannes wusste sich als Glied einer Kette, in der er eine wichtige, aber letztlich nur vorletzte, hinweisende Funktion hatte: er stand in der Tradition der zornigen alttestamentlichen Propheten – und zugleich war er ganz ausgerichtet auf den, der nach ihm kommen sollte.

Was noch kommt. Kreuzberg, Berlin, 2015.
Weil dieser, der verheißene Messias, nun bald kommen würde und mit ihm das Gericht Gottes, darum, davon war Johannes überzeugt, müsste sich nun jeder ändern, um bereit zu sein für dieses Gericht. Der Lebensstil aller sollte sich neu ausrichten an Gottes Wort. Eine klare Botschaft mit eindeutiger Motivation.

Aber auch unter der Voraussetzung, dass nach uns niemand mehr kommen wird, kann eine Lebensveränderung angemahnt werden. Hilde Domin tut es in ihrem Gedicht "Es kommen keine nach uns"1. Gemeint ist, dass keine Menschen mit denselben Erfahrungen ihrer Generation nachrücken, denn wenn diese Generation nicht mehr ist, dann gibt es keine,

"die es erzählen werden,
keine, die was wir
ungetan ließen
in die Hand nehmen und zu Ende tun."

Weil niemand anderes es tun kann also liegt es an denen, die noch da sind, sich zu ändern. Domin umspielt ihren Appell mit Bildworten, die eine große Achtsamkeit für alles Tun einfordern:

"Dann müssen wir mehr als die andern
den Boden unter den Füßen fühlen
während wir gehen,
diesen kurzen Boden
von Morgen zu Abend.
Wir müssen dünne Sohlen tragen
oder barfuß gehen.
Was wir berühren,
mit leichtem Finger berühren,
mit wachen Fingerspitzen.
Nichts achtlos.
Jedes Mal ist das letzte
oder könnte es sein.
...
Wir müssen genau sein
in der Minute des Flügelschlags."

Ähnliche Feinfühligkeit zeigt übrigens Papst Franziskus in seiner neuen Enzyklika "Laudato Si"2 über die Sorge für die Erde und die Natur, wenn er (in Nr. 68) ein alttestamentliches Bibelwort zitiert: "Wenn du unterwegs auf einem Baum oder auf der Erde zufällig ein Vogelnest mit Jungen oder mit Eiern darin findest und die Mutter auf den Jungen oder auf den Eiern sitzt, sollst du die Mutter nicht zusammen mit den Jungen herausnehmen.“ (Dtn 22,6)
Kleiner Teich. Volkspark Friedrichshain, Berlin, 2015.

Das genaue und liebevolle Wahrnehmen "mit leichtem Finger" führt auch zu einem anderen, liebevolleren Umgang mit Menschen und Dingen und erkennt vielleicht die Natur als Spur Gottes und als "Ort seiner Gegenwart" (Nr. 88).
Auch die umweltethische Dimension der Frage, wer da nach uns kommt, liegt als Verantwortung für die kommenden Generationen auf der Hand: "Wenn wir an die Situation denken, in der der Planet den kommenden Generationen hinterlassen wird, treten wir in eine andere Logik ein, in die des freien Geschenks, das wir empfangen und weitergeben." (Nr. 159)

Doch zurück zu Johannes dem Täufer. Ihm ging es um die Wahrnehmung der eigenen Fehlhaltungen im Blick auf Gottes Kommen im Gericht. Und eine dem Gericht analoge Krise, einen Aufbruch und Neubeginn, scheint Hilde Domin am Ende ihres Gedichtes anzudeuten:

"Wenn um unsre Balkone das Wasser steigt,
die Spitzen der Bäume noch sichtbar unter den Sternen,
wenn unsre Häuser auf den Bergen,
in denen noch Licht ist,
sich bewegen
und davonfahren
als seien es Archen,
dann müssen wir bereit sein
- wie einer der aus dem Fenster springt -
die große Frage zu fragen
und die große Antwort zu hören."

Auch wenn den Täufer in erster Linie die Erwartung des Kommenden prägte und zu seiner Verkündigung motivierte – "bereit sein" für das Fragen und offen bleiben für "die große Antwort" Gottes war in diesem Sinn auch ein Kern seiner Botschaft.

Die Bereitschaft und Bescheidenheit von Johannes dem Täufer, die sich ausrichtet auf die Kommenden, führt auch uns zu einem bescheideneren Umgang mit den gemeinsamen Ressourcen, damit das sprichwörtliche Wasser nicht weiter bis "um unsre Balkone" steigt (wer mag, kann hier an den Katastrophenfilm "2012" und seine "Archen" denken).
Die hinweisende Funktion schließlich, die der Papst im Namen der Schöpfung Gottes übernimmt, will allen Menschen helfen, Gottes große bejahende Antwort zu dieser Schöpfung auch zu hören – und danach zu handeln. Denn:

"Jedes Mal ist das letzte
oder könnte es sein."

Steigendes Wasser. Karl-Heine-Kanal, Leipzig, 2014.

1   In: H. Domin, Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. Frankfurt a.M. 1994, 76-78. Das ganze Gedicht im Netz findet sich z.B. hier.
2   Papst Franziskus, Enzyklika "Laudato Si" über die Sorge für das gemeinsame Haus. 2015, in: http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2015/2015-06-18-Enzyklika-Laudato-si-DE.pdf